Der Club im Harburger Bahnhof setzt bewusst wieder auf eine geballte Ladung Jazzkonzerte - die Kulturbehörde unterstützt das

London, Brüssel, Berlin – die Metropolen Europas stehen in diesem Herbst auf dem Tourneeplan der aus Birmingham stammenden Jazzsängerin Julie Dexter. Ihre „New again“-Tour führt die international bekannte Künstlerin am 10. November auch nach Harburg. „Jazzclub im Stellwerk, Hamburg“ lautet die Adresse im Kalender ihrer Homepage. Der Britin dürfte vermutlich nicht bekannt sein, dass der frühere reine Jazzclub seit dem 31. Dezember 2011 nicht mehr existiert. Der Livemusik-Club im Harburger Bahnhof aber schon, schließlich hat er die Britin gebucht. Und seit neuestem präsentiert die Bahnhofsbühne „Stellwerk“ so viel Jazzmusik wie seit dem Aus für den Jazzclub nicht mehr.

Ganz verschwunden war der Jazz zwar nie aus dem „Stellwerk“. Zu gut war der Ruf, den der frühere Jazzclubbetreiber Heiko Langanke im Zusammenhang mit der Bahnhofsbühne aufgebaut hatte. „Eine der besten Jazzadressen in Norddeutschland“ schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Auf die Marke „Jazz“ zu verzichten, wäre dumm gewesen. Aber die neuen jungen Betreiber des Clubs brachten zusätzlich den HipHop und Techno in die Bahnhofsbühne, um sie zu einem Stadtteil-Kulturzentrum zu entwickeln und überlebensfähig zu machen.

Nun ist der Jazz zurück, stärker als je zuvor im neuen „Stellwerk“. Kein anderes Genre ist so dominant im November-Programm der Bahnhofsbühne. „Wir buchen sogar wieder annähernd so viel Jazzkonzerte wie unsere Vorstandsvorgänger“, sagt Clubchef Alexander Grieschat. Das sei kein Zufall, weil gerade viele Jazzkünstler auf Tour seien, sondern eine bewusste Entscheidung. Mancher aus dem Publikum der frühen Clubgeschichte soll sich kritisch zur Quersubventionierung der kulturellen Arbeit geäußert haben. Dem alten Stammpublikum wurden die Fußballübertragungen auf Großleinwand und Untervermietungen an Partyveranstalter zu viel. Der Jazz ist aber auch seit Oktober so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr zurück im „Stellwerk“, weil die Hamburger Kulturbehörde einige Jazzkonzerte im Oktober, November und Dezember in der Harburger Bahnhofsbühne fördert.

Diese Zuschüsse unter dem Titel „Jazzschiene“ helfen das Risiko für einige geplante Konzerte im Herbst und Winter zu verringern, sagt „Stellwerk“-Sprecher Alex Schmitz. Die Entscheidung, dem Jazz wieder mehr Bühne zu bieten, sei bereits im Frühjahr gefallen. Hamburg brauche Plätze, in denen sich Kultur entfalten könne. Das sei die Philosophie des „Stellwerks“.

In noch fünf Konzerten zeigt sich der Jazz im November so facettenreich im Harburger „Stellwerk“, dass Liebhabern des Genres um Ausreden verlegen sein dürften, überhaupt eines nicht zu besuchen. Zwei herausragende Sängerinnen, deren Persönlichkeiten unterschiedlicher kaum sein könnten, wetteifern dabei um den Titel „Konzert des Monats November“: die Britin Julie Dexter (Sonntag, 10. November, 19 Uhr) und die kosmopolitische Wahlberlinerin Lily Dahab (Sonnabend, 23. November, 20 Uhr).

Stark, unnahbar, göttinnengleich inszeniert sich Julie Dexter auf dem Cover ihrer aktuellen CD „New again“. So kommt auch äußerlich ihre Affinität zu Ikonen wie Ella Fitzgerald oder Billie Holiday, den Göttinnen des Jazzgesangs zum Ausdruck. Die Britin verschmilzt Jazz, Soul und Funk mit Einflüssen aus der Karibik, woher ihre Eltern stammen.

Die zauberhafte Lily Dahab, früher eine Musicalsängerin, kommt dagegen feengleich verspielt daher. Politische Anspielungen in ihren Liedern verschlüsselt die argentinische Sängerin poetisch. Ihr aktuelles Album „Huellas“ (deutsch: Spuren) enthält ausschließlich argentinische Lieder. Musikalisch steht Lily Dahab für einen Mix aus Tango, Samba, Folk und wohl dosiertem Jazz.

Stefan Waldow (Freitag, 8. November, 19 Uhr) ist ein Harburger im Hamburger Exil. Der Pianist und Sänger bringt Chanson, Pop und Jazz so zusammen, dass Fans der Chansonette Anett Louisan ihn eigentlich lieben müssten. Stefan Waldow kommt mit Band und singt von heimlichen Sex hinterm Vatikan.

Manche halten den Österreicher Clemens Hofer für den besten Posaunisten seines Landes. Zusammen mit Michiru Ripplinger (Gitarre) und Wolfgang Kendl (Schlagzeug) bildet er das „TrioBOOT“ (Mittwoch, 13. November), 19 Uhr). Wie zeitgenössische Jazzer es lieben, brechen sie klischeehafte Formen, um in Improvisationen überzuleiten. Dass das nicht gefühllos sein muss, zeigt die Ballade „Für Emilia“, die Hofers einer kleinen Tochter gewidmet hat.

Wer dem Sound der Hammondorgel nicht widerstehen kann, der ist bei „Woodpeggs Organ Lab“ (Sonntag, 17. November, 20 Uhr) goldrichtig. Das Trio erforscht neue Möglichkeiten, den Orgelsound mit Jazzgitarrensounds und Schlagzeug zu verschmelzen.