Eltern in Eißendorf, Heimfeld und dem Alten Land müssen mit kranken Kindern weit fahren – und dann den Arzt nehmen, den sie kriegen können

Heimfeld. „Meine Hände sind verschwunden...“ singen zehn Kinder und ungefähr 12 Eltern auf dem Parkett des Speisesaals. Michaela Ernster, Betreuerin des Heimfelder Elterncafés hat zum Abschlusskreis gerufen und macht den Kindern nun vor, wie sie die Hände verstecken. Gut gelaunt machen Kinder und Eltern mit. Kommt die Sprache allerdings auf das Thema „Kinderarzt“, verfliegt die Laune schnell. In Heimfeld gibt es keinen. In Eißendorf nur für Privatpatienten. Und wer irgendwo anders einen Kinderarzt findet, kann froh sein, wenn das Kind als Patient angenommen wird.

„Ich habe drei Kinder und kein Auto“, sagt die junge Mutter Reno Rückert, „Wenn ich mit einem Kind zum Arzt muss, ist das jedesmal ein großer Organisationsaufwand. Die Wege sind weit und die beiden gesunden Kinder müssen stundenlang bei Freunden unterkommen.“ Mit gesunden Kindern sitzen nämlich die Heimfelder Eltern - und nicht nur die - nur höchst ungern in einem Wartezimmer voller kleiner Kranker.

Die meisten Kinderärzte in Harburg haben ihre Praxis in der Innenstadt. Die äußeren Quartiere des Bezirks sind schlechter versorgt. Zwischen Wilstorf und Rönneburg gibt es noch eine Praxis. Auch Marmstorf hat noch einen eigenen Kinderarzt, ebenso Neugraben und Neuwiedenthal. Auf der gesamten dritten Meile des Alten Landes, von Cranz bis Moorburg, gibt es wiederum keinen Kinderarzt.

Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) hält die Versorgung des Bezirks Harburg mit Kinderärzten für ausreichend: Auf gut 26.000 Kinder kommen 11 Vollzeit- und zwei Teilzeitärzte. Der bundesweit einheitliche Schlüssel, mit dem die Kassenärzte festlegen, was angemessene Betreuung ist, liegt bei 2405 Patienzen pro Kinderarzt. „Damit ist in Harburg ein Versorgungsgrad von über 100% gegeben.“, sagt Dieter Bollmann, stellvertretender Vorsitzender der KVH.

Dass die Heimfelder Eltern längere Wege in Kauf nehmen müssen, hält die KVH für vertretbar. Von der Ballung der Praxen im Zentrum des Bezirks sei nicht nur Harburg betroffen und es sind auch nicht allein die Kinderärzte. „Diese Konzentration auf die Bezirkszentren hat den Vorteil, dass alle Patienten die Praxen gut mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichen können“, sagt Bollmann. „Wir halten einen Weg von bis zu einer halben Stunde für vertretbar.“

Damit wäre zwar eine Busfahrt von Heimfeld zum Harburger Ring zu schaffen, wer jedoch in Francop oder Neuenfelde auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, kommt mit einer halben Stunde nicht aus: Die nächsten Kinderarztpraxen sind in Neuwiedenthal.

Und dass sie theoretisch überversorgt seien, können die Eltern im Heimfelder Spielkreis nicht nachvollziehen: „Ich habe für meine Töchter zwar einen Kinderarzt, würde aber gerne wechseln“, sagt Michael Blohm. „Es nimmt mich aber kein Kinderarzt an., weil ich bereits registriert bin.“

Andere Eltern nicken. Ihnen ergeht es ähnlich. Ihre Kinderärzte nehmen nur noch frisch nach Harburg gezogene Patienten oder Neugeborene an – und das auch nur, wenn das Baby nicht schon Geschwister bei einer anderen Praxis hat. „Ich fühle mich als Patient in der freien Arztwahl eingeschränkt“, sagt Michael Blohm. „Ich komme mit dem Arzt meiner Kinder nicht klar und kann ihn nicht wechseln. Das geht doch nicht.“

Die Kassenärztliche Vereinigung weiß von diesem Vorgehen der Harburger Kinderärzte nichts, sieht darin aber grundsätzlich keinen Regelverstoß. „Die freie Arztwahl bedeutet, dass keinem Patienten ein Arzt zugewiesen werden darf, sondern sie sich selbst einen Arzt ihres Vertrauens suchen können“, sagt Dieter Bollmann. „Ein Arzt darf aber durchaus Patienten ablehnen, wenn er so überlastet ist, dass er ihre Versorgung oder die anderer Patienten nicht mehr gewährleisten kann.“ Sprich: Jeder Patient darf sich gerne einen Arzt suchen, wenn er denn einen findet. Besonders beliebte Ärzte werden wohl häufiger Patienten abweisen– und seien sie noch so klein.

Einige Eltern versuchen deshalb gar nicht erst, einen Kinderarzt zu finden und nehmen ihren Nachwuchs mit zum Hausarzt. Die Kassenärztliche Vereinigung rät davon nicht ab: „Auch die Fachärzte für Allgemeinmedizin lernen in ihrer Weiterbildung, kranke Kinder zu versorgen.“, sagt Dieter Bollmann. „Gerade da, wo eine längere Beziehung zwischen Familien und ihrem Hausarzt besteht, wird dieses Fachwissen auch in Anspruch genommen.“

Anders, als die KVH will die Gesundheitsbehörde dafür sorgen, dass auch kleinere Quartiere wieder mit Fachärzten versorgt werden (das Abendblatt berichtete). Und die Heimfelder Eltern? „Ich hoffe einfach, dass meine Kinder nicht so oft krank werden“, sagt Reno Rückert.