Das Internet spielt eine wichtigere Rolle als Friedhöfe, sagt Kulturhistoriker Norbert Fischer

Elstorf. Friedwälder, digitale Trauer und Gräber für Fußballfans: Der Kulturhistoriker Professor Norbert Fischer von der Universität Hamburg referiert am Donnerstag, 14. November, 19.30 Uhr, im Gemeindehaus Elstorf, über den Umbruch in der Bestattungskultur. Die Abendblatt-Regionalausgabe Harburg & Umland sprach vorab mit ihm über die neuen Trends und die Auswirkungen auf Kirchengemeinden und Friedhöfe.

Hamburger Abendblatt:

Herr Professor Fischer, wo möchten Sie beigesetzt werden?

Norbert Fischer:

So, wie es gar nicht erlaubt ist: Ich möchte, dass meine Asche am Ostseestrand auf der Halbinsel Graswarder bei Heiligenhafen verstreut wird. Ich habe als Vogelwart auf Graswarder gearbeitet und den Ort sehr gemocht. Aber bislang gibt es den Friedhofszwang. Egal, ob es sich um eine Erd- oder Feuerbestattung handelt.

Denken Sie, dass diese Richtlinien angesichts des Wandels in der Bestattungskultur gelockert werden?

Fischer:

Wir sind bereits auf dem Weg. Die Bestattung ist ja Ländersache, und Bremen ist schon dabei, den Friedhofszwang aufzuheben. Ein Zeichen, dass viele auf den Umbruch reagieren.

Worin macht sich der Wandel besonders bemerkbar?

Fischer:

Es gab in den vergangenen Jahren einen stetigen Zuwachs an Feuerbestattungen. Sie übersteigt in der Zahl inzwischen sogar die Erdbestattungen. Das ist schon bemerkenswert, da es die Feuerbestattungen erst seit 135 Jahren gibt. Vor allem in den Städten sind sie sehr verbreitet. In Hamburg zum Beispiel beträgt der Anteil an Urnenbestattungen etwa 70 Prozent. In urbanen katholischen Regionen hingegen ist der Prozentsatz verhältnismäßig gering. Das liegt allein daran, dass die katholische Kirche die Feuerbestattungen erst 1964 zugelassen hat.

Aber die Feuerbestattungen sind doch nicht selten anonyme Bestattungen. Ist das für die Hinterbliebenen nicht ein großes Problem, keinen Ort zum Tauern zu haben?

Fischer:

Fischer:

Paar-Grabanlagen zum Beispiel. Das heißt, schwule oder lesbische Pärchen können sich gemeinsam bestatten lassen. Das sieht dann aus wie ein hübscher Garten. Die Urnen werden irgendwo am Baum oder anderswo verbuddelt. Und auf Stelen werden die Namen der Beigesetzten genannt, teilweise mit Leerstellen für den Namen des Partners, der noch folgen wird. Ein anderes Beispiel sind die HSV-Fangräber auf dem Friedhof in Hamburg-Altona. Diese neuen Formen des Begräbnisses spiegeln auch die geänderten Strukturen der Gesellschaft ab.

Inwiefern?

Fischer:

Die Familie und die Nachbarschaft spielt heute nicht mehr eine so große Rolle wie früher, deshalb finden Einzel- und Familiengräber immer weniger Anklang. Noch dazu setzt ein teures Denkmal voraus, dass es besucht wird. Das ist heute aber immer seltener möglich, da die Angehörigen oft deutschlandweit verteilt ist.

Was heißt das für die heranwachsende Generation? Wie wird sie trauern?

Fischer:

Die Tendenz geht dahin, dass der Ort der Bestattung und der Trauer weiter auseinander fallen. Das ist unter anderem an den Unfallkreuzen ersichtlich, die beispielsweise an der B 73 in der Nähe von Neu Wulmstorf oder zwischen Quarrendorf und Brackel aufgestellt wurden. Das ist eine neue Erinnerungskultur junger Menschen. Sie nutzen auch die sozialen Netzwerke für ihre Form der Trauer. Bestes Beispiel ist die Facebook-Seite eines jungen Mannes aus der Nähe von Freiburg im Breisgau, der bei einem Badeunfall umgekommen ist. Seine Facebook-Freunde bekunden auf seiner Internet-Seite ihre Trauer.

Auf den Friedhof gehen die jungen Menschen also nicht?

Fischer:

Nein, da kriegt man sie nicht mehr hin. Sie praktizieren ihre Trauer in der Öffentlichkeit.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Zukunft der Friedhöfe?

Fischer:

Friedhöfe mit Grabstellen, so wie wir sie kennen, werden langfristig nicht überleben können. Stattdessen wird es ein Patchwork aus Miniaturanlagen geben mit Fußballfeldgräbern neben Paargräbern und Begräbnisstätten von Aidskranken. Das ist schon am Ohlsdorfer Friedhof abzulesen.

Fischer:

Sie müssen neue Angebote machen. Möglich wären etwa Meditationsfelder oder Trauerpfade. Die Bedeutung der Einzel- und Familiengräber wird abnehmen.