Die Möbelhilfe Süderelbe ist im ehemaligen Harburger Zuchthaus und wird bald für immer schließen müssen

Harburg. Es ist ein Knast voller gemütlicher Sofas: Die 2000 Quadratmeter Lagerfläche der Möbelhilfe Süderelbe befinden sich im früheren Harburger Zuchthaus, quasi im Hinterhof des Amtsgerichts. In den engen ehemaligen Zellen und vor allem auf den breiten Fluren stapeln sich gebrauchte Möbelstücke und warten auf Bedürftige. Die kommen auch in einem dünnen aber steten Strom vorbei am Büro und dem riesigen Aquarium, das die Möbelhelfer mal bei einer Haushaltsauflösung gerettet haben. Sie begutachten Stücke, die einst andere im wahrsten Wortsinn besaßen und kaufen sie für kleines Geld. Das geht nun schon mehr als 25 Jahre so, aber lange geht es nicht mehr.

„Wir machen weiter, bis uns der Mut oder die Kraft verlässt, dann ist Schluss“, sagt Horst Junge, Gründer und Geschäftsführer des Vereins Möbelhilfe. Er ist 66 Jahre alt und Frührentner, seine Mit-Urgesteine auf den Fluren, Horst Weigelt und Eveline Aust sind ebenfalls schon betagt und mittlerweile unentgeltlich tätig. Auch die anderen Helfer sind ehrenamtlich bei der Möbelhilfe tätig.

Das war mal anders. Der Verein Möbelhilfe Süderelbe hatte eigene Angestellte und qualifizierte gleichzeitig Langzeitarbeitslose für den ersten Arbeitsmarkt. Das lief in Zusammenarbeit mit der Hamburger Arbeit und Beschäftigungs GmbH (HAB) – bis diese, von Kürzungsmaßnahmen getroffen, alle Kooperationen aufkündigte und seitdem nur noch eigene Projekte betreut.

Nun sitzt der Verein ohne bezahlte Mitarbeiter da, und macht eben so weiter obwohl ihm nicht nur der Mangel an Mitarbeitern zu schaffen macht: In Harburg ist der Gebrauchtmöbelhalle gleich doppelte Konkurrenz erwachsen. Am Küchgarten liegen sich zwei Sozialkaufhäuser gegenüber; eines von der Caritas, eines in privater Trägerschaft. Diese verkaufen neben gebrauchter Kleidung auch gebrauchte Möbel. „Und die liegen gleich in der Nähe der ARGE“, sagt Horst Junge, „Da gehen die Arbeitslosen viel eher hin, als zu uns.“

Zwar arbeitet die Möbelhilfe nicht kommerziell, aber Miete, Heizung und Fahrzeugkosten wollen bezahlt sein. Zumindest das muss der Möbelverkauf abwerfen.

Horst Junge war 1987 bei der Heilsarmee beschäftigt, als er für diese die Möbelhilfe aufbaute. „Die Heilsarmee hatte mit solchen Einrichtungen in anderen Ländern schon gute Erfahrungen gemacht“, sagt er. „Vor allem in der Schweiz gab es ein gut funktionierendes System. Das mussten wir uns nur anschauen.“

Wenig später zog sich die Hamburger Heilsarmee jedoch aus allen Arbeitsmarktprojekten zurück, um sich ganz auf die Obdachlosenarbeit zu konzentrieren. Junge und seine Mitstreiter blieben bei der Möbelhilfe und gründeten diese als eigenen Verein. Die Zusammenarbeit mit der HAB gestaltete sich so, dass die Beschäftigungsgesellschaft die sozialarbeiterische Betreuung der Langzeitarbeitslosen übernahm und die Möbelhilfe für Beschäftigung sorgte. Das lief zunächst über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder das Projekt „Tariflohn statt Sozialhilfe“ und in letzter Zeit über Ein-Euro-Jobs.

„Schon vor der Agenda 2010 wurden die Zeiträume für die Maßnahmen aber immer kürzer“, sagt Junge. „Damit wurde es auch immer schwieriger, Leute für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Man muss den Menschen ja erst einmal wieder Selbstvertrauen geben; dann eine Bindung aufbauen, um Zuverlässigkeit und Erfolgserlebnisse vermitteln zu können und diese Bindung zum Schluss wieder langsam lösen, damit die Mitarbeiter auf eigenen Füßen stehen können. Das kriegt man in zehn oder elf Monaten kaum hin.“

Viele Mitarbeiter hätten deshalb, nachdem ihre Maßnahme bei der Möbelhilfe beendet war, dort ehrenamtlich weitergeholfen. Einige konnten sogar direkt beim Verein beschäftigt werden. „Der letzte von diesen Kollegen ist gerade in Rente gegangen“, sagt Junge. „Wir sind froh, dass wir es schon mal so weit geschafft haben“.

Weitere Arbeitslose werden nicht kommen – außer als Möbelkunden, denn neue Ein-Euro-Stellen werden nicht mehr entstehen, im Gegenteil: Es werden weiter welche abgebaut, denn die Arbeitsagentur bezweifelt mittlerweile deren arbeitsmarktpolitischen Nutzen.

Die Konkurrenz der Möbelhilfe ist allerdings noch gut mit Ein-Euro-Stellen ausgestattet. Das ärgert Junge ein wenig; vor allem aus einem Grund: „Die haben so viele Leute und machen auch Werbung damit, dass sie gebrauchte Möbel auch abholen, aber ich haben schon von einigen Möbelbesitzern gehört, dass die mit Abholaufträgen von den beiden Läden an uns verwiesen wurden.“

Wer Möbel zu spenden hat, kann sie entweder direkt bei der Möbelhilfe, Buxtehuder Straße 9, abgeben, oder kann sie abholen lassen. Weil der Verein nur noch einen Kleinlaster unterhält und dünn besetzt ist, kann es vom Anruf bis zun Abholtermin allerdings einige Wochen dauern. Ganz kostenfrei ist die Abholung auch nicht. „Das liegt so zwischen fünf und 50 Euro“, sagt Junge. Haushaltsauflösungen würden allerdings teurer und individuell verhandelt.

Wer Möbel von der Möbelhilfe haben möchte, muss bei der Anmeldung im Büro zunächst einmal seine Bedürftigkeit nachweisen. Dann kann man stöbern gehen. Preise stehen keine an der Ware. „Die machen wir individuell. Es gibt ja Bedürftige mit mehr Geld und welche mit weniger“, sagt Junge.

Draußen im Flur möchte jemand den Preis eines Sofas wissen. Horst Junge verweist ihn auf den zuständigen Verkäufer und wendet sich wieder der Büroarbeit zu. Er macht weiter – bis ihn der Mut oder die Kraft verlässt.