Öko-Bauer Eckart Brandt hat sich den alten norddeutschen Apfelsorten verschrieben und startet ein Projekt, um sie zu erhalten

Leuchtend Rot, Sattgelb oder Mattgrün hängen die Äpfel von Eckart Brandt an uralten Bäumen. Es wirkt paradiesisch, obwohl die Ernte harte Arbeit ist. Die Äpfel verströmen einen intensiven Duft. Beim Reinbeißen veranstalten ihre Säfte und das Fruchtfleisch ein Fest für den Gaumen. Süßfruchtig, herbsäuerlich oder mildsanft: Diese Äpfel mit ihren arteigenen Aromen machen Appetit auf gesunden Genuss.

Im Apfelparadies von Obstbauer Eckart Brandt bei Großenwörden, unweit von Stade, sind der „Herzog von Cumberland“, die „Gravensteiner“, der „Gelbe Richard“, die „Horneburger“ oder der „Knebusch“ neben rund 350 weiteren alten Norddeutschen Apfelsorten heimisch. Bei älteren Jahrgängen wecken sie angenehme Erinnerungen an Zeiten, da die Äpfel vom Garten statt vom Supermarkt auf den Tisch und in Vorratskisten in den Keller kamen. Und für junge Leute sind sie köstliche Verführung zu völlig neuen Geschmackserlebnissen.

„Die alten Sorten sind bei jungen Familien wieder im Schwange und immer mehr greifen die alten Konzepte wieder auf“, sagt der Apfelexperte Brandt, der sich seit 30 Jahren für die Rettung historischer Apfelsorten engagiert. An seinen rund 1000 Bäumen in dem etwa zwei Hektar großen Sortengarten gedeihen robuste, streuobsttüchtige Sorten völlig ohne Chemie, was ihren Geschmack unvergleichlich macht. Und zu jeder Apfelsorte kann Brandt interessante Geschichten erzählen.

Jetzt, zur Erntezeit haben der 63-jährige Ökobauer und seine Frau alle Hände voll zu tun, um die Bestell-Listen termingerecht abzuarbeiten. Für die „Euro-Pom“, das europäische Apfelfestival in Hamburg verpackt Brandt die schönsten Prinzenäpfel, wie „Finkenwerder Herbstprinz“ sorgsam in Tüten und beschriftet sie. Für eine Ausstellung in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) stellt er 20 Norddeutsche Apfelspezialitäten zusammen. Dazu gehört auch der vom Aussterben bedrohte „Seestermüher“ Zitronenapfel. „Er ist ein braver, pflegeleichter Hausgartenapfel, auch Goldgelbe Renette genannt, der wunderbar süßsäuerlich schmeckt und bis Januar lagerfähig ist“, lobt Brand die Sorte.

Dass das Ehepaar heute zwei tüchtige Helferinnen beim Pflücken hat, passt bestens. Mit Pflücksäcken vor dem Bauch steigen Stina Bernhard und Jette Reißmann auf die langen Leitern, die mit Spikes im Boden ankern, in die Blätterdächer der Bäume. Die Mädchen aus der 6. Klasse der Stader Waldorfschule haben sich am sogenannten „WOW-Day“ (Waldorf One World) ihrer Schule für diese Fleißarbeit entschieden, deren Erlös für einen guten Zweck gespendet wird. „Wir waren in der dritten Klasse schon mal bei Eckart und ich fand das so interessant, dass ich diesen Praxistag hier absolvieren wollte“, sagt die 12-jährige Stina aus Stade. Anfangs habe sie großen Respekt vor den hohen Leitern gehabt, bekennt ihre Klassenkameradin Jette, „aber für die fast unerreichbar hängenden Früchte haben wir ja den Pflücker mit dem langen Stiel“, sagt die Elfjährige. Behutsam drehen die Mädchen die Früchte vom Baum und kichern, als Brandt sie bittet, zwei Tüten mit der „Stina Lohmann“ zu füllen und dann bei den „Horneburgern“ weiterzuernten.

Brandt, der zunächst in Hamburg Geschichte und Germanistik studierte, entschied sich 1983 für den Öko-Obstbau. „Mit Papierrascheln im Büro habe ich nichts am Hut“, sagt er und machte die „Pomologie“, wie die Wissenschaft der Obstsortenkunde heißt, und das Retten historischer Obstsorten zu seiner Lebensaufgabe. „Sie sind ein Kulturgut, ein Erbe, das neben dem Supermarktangeboten von vielen Menschen mehr und mehr vergessen wird“, ist er überzeugt. Das ganz große Geschäft kann man mit diesen alten Sorten nicht machen, denn sie wachsen an Hochstämmen, die viel mehr Platz als moderne Mini-Plantagenäpfel brauchen und sind weniger wirtschaftlich. Völlig natürlich gewachsen, fallen seine Tafeläpfel auch optisch aus dem scheinbar makellosen Supermarktrahmen.

„Weil sie so robust und von besonderem Charakter sind, muss man sie nicht mit Chemie spritzen“, sagt Brandt. So mancher Apfel-Allergiker könne sie wieder genießen, was bei modernen Sorten unmöglich sei. Denen wurden die fruchteigenen Phenole weggezüchtet, die eine Braunfärbung beim angeschnittenen Apfel verursachen. Man wusste offenbar nicht, dass diese Phenole eine natürliche Barriere für allergieauslösende Eiweiße sind, so der Apfelexperte.

Dass Brandt sich nur auf norddeutsche Sorten spezialisiert hat, erklärt er so: „Wenn man alles will, kann man nichts wirklich richtig machen.“ Und Brandt hält nichts von einer „Zwangsjacke für die Natur“. Mit Gleichgesinnten engagiert sich der Öko-Bauer im Pomologen-Verein, dem Apfelkundler aus ganz Deutschland angehören, gegen das Verschwinden hochstämmiger Obstbäume aus Gärten, von Wegrändern und Steuobstwiesen. Im Gegensatz zu profitableren „modernen“ Züchtungen, sind alte Obstsorten unserer Vorfahren rar und vielerorts längst nicht mehr zu finden. Oft dauert es bis zu 15 Jahre, ehe Bäume alter Sorten Früchte tragen. Apfelschützer wie Eckart Brand bringen all ihr Wissen, ihre Erfahrungen, Geduld und persönlichen Enthusiasmus ein, um das köstliche Kulturgut zu retten. Von Zweigen, etwa der ältesten deutschen Apfelsorte „Borstofer“ aus dem 12. Jahrhundert, dem „Gelben Richard“, einer Mecklenburger Sorte aus dem 19. Jahrhundert oder dem leuchtend roten Apfel des Jahres 2013 „Knebusch“, setzt der Pomologe Brandt Jungbäume auf „Unterlagen“ an. Dazu kooperiert er auch mit spezialisierten Baumschulen.

Wie seine Früchte verkauft Brandt auch die Jungbäume auf Wochenmärkten in Norddeutschland oder bietet sie via Internet an. 2004 gründete er mit Helfern den „Boomgarden“-Verein, die in Baumgärten die Jungbäume kultivieren. Jüngstes Projekt des Bauern ist ein „Boomgarden“-Park in Helmste bei Fredenbeck. Dort will er das norddeutsche Obstbauerbe bewahren und wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. „Wo im letzten Jahr noch ein Maisfeld stand, haben wir mit vereinten Kräften begonnen, ein aufblühendes Biotop zu errichten“, stellt Brandt das Projekt der Boomgarden-Regionalgruppe vor.

Seit November 2012 haben Brandt und seine 30 freiwilligen Helfer 439 Apfelbäume, 254 Hochstämme und 185 Halbstämme, gesetzt. Dazu 43 Birnen-Hochstämme, 24 Pflaumen- und 30 Kirschen-Hochstämme, insgesamt 536 Bäume von rund 240 alten Sorten. Hauptsponsoren des Projekts sind die Bingolotto-Stiftung Niedersachsen und der NDR. Noch in Arbeit oder in Baumschul-Anzucht sind knapp 100 Obstbäume in etwa 50 weiteren Sorten, die in der nächsten Saison gepflanzt werden sollen um „diese Arche“ zu füllen, so Brandt.

Zudem haben Brandt und seine Helfer auf rund 180 Metern mehrreihig eine Wildhecke aus Wildobst wie Apfelbeere (Aronien), Berberitzen, Ebereschen, Elsbeeren, Haselnüssen, Kirschpflaumen, Kornelkirschen, Mahonien, Sanddorn, Schlehen, Traubenkirschen, Wildrosen und weiteren Nahrungspflanzen für Bienen gesetzt. Die Hecke soll Bienen, Wildbienen, Schmetterlingen, Insekten, aber auch Vögeln und Menschen Nahrung bieten.