Das Integrationsprojekt „Walldesign“ will die Veddel mit Kunst verschönern – doch auch Langfingern gefallen die Werke aus der Unterführung

Veddel. Nein, Wohlfühlorte sind sie nicht: Dreck, Schmierereien, Nässe und Kälte – das verbinden die meisten Menschen mit einem Fußgängertunnel. „Kragen hochschlagen, Kopf einziehen und schnell durch“, lautet die Methode vieler Passanten beim Gang durch eine Unterführung. Ganz anders ist das an der S-Bahn Veddel. Wer von dort in den Hafen gelangen möchte, findet sich in einer öffentlichen Galerie wieder. 36 großformatige Gemälde hängen an den Wänden der Passage. Oder besser: hingen. Ein Unbekannter hat drei der fotorealistischen Bilder gestohlen. Die Künstler sind traurig.

Die Gemälde zeigen Hafenmotive fern vom Hamburg-Kitsch. Ein Grashalm vor einer blauen Stahlwand, Straßenschilder, die in dunkelgrauen Fluten stehen, die Hafenkräne am Horizont nurmehr zu erahnen, an einer Hauswand überm Wasser blättert die Farbe. Diese drei Bilder sind verschwunden. Immerhin: Der Dieb hat keine sichtbaren Spuren roher Gewalt hinterlassen. „Die Bilder wurden fein säuberlich abmontiert“, berichtet Elisabeth Richnow, 55. Die Projektleiterin hat das „Walldesign“ beim Bildungsträger KOM gGmbH 2005 initiiert und entwickelt. Langzeitarbeitslose finden in den Kursen und Farb-Werkstätten einen Ort, an dem sie neues Selbstbewusstsein tanken und neue Perspektiven entwickeln. „Man lernt, sich zu präsentieren“, sagt Richnow. Einige Teilnehmer machen ihren Weg, werden Fachlogistiker, Sozialpädagogen oder – Künstler. „Jeder ist ein Künstler“, betont die Initiatorin in Anlehnung an Joseph Beuys.

Der schmale, mit dunklen Teppichen ausgelegte Flur lässt nicht erahnen, dass hinter den Bürotüren gepinselt, gezeichnet, gespachtelt, geritzt und gebastelt wird. Doch sogar die Wand in der winzigen Teeküche, in der man sich nur unter Schwierigkeiten um die eigene Achse drehen kann, ist noch mit kleinen Kunstwerken – grünen Fischen und Unterwasserwesen – verziert. Blaue Fische zieren eine eckige Säule in einem der ehemaligen Büros. Es ist still, nur im Hintergrund trällert leise das Radio. In dem Gewerbebau der 1960er-Jahre arbeiten einige Projekt-Teilnehmer aktuell an Ausstellungen für das Foyer eines Jobcenters, andere bereiten Bilder für einen Baustellenbretterzaun vor. Auf Böden und Tischen liegen Farben, Dosen, Papprollen, Pinsel und Werkzeuge.

Bei der Einweihung auf der Veddel unkten viele, die Bilder würden nicht lange hängen. Wider Erwarten ging alles gut – bis jetzt. Den Verlust spüren nicht nur die Projekt-Teilnehmer. Der Bilderklau ist auch für den ehemaligen Arbeiterstadtteil bedauerlich, dem sie etwas Schönes schenken wollten – und vor allem für die oft an den Rand der Gesellschaft gedrängten Bewohner. Im Tunnel gähnen den Fußgänger auf dem Weg zum Fruchtterminal oder zum Hafenmuseum nun drei große weiße Flächen an. Auf denen prangt in dicken schwarzen Lettern: „Gestohlen“. Die Polizei vom Kommissariat44 hat die Diebstahlsanzeige aufgenommen. Die Chancen, Dieb und Gemälde zu finden? Laut Auskunft eines Polizisten: gering.

„Das war ein Kunstliebhaber ohne Geld“, mutmaßt Kasimir Pelzner (57) mit feinem ironischen Lächeln. Der zunächst scheu wirkende Mann mit dem schütteren Haar ist einer der Künstler. Sein Bild mit dem Frachter am Kai hängt noch. „Die gestohlenen Bilder würden in einem Raum als Serie gut aussehen.“ Pelzner rollt das „R“ klangvoll, der polnische Akzent verweist auf seine Herkunft. Er ist Aussiedler, wurde in Deutschland arbeitslos, bekam große gesundheitliche Probleme. Die Kunst ist alles für den Autodidakten. „Kasimir ist ein absolut intuitives Talent und ein Surrealist“, findet Richnow, selbst Künstlerin und Pädagogin. Tatsächlich bevölkern seine Bilder Fabelwesen und Menschen mit Gewehren oder Kinder – alles Verweise auf Traumwelten und auf das Thema Krieg und Frieden.

Die Diebe hätten einfach per E-Mail ein Werk bestellen können. Die Kontaktdaten stehen auf einer Tafel in der Tunnelgalerie. So teuer wie ein Bild der Maler-Ikone Daniel Richter – der auf dem Kunstmarkt leicht Hunderttausende Euro erzielt – wäre es nicht geworden: Nur 500 Euro pro Gemälde, reiner Materialwert also. Manchmal findet die Kunst auch legale Abnehmer. „Ich hab vor kurzem ein Bild an meine Freundin verkauft“, freut sich Projekt-Teilnehmerin Barbara Rösler.

„Der künstlerische Wert der Bilder ist nicht zu ermitteln“, seufzt Werkstattleiter Martin Götze (49). Aber selbst dreistellige Beträge sind für manchen zu hoch. Kleinere Formate wären für kleinere Münze zu haben. Götze selbst hat ein gemaltes „Kind verloren“. Der Grashalm vor dem blauen Container stammt von ihm. Und er hat eine besondere Erfolgsgeschichte: Der Möbeltischler machte bei „Walldesign“ mit, als er arbeitslos war und besann sich auf sein Maltalent. Schließlich absolvierte er die Ausbildereignungsprüfung und wurde Werkstattleiter bei KOM.