Wie die Firmen um ihre Existenz kämpfen. Preise sollen im kommenden Jahr steigen. Branche will die Tariflöhne allgemein verbindlich machen

Rosengarten . Karl-Heinz Wohlgemuth ärgert sich: Über die Straßen-Baumaschinen, die seit dem 1. Oktober vor seinem Bäckerei-Geschäft direkt an der Bremer Straße lärmen. Über das Halteverbot auf beiden Seiten der Bundesstraße. Und darüber, dass auch noch die Parkmöglichkeiten in der Nähe rar sind. Lkw-Fahrer, die sonst gern für belegte Brötchen oder einen Café-to-Go anhalten, fahren jetzt vorbei. „Das kostet mich 30 bis 40 Kunden pro Tag und tut mir weh“, sagt der Obermeister der Innung für die Kreise Harburg und Lüneburg. Seine drei Verkäuferinnen musste Wohlgemuth bereits für die nächsten Monate in Kurzarbeit schicken.

Doch die Probleme direkt vor seiner Ladentür sind längst nicht die größte Sorge des erfahrenen Meisters, der das Geschäft 1984 von seinem Vater Werner übernommen hat. Denn Wohlgemuth sieht die Branche längst in einem ungleichen Kampf mit dem Lebensmittelhandel, mit Tankstellen und anderen Billiganbietern. „Vor allem die großen Ketten kaufen ihre Teiglinge in Osteuropa, profitieren von den niedrigen Löhnen und setzen die Backwaren dann als Lockmittel für Kunden ein“, sagt er. Die Folge: Die inhabergeführten Betriebe im Landkreis werden immer weniger. Waren es vor 25 Jahren, als Wohlgemuth sich zum Obermeister wählen ließ, noch 62, sind es jetzt noch 17. Und diese Entwicklung wird weitergehen, ist er überzeugt. Selbst dass bis zum Ende des Jahrzehnts auf Bundesebene bis zu 40 Prozent der heutigen Betriebe aufgeben könnten, hält er nicht für ausgeschlossen.

Denn die Einnahmen waren in den vergangenen Jahren oft so knapp, dass viele Betriebe Insolvenz anmelden mussten. „Bei anderen wurde nicht mehr investiert, ihre Maschinen sind heute so veraltet, dass die Firmen weder verkauft noch verpachtet werden können und die Banken geben keinen Kredit mehr“, sagt der 59-Jährige, der auch Landesinnungsmeister für Niedersachsen und Bremen ist. Manchmal fehlt auch schlicht ein Nachfolger. Das gilt selbst für Wohlgemuth. So wird seine Tochter Tanja das Geschäft nicht übernehmen. Immerhin laufen vielversprechende Gespräche mit Kollegen, die sich gern vergrößern wollen. Kein Wunder: Der Chef ist rechtzeitig auch in das Geschäft mit Restaurants und Hotels eingestiegen und schickt als weiteres Standbein drei Mal pro Woche seinen Verkaufswagen durch die Ortschaften der Einheitsgemeinde Rosengarten.

Insgesamt aber steht die Branche unter Druck. So sollen die Preise für Brot und Brötchen im kommenden Jahr steigen. „Schon wegen der Umlage für die erneuerbaren Energien rechnen wir für 2014 mit Veränderungen“, äußert sich Amin Werner, der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, vorsichtig. Aber auch der Rechtsanwalt verweist darauf, dass sich die Kosten für Strom und Gas seit 2009 verdoppelt hätten. Bäckermeister Wohlgemuth geht davon aus, dass ein normales Brötchen künftig 38 bis 40 Cent statt bisher 35 Cent kosten wird.

Das ist jedoch nicht die einzige Antwort der Branche auf den schwierigen Markt. Die Bäcker wehren sich zudem vor Gericht gegen die Behauptung von Aldi Süd, dass dort den ganzen Tag frisch für die Kunden gebacken werde. Dabei gehen die Handwerker davon aus, dass die fast fertig gelieferten Brote nur noch wie Toastbrot gebräunt statt gebacken werden. Dazu müsste der Teig eine Kerntemperatur von 98 Grad erreichen. Noch steht das Ergebnis eines technischen Gutachtens sowie die Entscheidung des Landgerichts Duisburg darüber aus. Doch gibt das Gericht den Bäckern Recht, läge nach Auffassung von Werner nicht nur eine Verbrauchertäuschung vor. Vielmehr hätten die Bäcker ein Argument, um sich von der Konkurrenz abzusetzen, deren Brötchen im Automaten entstehen.

In der Branche selbst soll eine neue Regelung künftig für ein landesweit ausgeglichenes Lohnniveau sorgen. Doch bisher haben sich die Arbeitgeber in Niedersachsen nicht auf die von der Innung beantragte Allgemeinverbindlichkeit für den 2012 abgeschlossenen Tarifvertrag einigen können. Damit können die rund 600 nicht von den Handwerksverbands vertretenen Firmen die Entgelte weiter unterbieten und sich so Wettbewerbsvorteile gegenüber den 613 organisierten Firmen verschaffen. „Mit der Vereinbarung stünden alle in einem fairen Wettbewerb und hätten zudem ein gutes Argument, um höhere Preise zu rechtfertigen. Schließlich sollen die 32.000 Mitarbeiter im Land von ihrem Einkommen leben können“, sagt Wohlgemuth.

Bislang jedoch ist das Interesse am Bäckerberuf im Landkreis noch ungebrochen. Derzeit werden in den beiden Kreisen in den drei Lehrjahren 33 Bäcker und 82 Fachverkäuferinnen ausgebildet. „Damit sind wird zufrieden, auch wenn es vor fünf, sechs Jahren schon einmal 150 bis 160 Lehrlinge waren“, sagt der Obermeister. Nach der Lehre verdienen Gesellen 13 Euro pro Stunde, Verkäuferinnen kommen auf neun Euro. Dazu kommen Zuschläge für die Nachtarbeit sowie an Sonntagen. Die Vergütungen für Lehrlinge wurde zuletzt leicht auf 430 Euro im ersten Jahr sowie 550 beziehungsweise 650 Euro in den Folgejahren aufgestockt.

Wohlgemuth geht vom Laden hinüber in die Backstube. Zwischen Teigmaschine, Mehlsilo, Brötchenpresse und den Öfen arbeitet er täglich mit einem Meister und einem Gesellen. Dort fühlt er sich wohl. „Ich sehe mich Qualität und Frische verpflichtet und werde diesen Weg nicht verlassen“, sagt er. So hat er sein Rezept für Berliner mit ihren verschiedenen Füllungen seit 30 Jahren nicht verändert. Ein Bäcker brauche auch heute vor allem Gespür dafür, wie Brötchen gelängen, wann ein Brot ausgebacken sei und die Temperatur langsam von 250 auf 200 Grad heruntergefahren werden müsse. „Automatik und Handwerk“, da ist Wohlgemuth sicher, „vertragen sich nicht.“