Wie die Liebe zum Kaninchen entsteht, warum es immer weniger Züchter gibt und wo die Tiere am diesem Wochenende zu sehen sind

Hollenstedt/Nenndorf. Es ist spät geworden an diesem Abend, nach 22 Uhr. Der Bau-Polier Jürgen Schink kommt nach Hause, seine Frau wartet. Ins Haus aber will er noch nicht. Er geht über seinen Hof in Nenndorf zu seinen Kaninchen, die in den selbst gebauten Ställen sitzen. Einen seiner grauen Widder, die als einzige Kaninchen-Rasse die Ohren nach unten tragen, setzt er auf einen Tisch und schaut dem entspannt hoppelnden Tier ein wenig zu. „Dabei steigt Freude in mir auf, ich werde ruhig und vergesse den ganzen Stress des Alltags“, sagt Schink.

Manchmal dauern die nächtlichen Treffen zwischen Mensch und Kaninchen länger als eine Stunde. Drinnen wartet die Ehefrau und fragt sich, was ihr Mann wohl so lange macht. Es ist mehr als die Freude eines Züchters. „Wir leben mit unseren Tieren“, sagt der 63-Jährige: Mit den Weißen Wienern mit ihren blauen Augen und seit mehr als 40 Jahren mit seinen Widdern.

Die Zucht ist eine Wissenschaft für sich. Immerhin 370 Rassen und verschiedene Farbschläge werden derzeit bundesweit aufgezogen. Ihre typischen Merkmale wie Körperform, Gewicht, Fellhaar oder Farbe sind im Standard 2004 aufgelistet, einer Lose-Blatt-Sammlung, die ständig ergänzt wird. Sie ist die „Bibel“ der Züchter. Knapp 140.000 von ihnen sind im Zentralverband Deutsche Rassekaninchen Züchter (ZDRK) organisiert. Darunter gibt es Landes- und Landkreisverbände und die einzelnen Vereine. „Wer sich über uns lustig macht“, sagt Schink, „weiß nicht, was wir über Vererbung, über das Futter und die Gesundheit der Tiere wissen müssen.“

Doch dieses Wissen, die Leidenschaft für Rammler und Häsinnen, flaut ab. Seit dem Jahr 2000 haben bundesweit mehr als 40.000 Züchter aufgegeben. In Niedersachsen sank die Zahl im selben Zeitraum von knapp 7500 auf 5088, in Hamburg von 800 auf 592. Vereine verlieren ihre Mitglieder und müssen sich mit anderen zusammenschließen. Kein Wunder, denn Kaninchen-Liebhaber sind im Schnitt älter als 60 Jahre, wie Heinz Kirchner weiß, der Vorsitzende des Landesverbandes Hamburger Kaninchenzüchter.

Die Zucht scheitert mitunter auch einfach an der engen Bebauung. Denn nur wer genug Platz hat, kann Ställe aufstellen. „Wir dürfen aber auch in Kleingärten keine Tiere mehr halten und die neuen Tierschutzgesetze schreiben immer mehr Auflagen vor“, sagt Kirchner. Mehrfach sollen die Halter täglich nach den Tieren sehen, die Stallgröße werde vorgeschrieben. Kirchner erwartet sogar, dass Halter künftig eine Prüfung ablegen müssen. Das dürften, glaubt der langjährige Züchter, der im Klub HH 44 Wilhelmsburg-Ost aktiv ist, viele Kaninchen-Liebhaber kaum mitmachen und ihr Hobby ein für alle Mal beenden. „Dabei sind wir Tierfreunde und stützen uns auf Erfahrungen aus 500 Jahren“, sagt Kirchner. Solange schon werden die Nager von Menschen als Haustiere gehalten.

Karl Röhrs hat mit elf, zwölf Jahren angefangen. Opa und Vater, die beide auch Karl hießen, besorgten ihm das Holz für seinen ersten Ställe. Bei einer Schau in Bremervörde sah der Junge einen Rammler mit tiefschwarzen Fell und verliebte sich in die Rasse, die er noch heute züchtet. Alaska ist ein graziles Kaninchen, das kaum schwerer wird als vier Kilogramm.

Damals, 1957, ging es vor allem um das Fleisch. Heute bekommen außer der eigenen Familie nur noch gute Freunde mal ein geschlachtetes Kaninchen. Lieber verkauft Röhrs ein für seinen Wuchs ausgezeichnetes Tier lebend, durchschnittlich für 60 Euro. „Höchstpreise will ich nicht erzielen. Denn ich sehe die anderen Züchter eher als Kollegen denn als Wettbewerber.“

Nur für einige Jahre, bis kurz vor der Jahrtausendwende, hatte Röhrs mit Angora-Kaninchen versucht, mit seiner Zucht etwas zu verdienen. Damals wurden weltweit rund 500 Tonnen Angora-Wolle pro Jahr gehandelt. Nur etwa fünf Tonnen davon kamen aus Deutschland. In Lübeck nahm eine Sammelstelle die Wolle per Kilogramm entgegen. Gut bezahlt immerhin. „Damals“, erinnert sich Röhrs, „stieg der Preis von 50 auf 145 Mark pro Kilogramm.“ Das jedoch brachte rasch ganz neue Wettbewerber ins Spiel. Kurz vor der Jahrtausendwende kauften Agenturen offensichtlich im Auftrag von Chinesen Zuchttiere zu Höchstpreisen auf. Kurz darauf hatten die Asiaten den Markt an sich gezogen und importierten die Wolle billig nach Deutschland. Für Röhrs war das Geschäft damit beendet. „Die Sache konnte ich vergessen.“

Tatsächlich ist mit Kaninchen auch heute nichts zu verdienen. Die Futterpreise steigen. Ein Bund Stroh kostet 1,80 Euro, ein Bund Heu drei Euro. Dazu kommen Kraftfutter, dessen Preis für einen 25-Kilogramm-Sack innerhalb von zehn Jahren von knapp acht auf 11,50 Euro gestiegen ist. Auch für die Felle der Tiere interessiert sich kaum jemand.

Immerhin: Röhrs, der 29 Jahren für die Samtgemeinde Hollenstedt als Standesbeamter und Kämmerer gearbeitet hat, nutzt den Kaninchen-Mist. Er kompostiert ihn und streut ihn später als Dünger in seinen Garten auf dem 2500 Quadratmeter großen Grundstück am Rande der Gemeinde. Petersilie, Radieschen, Kohl, Tomaten und Gurken, die er und seine Frau Margot in Hochbeeten anbauen, gedeihen damit prächtig. Trotz allem aber bleibt das Hobby ein Zuschussgeschäft. „Bis ein Kaninchen ausgewachsen ist, hat man rund 100 Euro ausgegeben“, sagt Widder-Züchter Schinz. Nur ein Drittel davon komme über den Verkaufspreis wieder herein. „Übrig ist da nichts.“

Wer die Leidenschaft dennoch verstehen will, muss einmal einem Alaska ins Gesicht schauen, durch das weiche Fell eines Widders streicheln oder in das Arbeitszimmer von Röhrs gleich neben der Küche schauen. Dort stehen Pokale im Regal, hängen Plaketten und Wimpel an Haken an der Wand. „Uns reizt es, ein optimales Tier zu züchten. das ist unsere Kunst“, sagt Röhrs. Zweimal war er mit seinen Tieren schon Landesvizemeister. Schink stand 1984 mit einem Kaninchen sogar an der Bundesspitze. Die nächste Bundesschau ist am 15. Dezember in Karlsruhe. Dann geht es um alles. Auch die beiden Männer aus dem Landkreis werden dort sein. „Alle Züchter“, da ist Röhr sicher, „wollen einmal Bundessieger werden.“