Die Stadt Buchholz hat am Donnerstag mit den Abrissarbeiten im Sprötzer Wald begonnen. Hausbesitzer Prosper Otto war nicht dabei

Buchholz. Müde sieht er aus. Der jahrelange Streit und die Ungewissheit haben Spuren auf Prosper-Christian Ottos Gesicht hinterlassen. Der 64-Jährige blickt in den Kakao, der vor ihm steht, und sagt: „Meine Frau und meine zwei Kinder weinen.“ Ihn selbst nehme die Situation emotional etwas weniger mit. Von der Zuversicht vergangener Tage, als er voller Überzeugung verkündete, sein Wohnhaus im Sprötzer Waldgebiet Lohbergen sei niemals wegzubekommen, ist am gestrigen Donnerstag nichts mehr übrig geblieben. Der Opernsänger, der einst als Siegfried debütierte, konnte die übermenschliche Kraft seiner Titelfigur nicht auf sich selbst übertragen. Er sitzt im Hofcafé der Baumschule Oelkers in seiner neuen Heimat Wenzendorf, während nicht einmal zehn Kilometer weiter der Abrissbagger steht, um sein innig geliebtes Haus dem Erdboden gleich zu machen.

Es ist ein unwirkliches Szenario dort im Wald des Buchholzer Ortsteils. Und man kann verstehen, dass Otto nicht dabei sein will. Am Eingangstor, das ein großer Notenschlüssel ziert, hat jemand zwei weiße Rose zwischen die Gitter geklemmt. Otto selbst will es nicht gewesen sein, ein Unbekannter muss also einen letzten Gruß hinterlassen haben. Die Räume des Hauses sind bis auf einige Überbleibsel leer. Ein kleines Polizeiauto, eine Gitarre, Kissen, eine FAZ vom 18. September. Der Buchholzer Bürgermeister Wilfried Geiger steht im Garten und gibt Interviews, während vorne, an der Straße, die Stadtwerke nach den Erdgasleitungen suchen. Die Leitungen müssen ebenso wie die Stromkabel abgeklemmt werden, damit der Abriss beginnen kann.

„Ich hätte mir gewünscht, dass er kompromissbereiter gewesen wäre“, sagt Geiger. Er und Stadtsprecher Heinrich Helms müssen an diesem Morgen immer wieder erklären, wie es zu diesem bundesweit wohl einmaligen Showdown in der Waldidylle kommen konnte. Sie sagen, die Stadt habe es mit dem im Jahre 2005 verabschiedeten Bebauungsplan doch gut gemeint. Die größtenteils von Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg illegal ausgebauten Häuser sollten aus der Illegalität herausgeholt werden, und indem man das Gebiet in Cluster unterschiedlicher Maximalgröße unterteilte, habe man für Gerechtigkeit sorgen wollen. Otto hätte sein Haus, das eine Grundfläche von rund 170 Quadratmetern besitzt, auf 90 Quadratmeter verkleinern müssen und alles wäre gut gewesen.

Doch anders als der Großteil der etwa 150 ebenfalls betroffenen Hausbesitzer wollte der Musiker sein Haus nicht verkleinern, sondern klagte gegen den Bebauungsplan – und bekam schließlich vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Recht. Für die Stadt bedeutete das jedoch, dass sie gemäß dem Grundsatz verfahren musste: Wenn der Bebauungsplan nicht mehr gültig ist, ist alles, was keine Baugenehmigung hat, ein Schwarzbau und muss weg. Also auch Ottos Haus.

Dass er das Kapital Schwarzbau jetzt endlich schließen kann, bezeichnet Geiger als eine Erleichterung. Und diese Erleichterung bezieht sich auch darauf, dass Otto letztlich insofern einsichtig war, als er selbst seine Möbel aus dem Haus geräumt und sich nach einer Alternativwohnung umgesehen hat. Bis vor einer Woche sah es noch so aus, als wäre zum Abriss mit einer Protestaktion zu rechnen. „Eigentlich hätte ich heute aber lieber eine Krippe eröffnet als hier zu sein“, fügt Geiger hinzu. Er bedaure, dass es überhaupt so weit kommen musste.

Für Otto dürften diese Worte wie Hohn klingen. Er ist sich sicher: Die Niederlage vor dem Gericht in Leipzig habe Geiger ihm nicht verziehen und deshalb habe der Bürgermeister ein Gespräch auch immer wieder abgeblockt. Auf seine vor Jahren gestellte Bauvoranfrage, ob er sein Haus nicht doch auf 90 Quadratmeter Grundfläche verkleinern könne, habe er von der Stadt nie eine Antwort erhalten. Die Stadt kontert: Das sei nicht wahr, es habe sehr wohl eine Antwort gegeben. Man habe erklärt, dass aufgrund des schwebenden Verfahrens keine Antwort möglich sei.

Irrsinn, ein Stück aus dem Tollhaus, unglaublich – wenn der Opernsänger über seinen Fall spricht, nutzt er gern Worte wie diese. Dass er letztlich doch sein Wohnhaus in Eigenregie ausgeräumt hat, ohne das der Stadt zu überlassen, begründet er mit dem „jüngsten Rechtsbruch des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg“, das seine Beschwerde kürzlich noch vor Ablauf der Frist zurückgewiesen hatte. „Da war mir klar, dass die nicht auf meiner Seite sind.“ Er musste seine Niederlage anerkennen.

Wo er zukünftig wohnen wird, weiß Otto noch nicht. In den Sprötzer Wald jedenfalls wird er nicht mehr zurückkönnen, höchstens zum Zelten auf der grünen Wiese. Eine Mietwohnung kommt für ihn nicht in Frage, weil er zu Hause oft übt und er die Nachbarn nicht belästigen will. Nein, es müsse schon ein abgelegenes Haus sein, das er und seine Frau Christiane kaufen würden, sagt er. Vielleicht ein kleiner Resthof. Sie wünsche sich, im norddeutschen Raum zu bleiben, aber er könne sich auch vorstellen, irgendwo im Ausland zu wohnen. „Nächste Woche habe ich ein Gastspiel in Neapel, in der Gegend könnte es mir auch gefallen.“

Und was ist mit dem Abriss seines Hauses, will er den gar nicht mitanschauen? „Ich werde später einmal hingehen“, sagt Otto gefasst. Zum Abschluss sei er mit seiner Frau durch die Räume gegangen, in denen sie 30 Jahre gelebt hatten, und habe alles fotografiert. Am Mittwochabend rief dann plötzlich sein Sohn an und fragte aufgeregt: „Papa, hast du an die Eierkanone gedacht?“ Hatte er nicht, und so fuhr er abends um halb zehn noch einmal in das leere Haus. Die Eierkanone, ein selbstgebautes Konstrukt aus einem Rohr und einer Zündkerze, mit dem man Eier oder Kartoffeln in die Gegend schleudern kann und das bei ihnen früher der Partyknaller war, sollte unbedingt vor dem Abrissbagger gerettet werden. Als Erinnerung an die guten Tage, die sie in ihrem Haus verbracht hatten.