Mehr als 500 Arten leben in der Region. Der Herbst ist die Jahreszeit, in der sie ihre Netze knüpfen

Der Herbst zieht ein im Land. Es wird kälter, die Blätter welken. In diesen Tagen erobern die Spinnen unsere Gärten und weben täglich neue Netze. Wie zarte, weiße Baldachine spannen sich die feinen Gebilde über Hecken und Sträucher und tauchen unsere herbstlichen Gärten in nebliges Weiß. „Die Menschen nehmen die Spinnen jetzt erst wahr, dabei sind sie das ganze Jahr über vorhanden“, sagt Spinnenexperte Ulrich Irmler vom Institut für Ökosystemforschung in Kiel. Zu den anderen Jahreszeiten hielten sie sich überwiegend am Boden auf und seien noch nicht ausgewachsen. Man gehe von etwa 100 Spinnen pro Quadratmeter aus. „In den Monaten September und Oktober werden diese Jungtiere erwachsen“, sagt Irmler. „Jetzt beginnen sie, richtig große Netze zu spinnen.“ Morgendliche Sonnenstrahlen lassen die Tautropfen, die sich in den Spinnennetzen verfangen, glitzern und funkeln wie wertvolle Diamanten.

Mehr als 500 unterschiedliche Spinnenarten gibt es in der Region. Entgegen der landläufigen Meinung seien Spinnen keine Insekten, erklärt Irmler. Es gebe zwei markante Merkmale, die Spinnen von Insekten unterscheiden: Insekten hätten nur sechs Beine, Spinnen hingegen acht. Außerdem bestehe ein Spinnenkörper nur aus zwei Teilen, während der von Insekten dreigliedrig sei.

In welcher Form und mit welchem Muster Spinnennetze gewoben werden, sei genetisch vorbestimmt, sagt Irmler. Die Variationen der Muster seien so vielfältig wie die Häkelmuster antiker Tischdecken. Deshalb könne man die unterschiedlichen Arten gut anhand ihrer Netze auseinanderhalten. Eine der bekanntesten Formen hat das Netz der häufig vorkommenden Kreuzspinne. Es sieht aus wie ein gesponnenes Rad und hängt immer senkrecht zur Erdoberfläche. Wegen der Form ihres Netzes gehört sie zu den Radnetzspinnen.

Die Weibchen der heimischen Kreuzspinne, der Gartenkreuzspinne und der Vierfleckkreuzspinne können fast zwei Zentimeter groß werden. Noch größer wird die etwas seltenere Wespenspinne. Sie ist mit einer Länge von zweieinhalb Zentimetern die größte Radnetzspinne in der Region. Ihrem gelb-schwarz gestreiften Hinterleib, der an eine Wespe erinnert, verdankt sie ihren Namen. Trotz ihres gefährlichen Aussehens droht dem Menschen von der Wespenspinne keine Gefahr. Sie ist, wie alle in Norddeutschland vorkommenden Spinnen, harmlos.

Baldachinspinnen kommen auch im Landkreis Harburg am häufigsten vor. Sie weben ein durchhängendes Netzgeflecht. Es ähnelt einem Sicherheitsnetz im Zirkus. Der Baldachin wird von unten durch Fäden gespannt. Nach oben ziehen die Spinnen klebrige „Absturzfäden“, in denen sich die Beute verfängt. Häufig schütteln sie ihre Beute auf das darunter liegende Netz. Spinnen nutzen ihre Spinnenfäden auch, um sich woanders anzusiedeln und ihre Art zu verbreiten. Sie schießen einen Faden aus dem Hinterleib. „Er dient als Flugfaden“, sagt Ulrich Irmler. Dann wird der Leib der Spinne vom Wind erfasst. „So schwebt sie lange Strecken durch die Luft. Das ist fast wie eine Ballonfahrt“, sagt der Arachnologe.

Trichterspinnen weben eine Wohnhöhle, die sich vom Eingang zur Mitte trichterförmig verengt und zwei Ausgänge hat. Sie verharren regungslos in ihrer Wohnhöhle oder im Eingang. Ihre vorderen Beinpaare haben sie dabei tastend auf das Netz gelegt. Nähert sich Beute den gespannten Fangfäden oder verheddert sich darin, nimmt die Trichterspinne die Erschütterungen über die Vorderbeine wahr. Dann läuft sie flink aus dem Netz und ergreift ihre Beute.

Räuber sind sie alle, die in der hiesigen Region ansässigen Spinnen. „Trotzdem sollte man die Spinnen nicht töten“, mahnt Spinnenfachmann Irmler. Denn Spinnen fressen andere fliegende Organismen wie Fliegen und Mücken. „Die Spinnen halten die Populationen dieser Insekten in Schach“, sagt Ulrich Irmler. „Genau genommen bewahren die Spinnen uns vor einer Fliegen- und Mückenplage im kommenden Jahr.“