Wiederaufbau von Flutmauern und mögliches Abholzen der Lindenallee auf dem Estedeich sorgen in Estebrügge für heftige Debatten

Jork-Estebrügge/Moorende. Ginge es nach den Vorgaben des Deichverbandes II. Meile Alten Landes, würden bei vielen Anwohnern, deren Häuser auf den Estedeichen stehen, bei extremen Hochwasserlagen die Fluten wieder durch die gute Stube rauschen. Wie vor drei Jahrhunderten, als es noch keine Sperrwerke gab, wären Häuser auf den Deichen, wie das von Ingrid und Bernd Voltmer in Moorende wieder Flutschutzbauten für das von Hochwasser bedrohte Hinterland. Weil viele Estebrügger aufgefordert wurden, die alten Flutmauern zwischen ihren Häusern wieder zu errichten, ist die Verunsicherung der Deichbewohner groß, und in neu gegründeten Interessengemeinschaften im Alten Land regt sich Widerstand.

Seit nach den Deichschauen im Frühjahr vor allem im Bereich der Lühedeiche zahlreiche ortsbildprägende Bäume vom Deichverband entfernt wurden, beobachten die Altländer Bürger nun kritisch alle Entscheidungen der Deichrichter.

Waren es jüngst fast 200 Jahre alte Eichen in Moorende, so galt die Aufmerksamkeit bei der Este-Deichschau in Estebrügge der örtlichen Lindenallee. Denn derzeit stehen weitere 36 Bäume auf der „Sägeliste“ des Deichverbandes.

Im Gespräch mit den Estebrüggern gab Oberdeichrichter Uwe Hampe zunächst „Entwarnung“ für die Lindenallee: „Solange von ihnen keine Gefahr ausgeht, werden wir hier keine Linden entfernen“, sagte Hampe. Das Argument, dass die Lindenallee wie die Häuser auf dem Deich als ortsprägendes Ensemble erhalten bleiben soll, sei zweitrangig. „Deichschutz geht immer vor Denkmalschutz.“

In diesem Zusammenhang hatten auch zahlreiche Estebrügger Aufforderungen vom Deichverband bekommen, die alten Flutmauern zwischen ihren Häusern wieder aufzubauen. So empfingen Estebrügger Bürger und Mitglieder der neugegründeten IG Este die Deichgeschworenen erneut mit unbequemen Fragen. Denn die Deichgeschworenen berufen sich auf das Niedersächsische Deichgesetz von

1963, das in den Jahren 2004/2005 novelliert wurde. Demnach dürften auf den Altländer Deichen an Este, Lühe und Schwinge weder Bäume noch Häuser stehen, so der Oberdeichrichter der II. Meile Alten Landes, Uwe Hampe. „Wir sind an die Gesetze gebunden und für die Deichsicherheit verantwortlich“, sagt Hampe, deshalb seinen auch die Flutschutzmauern wieder aktuell.

Estebrügger Deichbewohner wie Hans-Heinrich Winter sehen die neuen Vorgaben im Widerspruch zu den Baugenehmigungen aus den 1960er-Jahren. „Nachdem 1958 das kleine Este-Sperrwerk bei Cranz gebaut wurde, hieß es, dass keine Extremfluten mehr kommen und wir freizügiger bauen und umbauen können“, sagt Winter. Sowohl Deichverband als auch das für die Este zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) segneten die Bauanträge damals ab und viele Flutmauern verschwanden, so Winter.

So auch am gegenüberliegenden Esteufer in Moorende. „Die alten Nachbarn erinnern sich noch, dass sich vor dem Sperrwerksbau bei Extremhochwasser die Fluten durch die Fenster im Erdgeschoss und über die Flutmauern ergossen“, sagt Bernd Voltmer, der auf dem Estedeich in einem Haus wohnt, dass dort um 1780 erbaut wurde.

Dass Hochwasserschutz für das Hinterland nun wieder nach diesem Uralt-Prinzip praktiziert werden soll, finden seine Frau Ingrid und er wenig beruhigend. „In den vergangenen 50 Jahren haben die meisten Anwohner ihre Häuser baulich modernen Standards angepasst, Stromversorgungs- und Heizungsanlagen in den Erdgeschossen installiert. „Da kann man bei Hochwasser nicht mal eben alles Notwendige ins Obergeschoss tragen und unten alles weitere dem Wasser überlassen“, sagt Voltmer.

Genau wie Familie Winter und andere Estebrügger haben auch Voltmers registriert, dass sich die Estepegel und Fließgeschwindigkeiten verändert haben. „Klimawandel und Elbvertiefungen haben da sicher Einfluss“, sagt Winter. An seinem Grundstück hatte das WSA die alte Deichsicherung mit geraden, hohen Spundwänden abgebaut und mit einer schrägen Steinbefestigung ersetzt. „Die wird jetzt häufig unterspült, wenn die Este eine bestimmte Pegelhöhe hat“, sagt Winter.

Nicht nur dass ihm nun ein Stück Hof und Garten, für das die Familie noch Steuern zahlt, am Grundstück verloren gegangen sind, vor allem dass sich die Gehwegplatten auf dem Hof immer mehr senken und absacken, führt Winter auf die Deichveränderung zurück.

„Wir haben von dieser Baumaßnahme nur Nachteile und Schaden“, ärgert sich das Rentnerehepaar Winter. Und nach mehr Sicherheit sehe dies auch nicht aus. Statt die alten Flutmauern wieder zu thematisieren, sei ein Hochwasserschutzkonzept für den gesamten, vor allem den oberen Flusslauf, unumgänglich. „Vielleicht müsste das Este-Sperrwerk auch früher geschlossen werden, damit von der Elbe bei entsprechend kritischen Wetterlagen nicht so viel Wasser hereindrückt“, sagt Winter.

Wie viele ihrer Nachbarn stören sich Voltmer und Winter daran, dass der Deichverband bei Kleinigkeiten wie einzelnen Bäumen und den Flutmauern auf die Härte des Gesetzes verweist, aber andererseits „Ausnahmegenehmigungen für große Neubauten im Deichbereich am laufenden Band erteilt werden“.

Schaue man sich die neuen Wohnhäuser im Este-Außendeich zwischen Neuland und Buxtehude an, müsse man sich fragen, ob die Deichrichter und ihr technischer Berater Friedrich Tönjes mit zweierlei Maß messen, stellt auch Rainer Podbielski von der IG-Este in den Raum. „Das neue KLEE-Projekt zum Hochwasserschutz sei ein erster richtiger Ansatz für die Este“, sagt Podbielski.

Bei der nächsten Sitzung des Bau- Planungs- und Umweltausschusses der Gemeinde Jork, am heutigen Mittwoch, 30. Oktober, um 18.15 Uhr im Schulzentrum Jork, werden Vertreter des Deichverbandes und alle Beteiligten die strittigen Punkte zum Thema Deichschutz noch einmal intensiv miteinander diskutieren.