Christoph Tomanek spielt mehr als ein Dutzend Rollen in „Der Ghetto Swinger“. Harburger Theater eröffnet Spielzeit

Harburg. Wer mehr als ein Dutzend unterschiedliche Persönlichkeiten innerhalb von knapp zwei Stunden annimmt, muss entweder schwer krank sein oder ein verdammt guter Schauspieler. Christoph Tomanek, 44, ist eindeutig letzteres. Der Hamburger Charakterdarsteller übernimmt in der Theaterinszenierung „Der Ghetto Swinger“ gleich ein gutes Dutzend Rollen.

Dabei mutet ihm Regisseur Gil Mehmert den größten anzunehmenden Persönlichkeitsspagat zu und lässt Tomanek sowohl den verbotenen Swing spielenden Jazzmusiker Otto Sattler als auch den KZ-Arzt Josef Mengele, einen der übelsten Verbrecher des Naziregimes, darstellen. Nach der Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen im Spätsommer 2012 zeigt jetzt das Harburger Theater das berührende Stück über das Leben des Jazzmusikers Coco Schumann ab Donnerstag, 17. Oktober, zum Auftakt der neuen Spielzeit.

Es sind mittlere und kleinere Rollen, die Christoph Tomanek neben den beiden Hauptdarstellern Konstantin Moreth als Coco und Helen Schneider als Schutzengel und Erzählerin einnimmt. Genauer gesagt sind es sämtliche übrigen Rollen, die der Schauspieler neben den Musikern im Ensemble ausfüllt und den „Ghetto Swinger“ die theatralische Komponente verleiht. Sein Vielrollenspiel im „Ghetto Swinger“ probt Christoph Tomanek extra mit der Garderobiere. Beim Umkleiden hinter der Bühne müssen die Bewegungsabläufe sitzen. Jedes Kleidungsstück liegt oder hängt an einem vorher fest vereinbarten Platz. „Das Timing des Stücks würde nicht funktionieren, wenn ich zu spät auf die Bühne zurückkehre“, sagt der Schauspieler. Nur zwei Tage probt das Ensemble am Harburger Theater, um das vor einem Jahr einstudierte Stück wieder auf die Bühne zu bringen.

„Der Ghetto Swinger“ ist nicht ganz Theater und nicht ganz Musical. Gil Mehmert hat vielmehr ein neues Subgenre geschaffen. Eine „dokumentarische Revue“ nennt Christoph Tomanek die Form der Inszenierung. Die theatralische Allzweckwaffe des Stücks liest als pflichtbewusster Verwaltungsbeamter Verbotsanordnungen der Nazis vor, während Helen Schneider dazu einen Swingsong singt. Die Szene zeigt nicht nur, wie sich absurde Verbote im Dritten Reich in der Gesellschaft bedrohlich ausbreiten. Das dokumentarische Element hebt das Stück über eine bloße musikalische Revue hervor.

„Der Ghetto Swinger“ bringt Bruchstücke der Biografie des 1924 geborenen deutschen Jazzmusikers Heinz Jacob Schumann auf die Bühne, dem eine französische Freundin später den Spitznamen Coco verpasste. Das Stück konzentriert sein Augenmerk auf die ersten 100 Seiten des vor 16 Jahren erschienenen Lebensberichts Coco Schumanns. Es zeigt den jungen Gitarristen, der das Nachtleben in Berlin kennenlernt, der von den Nazis verbotenen Swing spielt, der als „Halbjude“ in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wird und schließlich im Vernichtungslager Auschwitz zur Unterhaltung der Lagerältesten und SS um sein Leben spielt.

Meist als personifiziertes Böses spielt Christoph Tomanek viele Facetten des Dritten Reiches: den pflicht-, aber nicht schuldbewussten exekutierenden Verwaltungsbeamten, den Verräter (hier in Musikerkreisen), den Aufseher im Konzentrationslager und schließlich den Verbrecher, der mitverantwortlich für den Massenmord an Hunderttausenden Juden ist. Für manche Menschen ist die Ansicht einer SS-Uniform noch heute unerträglich – selbst als künstlerische Requisite. Bei einem Gastspiel in Schweinfurt raunzte eine ältere Dame Christoph Tomanek nach der Aufführung an: „Ich hasse Sie!“ Darstellende und dargestellte Person sind bei ihr zu einem verschmolzen. Wenn er die Uniform, das Symbol des Bösen, trage, mache das auch bei den Ensemblekollegen Eindruck, sagt Christoph Tomanek. „Man beginnt sich einzubilden, man könne sich etwas herausnehmen“, beschreibt er die Wirkung.

Millionen Menschen haben Christoph Tomanek im Fernsehen gesehen. Er ist regelmäßig in bekannten Serien zu sehen: „Soko Leipzig“, „Soko Wismar“ oder auch „Notruf Hafenkante“. Meist spielt der Wahlhamburger den Hauptverdächtigen oder Täter. Ein Mann fürs Böse also? Er nehme Rollen aus Neigung an, sagt Christoph Tomanek. Und die Bösen seien ja meist die spannenderen Charaktere. Ihn habe Christoph Waltz in „Inglourious Basterds“ fasziniert, die perfide Intelligenz des von ihm gespielten SS-Offiziers Hans Landa.

„Der Ghetto Swinger“, Vorstellungen bis 26. Oktober, Harburger Theater, Eintrittskarten zu 16 bis 32 Euro, Kartentelefon: 040/428 713 604.