Serie „Aus Harburg in die Welt“: Mit Hochleistungs-Förderbändern bricht die Phoenix auf allen Kontinenten Rekorde

Irgendwie ist es ihm unangenehm. Bernd Küsel weiß nicht so genau, ob er diese Zahl lesen möchte. 40. Er wiegt den Kopf hin und her, legt die Stirn in Falten. „Spielt das wirklich eine Rolle?“, fragt er. Dass er seit 40 Jahren im Unternehmen sei? Sich sein ganzes Leben mit ein und demselben Produkt befasst habe? Ja, es spielt eine Rolle. Denn die 40 erzählt viel. Über die Firma, in der er arbeitet. Die Tätigkeit, die nie langweilig wird. Das Produkt, das spannend und immer wieder anders ist. Und in den vergangenen Jahrzehnte so viele Rekorde aufgestellt hat, dass Küsel dafür eigens eine Broschüre hat anfertigen lassen. Futuristisch sieht sie aus. Das Cover hat etwas Science-Fiction-artiges. Für jemanden, der nicht aus der Branche kommt, wirkt es fast ein bisschen bedrohlich. Eine Schlucht zwischen schwarzen Felsen. Ein dunkles Förderband zieht sich Kilometer lang geradeaus. Darauf liegen graue Gesteinsbrocken. Kein Mensch, kein Lebewesen ist zu sehen. Sie gehören dort auch nicht hin. Denn genau darin liegt die eigentliche Stärke der Produkte, die Küsel im Harburger Unternehmen Phoenix vertritt: Hochleistungs-Fördergurtsysteme. Sie transportieren Mineralien und Rohstoffe wie Kalkstein, Kupfererz, Rohkohle, Gold aus den Minen, Millionen Tonnen Abraum – und manchmal auch Bergarbeiter. Eingesetzt werden sie in Bergbau und Industrie auf der ganzen Welt.

Ihren Anfang nimmt diese Geschichte im Jahre 1856, auf einem kleinen Fabrikgelände in der Wilstorfer Straße in Harburg. Damals gründen die Brüder Albert und Louis Cohen eine Fabrik zur Herstellung von Gummischuhen und vulkanisiertem Gummi. Sie lassen eine gewaltige Fabrik mit zwei Dampfmaschinen entstehen. Ein guter Standort, denn Harburg ist nicht von den Zollschranken des Deutschen Zollvereins betroffen. Kurze Zeit später landet im Harburger Hafen der erste Frachtdampfer mit riesigen Ballen Rohkautschuk. Der Anfang ist gemacht.

Es ist der spätere Firmenchef August Würffel, der bereits 1870 erkennt, dass die pure Größe entscheidend ist für den Wettbewerb. Diese Erkenntnis prägt das Unternehmen bis heute – Denken in der Superlative. Und dann legt Küsel los: „Der stärkste Fördergurt weltweit läuft seit 1999 in der Kupfererz-Mine Los Pelambres in Chile. 24 Kilometer lang ist er, befördert das Material über einen Höhenunterschied von 1300 Metern.“ Der Gurt sei so stark, dass er drei Boeing 747 ziehen könne und dennoch nicht reiße. Ursprünglich wollten die Chilenen LKWs für den Transport einsetzen. Doch die Fördergurtlösung überzeugte schließlich. „Das System ist zuverlässig, es fällt nie krankheitsbedingt aus, kann rund um die Uhr arbeiten“, schwärmt Küsel. Sein Liebling unter den Gurten liegt in Deutschland bei der Ruhrkohle AG in Bottrop. Er ist der stärkste Untertagegurt der Welt und befördert die Rohkohle über vier Kilometer Distanz aus 800 Metern Tiefe nach oben. Gleichzeitig wird das gewaschene Gestein auf der Gurtunterseite wieder nach unter Tage gebracht.

Die Fördersysteme sind spezialisiert auf den Einsatz im Bergbau. 240.000 Kubikmeter befördern sie pro Tag, 40.000 Tonnen pro Stunde. Phoenix ist auch Urheber des längsten Fördergurtes der Welt. Er ist 35 Kilometer lang und verläuft von Indien nach Bangladesch quer durch den Urwald auf 18 Meter hohen Stelzen. „Im Schnitt laufen die Gurte mit fünf Metern pro Sekunde“, sagt Bernd Küsel. Und dann zieht er noch einen Rekord aus der Tasche. „Wir haben auch den längsten Gurt unter der Erde geliefert“, sagt er. Er ist 16,4 Kilometer lang und verbindet ein Zementwerk in Peru mit dem Hafen. „Früher fuhren dort täglich dutzende LKWs durch die Stadt. Jetzt erledigen Schlauchgurte den Transport durch einen Tunnel unterhalb der Straßen. Und die Menschen haben oben ihre Ruhe“, sagt Küsel, der natürlich grundsätzlich nichts gegen den Transport auf vier Rädern hat. Schließlich ist das Unternehmen Phoenix mit der Herstellung von Autoreifen groß geworden.

Die ersten luftgefederten Reifen kamen bereits in den 1890er Jahren auf den Markt und lösten einen regelrechten Fahrradboom aus. Die ersten Wulstreifen mit einem gesonderten Schlauch verließen 1893 das Werk in Harburg. Schon vier Monate nach dem Produktionsstart hatte das Unternehmen über 1600 Manteldecken und Schläuche an die Kunden ausgeliefert. Nach den 1888 erfundenen Luftreifen für Fahrräder kamen nun die „Pneumatics“ für Automobile auf den Markt. Gegen Ende der 1890er Jahre wandelten sich die großen Gummikonzerne wie Phoenix mehr und mehr zu Reifenherstellern. Etwa 20 Jahre später fand der damalige technische Leiter, Emil Teischinger, neue Anwendungsfelder für den Kautschuk: Die Grundlage für die Produktion von Transportgurten und Fesselballons wurde gelegt.

1991 zog die Fördergurt-Produktion von Harburg ins thüringische Bad Blankenburg. 1998 folgte dann das Joint Venture mit einem chinesischen Fördergurthersteller in der Provinz Shanxi. Nirgendwo wird so viel Kohle gefördert wird wie in China, auch Zement und Eisenerze werden in gewaltigen Mengen abgebaut – hervorragende Voraussetzungen für das Geschäft mit Fördergurten. Ähnlich gut sieht die Lage in Indien aus, mit dem bedeutendsten Hersteller Andrew Yule wurde ein Joint Venture geschlossen und somit der Weg in den indischen Markt geebnet. Ende 2004 wurde Phoenix von dem Unternehmen Continental übernommen.

Bernd Küsel ist der Firma treu und in Harburg geblieben. Von hier aus steuert er das Geschäft mit Fördergurten.. Die meisten Zeit reist er um den Globus, spricht mit Interessenten und Kunden, schaut sich vor Ort um und wirbt für das, was kommen wird. Einen großen Deal hat er gerade abgeschlossen. Der Auftrag kommt aus Brasilien. Dort entsteht die erste LKW-freie Eisenerzmine der Welt. Das gesamte Gut wird mit Fördergurten transportiert. Sie werden 8000 Newton pro Millimeter Breite stark sein, das entspricht einer Gesamtbruchkraft von 1500 t. Doch damit nicht genug. Derzeit wird an einem Gurt gearbeitet, dessen Mindestbruchkraft bei 10.000 Newton pro Millimeter liegt. Ein Prototyp ist bereits fertig. Und einen Interessenten gibt es auch. Der Gurt soll in Chuquicamata laufen, der tiefsten Kupfererz-Mine der Welt. Sie liegt in Chile. „Und weil man dort nicht tiefer graben kann, wird jetzt unter Tage weiter abgebaut“, erzählt Küsel. Das Erz werde dann auf dem Fördergurt durch einen Tunnel nach oben transportiert. Die Kraft, die dort wirkt, bringt auch einen wie Küsel zum Staunen. So etwas hätte er sich vor 37 Jahren nicht träumen lassen. Damals ging der erste feuerfeste Stahlseil-Fördergurt im Ruhrgebiet an den Start. Noch heute habe er Gänsehaut, wenn er an den Moment zurückdenke, sagt Bernd Küsel. Und seine Begeisterung steigert sich mit jeder neuen Entwicklung. Er selbst ist jetzt 62 Jahre alt. Oder jung? So richtig lässt sich das nicht sagen. Irgendwie ähnelt der Prokurist dem Produkt. Beide gibt es schon lange. Aber sie befinden sich bis heute in der Wachstumsphase.