Im Harburger Tesa-Werk werden jährlich über 30 Millionen Quadratmeter Klebeband produziert, darunter die dünnste doppelseitig haftende Folie der Welt. Das Meisterwerk hanseatischer Ingenieurskunst ist zehnmal feiner als ein menschliches Haar. Teil 7 der Serie „Von Harburg in die Welt“

Er kann tief durchatmen. Nicht ein einziges Staubkörnchen tanzt durch den Raum. Sauberer kann die Luft nicht sein als an diesem Ort. Er ist der Arbeitsplatz von Michael Evers. Er liegt mitten in Hausbruch, einen Steinwurf von Hafen und A7 entfernt, dort, wo Industrieschlote rauchen und täglich etwa 130.000 Autos ihre Abgase in die Luft schleudern. Kaum an einem anderen Ort in Europa ist der Raum so clean wie hier in der 3000 Quadratmeter großen Reinraumeinheit des Tesa-Werkes Hausbruch. Evers, im weißen Anzug mit Haube und Überziehschuhen bekleidet, wirft eine Zahl in den Raum, die jegliches Vorstellungsvermögen überschreitet. „Bei uns ist die Luft 1000-mal sauberer als auf einem Gebirgsgipfel.“

Es ist die erste von vielen beeindruckenden Zahlen, die das Unternehmen in Hausbruch liefert. Und die bisweilen reif wären für das Guinness-Buch der Rekorde. Alle drehen sich um ein einfaches wie faszinierendes Produkt, bei dem Tesa Weltmarktführer ist: Klebeband – oder wie es im Expertenjargon heißt – selbstklebende Systemlösungen.

Tesa kennt jeder. Sogar im Duden steht der Begriff. Doch kaum einer ahnt, wie vielschichtig der Einsatz dieses Produktes ist. 130 Klebmassen-Rezepturen hat das Unternehmen in petto. „Doch den Tesafilm, den jeder kennt, suchen Sie hier vergebens“, sagt Werkleiter Rüdiger Pomaska. Seine Augen funkeln, wenn er ausholt, um in die geheimnisvolle Welt der Tesa-Verarbeitung einzutauchen. Er weiß, dass er Aha-Erlebnisse schaffen kann, die Menschen zum Staunen bringen, wenn er entschlüsselt, wo überall auf der Welt ein Stück aus Hausbruch haften bleibt. „Lesen Sie Zeitung, telefonieren Sie mobil, fahren sie Auto, freuen Sie sich über Solarenergie?“ – In der Papier- und Druckindustrie sei das Band im Einsatz, verrät Pomaska. „Allein in einem Auto werden 50 verschiedene Klebebänder verklebt. Und in einem Smartphone sind rund 20 verschiedene Klebebänder enthalten.“ Ihre Verwendung macht zum einen die flachen Federgewichte immer leichter. Zum anderen lassen sich mit strapazierfähigen Tapes die Produktionsprozesse beschleunigen.

Und weil Tesa in der Entwicklung weit vorn liegt, schielt die Elektronikbranche weltweit auf das Werk in Hausbruch. Denn dort entstehen nicht nur Tapes mit Breiten von drei bis zu 1400 Millimeter, Tapes mit Längen von fünf bis zu 20.000 Metern, Tellerrollen, Stangen und Ballenware, sondern auch die dünnste doppelseitig haftende Folie der Welt. Das Meisterwerk hanseatischer Ingenieurskunst ist nur fünf Mikrometer dick – zehnmal feiner als ein menschliches Haar. Und dabei bestehen die transparenten Streifen sogar aus drei Schichten: In der Mitte befindet sich eine 2,0 Mikrometer dicke Trägerfolie, oben und unten sind jeweils 1,5 Mikrometer Acrylat-Klebmasse aufgetragen. Das Klebeband wird in Smartphones eingesetzt. Sie dienen dazu, Grafitplättchen zu befestigen, die in der Lage sind, hohe Temperaturen aufzunehmen und abzustrahlen. Denn was viele nicht wissen: einige Bauteile in Smartphones heizen sich enorm auf, punktuell sind 100 Grad möglich. Um Schäden zu vermeiden, muss die Hitze aus dem Inneren des Smartphones abgeleitet werden. Das Wärmemanagement in den extrem flachen Geräten regulieren eben diese Grafitplättchen. Und je dünner das Tape, desto besser die Wärmeleitfähigkeit. Hergestellt wird die Folie in Reinraumproduktion. Denn ein einziges Fliegenbein könnte die ganze Marge verderben.

Den Schritt in die Hochpräzision wagte Tesa vor rund vier Jahren. Das Investment in die Produktionsanlage hat sich gelohnt. „Der Technikfortschritt spielt uns in die Hände“, sagt Pomaska zufrieden. Und so liefert das Werk seine Produkte inzwischen weltweit. Gearbeitet wird rund um die Uhr in vier Schichten. Denn manchmal muss es ganz schnell gehen. Entscheidet sich ein Hersteller für die Verarbeitung einer Tesa-Folie in einem seiner Produkte, liegen zwischen Auftrag und Auslieferung oft nur zwei Wochen. Dann werden Millionen von Quadratmetern Folie in kürzester Zeit produziert und mit Flugzeug, Schiff oder Lkw zu den Fertigungsstätten gebracht. Sie landen überall dort, wo Displays zum Einsatz kommen: in Handys, Tablets, Digitalkameras, Flachbildschirmen, Navigationsgeräten und ähnlichen Geräten.

Zurückführen lässt sich der Tesa-Erfolg auf ein kleines Glas, in dem Pomaska ein großes Geheimnis hütet. „Hiermit fängt alles an“, sagt er und hält ein Glas mit schwarzem Schraubdeckel hoch. Darin schwappt eine Masse herum, die wie milchiger Honig aussieht und die Konsistenz von Schweröl zu haben scheint. Das ist der Grundstoff. Er wandert in die Produktionsanlagen, die zu den modernsten der Welt gehören und die rekordverdächtige Mengen liefern. Mehr als 30 Millionen Quadratmeter waren es im vergangenen Jahr. 95 Prozent davon gingen an die Industrie. Insgesamt 1800 unterschiedliche Endprodukte gibt es. Und weil diese immer besser werden, setzt die Industrie sie auch für gewichtigere Produkte ein wie zum Beispiel für das Verkleben von meterhohen Reklameschildern.

„Nach und nach werden Technologien wie Verdübeln und Verschweißen durch das Verkleben abgelöst werden, zum Beispiel bei der Fassadenverklebung“, da ist sich Produktionsleiter Thomas Coors sicher. Und auch in Sachen Sicherheit ist Tesa inzwischen mit dem selbstklebenden und fälschungssicheren Polymer-Etikett Priospot groß im Geschäft.

Es wird auf Produkte geklebt und ist mit einem Code versehen, den der Kunde mit seinem Smartphone über eine App an einen speziellen Computer-Server von Tesa senden kann. Das Etikett wird dort überprüft. Der Kunde weiß noch im Laden, ob es sich um Original oder Fälschung handelt. Zu den großen Kunden gehören Autozulieferer und die Elektroindustrie.

Geschäftsführer Rüdiger Pomaska weiß, dass in der Branche noch viel zu holen ist. Und dass seine Produkte verdammt gut halten. Nicht nur in der Industrie, sondern auch im Unternehmen selbst. Pomaska bringt es auf den Punkt: „Ich bin schließlich selbst seit über 30 Jahren bei Tesa kleben geblieben.“