An der Eißendorfer Straße residieren die Harburger Freimaurer – in einem schlichten Mehrfamilienhaus. Nur selten öffnen sie ihr Allerheiligstes

Harburg. Eißendorfer Straße 27. Ein schlichtes Mehrfamilienhaus. Vier Stockwerke, weiß geflieste Fassade. Ein paar Stufen führen zur von Glasbausteinen umrahmten Tür. Zum 70er-Jahre-Chic kontrastiert der goldene Schriftzug über dem Eingang: „Logenhaus“. Darüber prangen Winkelmaß und Zirkel. Ein Freimaurer-Symbol.

Gleich zwei Bruderschaften haben hier ihr Quartier. Allwöchentlich treffen sie sich – meist unbemerkt. Logen sind von Geheimnissen umwittert. Kaum jemand weiß Genaues. Aber in vielen Köpfen spuken Vorstellungen von schwarzer Magie und Verschwörungstheorien. Dass eines der Freimaurer-Symbole – das „allsehende Auge" im Zentrum einer Pyramide – auf Dollar-Noten abgebildet ist, leistet der Fantasie Vorschub.

Die Brüder möchten ihr mystisches Image gern loswerden. Beide Logen laden deshalb regelmäßig zu „Gästeabenden“ ein. Frisches Blut täte ihnen gut. Die Loge „Zur Erkenntnis“, die im kommenden Frühjahr 100-jähriges Bestehen feiert, zählt momentan 33 Brüder. Handwerksmeister, Rechtsanwälte, Ingenieure und Kaufleute im Alter von 30 bis Ende 80. Die Loge „Ernst August zum goldenen Anker“ von 1858 hat heute etwa 45 Mitglieder.

Dass Logen Einblick gewähren und Freimaurer sich zu erkennen geben, ist verhältnismäßig neu. Im vergangenen Herbst bereits feierte die älteste Loge Deutschlands in Hamburg ihren 275. Gründungstag mit Ausstellungen und Aktionen. Früher wäre das undenkbar gewesen. Logen waren „Mysterienbünde“, Brüder erkannten einander an geheimen Zeichen.

Denn seit jeher wurden Freimaurer verfolgt. Ihre Weltanschauung beruht auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität – den Grundwerten der französischen Revolution. Geistliche wie weltliche Machthaber aller Epochen vermuteten in den Freidenkern potenzielle Umstürzler. Im Nationalsozialismus und in der DDR waren Bruderschaften verboten. Die katholische Kirche erklärt bis heute – in Einigkeit mit dem Islam – dass der Glaube an Gott mit dem Freimaurertum unvereinbar sei.

Dabei waren die Begründer der Bewegung Männer, die dem Christentum in den Städten Europas himmelsstrebende Wahrzeichen setzten: Steinmetze, die im Mittelalter quer durch den Kontinent zogen, um Kathedralen zu errichten. Gebildet, welterfahren und niemandes Untertan, besaßen sie einen für ihre Zeit ungewöhnlich weiten Horizont. In den Bauhütten tauschten sie Gedanken mit Gleichgesinnten aus.

Es hat sich nicht viel geändert. Logenbrüder halten heute Vorträge zu selbst gewählten Themen und diskutieren gesellschaftlich Relevantes. Religion und Parteipolitik sind tabu. „Wir versuchen, zu besseren Menschen zu werden. Wir sehen uns bildlich gesprochen als raue Steine, die es – jeder für sich – zu bearbeiten gilt. Wir Freimauerer bauen symbolisch an der Kathedrale der Menschlichkeit“, erklärt Jürgen Lüken.

Der 54-Jährige Bauingenieur ist in der Loge „Zur Erkenntnis“ der „Meister vom Stuhl“. So lautet der Titel des Vorsitzenden in der Symbolsprache der Freimaurer. Auch Zeremonien und Rituale stammen aus der Epoche der Aufklärung und werden fast unverändert praktiziert. Jeder „Suchende“ hat für die Aufnahme in die Bruderschaft schriftlich drei „existenzielle Fragen“ zu beantworten. Allein in einem nur durch eine Kerze erhellten Gelass, neben sich Totenschädel und Sanduhr als Zeichen der Endlichkeit des Lebens.

Wer aufgenommen ist, leistet fortan einmal monatlich „Tempelarbeit“. Den Harburger Freimaurern dient ein Kellerraum als Allerheiligstes, erleuchtet durch blaues Licht, einen Sternenhimmel aus Leuchtdioden und auf drei weißen Säulen drapierten Kerzen. Kein Außenstehender darf der Zeremonie beiwohnen

„Tempelarbeit kann man sich wie eine Art Schauspiel vorstellen“, verrät Jürgen Lüken. Die Brüder tragen Smokings, um die Hüften einen Schurz, der an das Steinmetzhandwerk erinnert, Schärpe und Zylinder. Kern des Ritus sind Wechselgespräche mit festgelegten Rollen und historischen Texten. Die vertrauten Formeln und Handlungen, Kerzenschein und Musik wirken meditativ. „Daraus schöpfen viele unserer Mitglieder eine gewisse Kraft“, weiß der Sinstorfer.

Freimaurer haben im Laufe der Jahrhunderte zuweilen Geschichte geschrieben. Die amerikanische Verfassung wurde von 13 Logenbrüdern unterzeichnet. Der erste Präsident George Washington war Freimaurer. Ebenso der Flieger Charles Lindbergh, Englands berühmter Premierminister Winston Churchill, der Humorist Oliver Hardy. Auch in Deutschland lebten viele weltberühmte Freimaurer, darunter Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Wolfgang von Goethe, Gotthold Ephraim Lessing, Heinrich Heine und Friedrich II. Zurzeit gibt es in Hamburg 40 Logen, davon drei Frauenlogen. Insgesamt leben in der Hansestadt etwa 1500 Logenbrüder und 100 Logenschwestern.

Infos zu den Harburger Logen: www.loge-zur-erkenntnis.de , www.freimaurerei.de