Danken verbindet – Menschen und Konfessionen. Es braucht Sprache, Töne und Gesten. Jetzt ist die Zeit, sich daran zu erinnern

Morgen ist Erntedanktag. Getreide und Mais sind geerntet. Die Äpfel im Alten Land sind noch nicht alle von den Bäumen. In Finkenwerder und Neuenfelde wird Erntedank deshalb erst am letzten Sonntag im Oktober gefeiert.

In der Region südlich der Elbe wird Erntedank traditionell begangen. Die alten Bräuche und Traditionen machen den Reiz dieses Festes aus. Mit Erntewagen, reich geschmückt, die durchs Dorf fahren. Mit der Erntekrone. In Neuenfelde wird sie am Tag vor dem Dankfest gebunden und durchs Dorf zur Kirche getragen. Vor der Kirchentür der Dank an die Helfer, mit Würstchen auf die Hand. Die Kirchen werden Überall dekoriert mit den Früchten des Feldes und der Arbeit, mit Lebensmitteln, Getreide, Kürbissen, Broten und Blumen. In Moorburg gehören zu den Gaben neben selbstgemachter Marmelade auch Malbücher. Diese gehen am Montag in die Kita „Kinderland“. Dort wird mit den Kindern Erntedank gefeiert. Kirche und Kindergärten sind schöne Lernorte fürs Danken und Teilen.

Auf der igs gibt es natürlich Besonderes. Auf der Hauptbühne wird der Erntedank der Kulturlandschaften ökumenisch eröffnet. Danken verbindet Menschen, Konfessionen. Danken fällt leichter, wenn wir mit allen Sinnen beteiligt werden. Es ist schön, in der Kirche auf Herbstblumen zu sehen, auf Weintrauben, rotbackige Äpfel und Kartoffeln. Die Früchte des Feldes, der Gärten. Ergebnisse der Arbeit von Bauern, Gärtnern und jenen, die sich am Pflanzen, Säen, Pflegen und Ernten erfreuen. Und nicht nur kaufen.

Zu den alten Bräuchen gehört auch der geschnitzte Holzteller. Eine ältere Frau zeigte ihn mir voller Stolz. Darauf die Worte aus dem Vaterunser „Unser täglich Brot gib uns heute“. Sie gehört zur dritten Generation, die auf diesen Teller morgens zum Frühstück und abends selbstgebackenes Brot legt. Sie ehrt so das Brot. Wie ich.

Wir wurden im Krieg von den Engländern aus dem Haus gewiesen. Wir kamen unter im Verwaltungsgebäude des Landeskrankenhauses in Schleswig. Auf engstem Raum. Ich hatte immer Hunger. Ein alter Privatpatient fütterte seine Kaninchen mit Brot. Er gab mir jeden Tag einen trockenen Knust. Köstlich! Wer dankbar sein möchte, braucht solche Erfahrungen. Ich kann seitdem kein Brot wegwerfen. Ich hüte die Erinnerung daran, dass Brot wie alles, was wir zum Leben brauchen, nicht selbstverständlich ist.

Vor Jahren war ich auf einer Freizeit mit Jugendlichen. Morgens, am Erntedanktag, sangen wir das Danke-Lied aus unserem Gesangbuch. Bei der Strophe „Danke für meine Arbeitsstelle“ kicherten sie zunächst. Dann prusteten sie los. „Albern, für die Arbeitsstelle zu danken!“, war der Kommentar. Jahre später gestand mir ein Mädchen, wie dankbar es war, als es nach einjähriger Arbeitslosigkeit endlich eine Stelle fand. Nichts ist selbstverständlich.

Deshalb ist der Erntedankschlager unseres Gesangbuches das Lied nach Matthias Claudius mit dem Refrain „Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn. Drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!“ Vier Mal wird hier gedankt. Einmal reicht nicht. Als Erinnerung daran, dass Danken so flüchtig ist. Und wir zu selten danken. Dankbarkeit braucht Sprache, Töne und Gesten.

Die tiefsinnigste Geste beim Erntedankfest haben wir im Michel erfunden. Am Ende des Gottesdienstes erhält jeder und jede ein Doppelbrötchen, extra von einem Bäcker gebacken. Dazu die Aufforderung: „Teilen Sie das Brötchen mit jemandem.“ Mit dem Hinz und Kunzt-Verkäufer vor dem Hauptportal. Als Zeichen des Teilens. Oder mit Ihrem Mann. Als Zeichen der Zuneigung. Oder mit einem Menschen, mit dem Sie zu lang im Streit liegen. Als Zeichen der Versöhnung. Der frühere Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer besuchte nach dem Gottesdienst einen alten Schneidermeister. Und teilte mit ihm. Der war glücklich. „Sie sind der erste Offizielle, der mich besucht.“ Das Teilen als Zeichen der Verbundenheit mit anderen Menschen.

Wir können nicht danken, ohne auf die Not in der Welt zu sehen. Ein russischer Religionsphilosoph sagt das so: „Das Brot, das ich esse, ist ein materielles Problem. Das Brot, das meinem Nachbarn fehlt, ein spirituelles.“ Ich übersetze das in die Sprache der Kinder. Ein elfjähriges Mädchen aus Italien, Anna Soldi, schrieb ein Gedicht für Kinder:

Ich sah, wie der Bäcker ein Herz machte aus Brot.

Groß und heiß und duftend.

Da dachte ich: Wenn ich ein Herz aus Brot hätte – wie viele Kinder könnten davon essen!

Ich gebe euch gern, meine hungrigen Freunde, von meinem Herz aus Brot.

Aber das ist ein Traum, und meine hungrigen Freunde weinen noch immer.

Ach, wäre mein Herz doch aus Brot.

Helge Adolphsen war von 1987 bis 2005 Michel-Hauptpastor. Er lebt mit seiner Ehefrau in Haus- bruch, engagiert sich nach wie vor in zahlreichen kirchlichen und außerkirchlichen Belangen und ist gefragter Ansprechpartner in Politik und Wirtschaft. Seine Kolumne „Adolphsens Einsichten" erscheint an jedem zweiten Sonnabend exklusiv in der „Harburg& Umland"-Ausgabe des Abendblattes.