Seltsamer Fund auf einer Baustelle in Winsen. Wer begrub die Tiere auf dem Klosterfriedhof?

Winsen. Bei Grabungen des Archäologischen Museums Hamburg auf der Baustelle eines Geschäftshauses mit Restaurant in der Altstadt von Winsen hat das Grabungsteam die 500 Jahre alten Knochen von drei Schweinen entdeckt. Der Fund gibt den Archäologen Rätsel auf: Denn die Tiere sind nach Ansicht des Kreisarchäologen Jochen Brandt auf dem früheren Friedhof des 1528 von einem Feuer zerstörten Franziskanerklosters bestattet und nicht einfach entsorgt worden. Ein Schweinegrab und ein christlicher Friedhof passen aber einfach nicht zusammen.

In dem feuchten Winsener Marschboden haben die Skelette der drei offensichtlich nicht ausgewachsenen Schweine die fünf Jahrhunderte prächtig überdauert. Mehrere Gründe sprächen dafür, dass das Borstenvieh bestattet worden ist. Die Tiere liegen im Boden auf der gleichen Höhe wie die menschlichen Gräber, auf die die Archäologen im vergangenen Jahr gestoßen sind. Das Schweinegrab störe keines der menschlichen Gräber. Und: Die Knochen wirken wie hineingelegt und nicht bloß hineingeschmissen.

Eine Erklärung dafür hat Jochen Brandt nicht: „Auf einem christlichen Friedhof kann ich mir keinen heidnischen Brauch vorstellen“, sagt der Archäologe. Andere Wissenschaftler, die auf die Klostergeschichte spezialisiert sind, sei das Phänomen auch unbekannt. Jochen Brandt hat sich mit dem Winsener Fund an die Fachstelle für franziskanische Forschung in Münster gewandt. Auch dort gibt es das Ritual bestatteter Schweine keine Erklärung.

Jochen Brandt vermutet eine noch unbekannte Symbolik, die irgendwie mit dem Franziskanerorden in Verbindung stehe. Der Winsener Heimatforscher Jürgen Klahn hat den Kreisarchäologen auf einen Ausspruch hingewiesen, mit dem der Papst dem Ordensgründer Franz von Assisi eine Audienz verweigert haben soll. Das Kirchenoberhaupt soll damals dem später Heiliggesprochenen mit den Worten abgewiesen haben, Franz von Assisi solle lieber den Schweinen predigen. Jochen Brandt wird das Archäologische Institut der Universität Hamburg informieren. Das Schweinegrab auf dem Klosterfriedhof biete Stoff für eine Bachelor-Arbeit.

Jochen Brandt, der Grabungstechniker Willi Müller und zwei Helfer mussten unter erschwerten Bedingungen das im Boden liegende kulturelle Erbe dokumentieren. Die Bauarbeiten liefen während der Ausgrabung weiter. Immer wenn Lastwagen mit dem Aushub davonfuhren, nutzte das Grabungsteam die Gelegenheit, das mittlerweile bis zu drei Meter tiefe Fenster in die Vergangenheit zu erkunden. Die Bauarbeiter waren sensibilisiert. Einer von ihnen hat eine etwa 700 Jahre alte Bügelschere aus Eisen gefunden.

Von einer weiteren Entdeckung erhoffen sich die Archäologen neue Erkenntnisse in ein bisher kaum bekanntes Kapitel der Winsener Geschichte. Wann und wie genau sich das im Jahr 1158 erstmals erwähnte Dorf zu einer Stadt entwickelt hat, gilt noch als ungeklärt. Ein Stück frei gelegter Graben führt offensichtlich in das 13. Jahrhundert, also genau die Zeit, die bisher noch im Trüben liegt. Mit Flechtwerk haben Menschen den Graben befestigt, wie an den frei gelegten Böschungen deutlich zu erkennen ist. Jochen Brandt ist sich sicher, dass es sich um einen Entwässerungsgraben handeln muss. „Der Graben zeigt, wie das Gelände urbar gemacht wurde“, sagt er. Darin verarbeitete Hölzer hat er zur Zeitbestimmung an das Archäologische Institut in Berlin geschickt. Im April 2012 hat das Archäologische Museum Hamburg auf der Baustelle in der Winsener Altstadt mehrere Totenschädel entdeckt. Sie gelten als erster archäologischer Hinweis auf das 1528 von einem Feuer zerstörte Franziskanerkloster. Zuvor hatten nur Schriftstücke die Existenz des Klosters in Winsen bestätigt. Für Aufsehen sorgte der „Befund 107“, ein recht gut erhaltener Totenschädel. Mittlerweile haben die Wissenschaftler mehr über das Schicksal herausgefunden, das hinter dem 500 Jahre alten Knochenfund steckt.

„Befund 107“ ist eine Frau gewesen, 40 bis 60 Jahre alt. Ihre Zähne waren von Karies und Parodonthose zerfressen. Sie muss schwer gelitten haben. Aus den Knochen konnten Experten „lesen“, dass sie einen stark deformierten Hüftknochen hatte. Ein Beckenbruch sei zu damaliger Zeit das Todesurteil gewesen, sagt Jochen Brandt. Vermutlich sei sie in dem Kloster gepflegt worden. Dafür seien die Franziskaner bekannt. Andere Knochenfunde stammen von vier Männern und einem 14 bis 16 Jahre alten Jugendlichen. Die Männer seien „relativ gut“ genährt gewesen und alt geworden. Möglicherweise waren sie Mönche.