Eine Glosse von Manfred Scholz

Mein Nachbar leidet wie Hund ohne Herrchen. Besonders am Wochenende ist es schlimm. Dann kommt er mit düsterer Miene auf mich zu und flüstert mit belegter Stimme: „Wieder nix.“ Eigentlich ist mein Nachbar ein fröhlicher und positiver Mensch. Er tauscht sich gern aus, hat klare Standpunkte und sagt Kluges über Gott und die Welt. „Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll“, sagt er heiser.

Ihn aufzuheitern, bringt wenig, denn dann blockt er ab. „Du bist ja nicht betroffen“, meint mein Nachbar, „deshalb verstehst du meinen Frust auch nicht.“ Müde und mit eingezogenen Schultern schlurft er davon, wie ein geschlagener Boxer nach einem schweren Knock-out.

Während der Woche, registriere ich staunend, kommt mein Nachbar allerdings wieder auf die Beine. Ab Montag bessert sich seine Laune. Er schöpft also wieder Hoffnung. Die emotionale Genesung setzt ein. „Totgesagte leben länger. Es wird alles wieder gut“, hauchte er letzten Donnerstag.

Aber das Wochenende naht. Ungebremst rast er dann auf der emotionalen Achterbahn erneut in die Tiefe. Es fällt mir dann immer schwerer, dem Nachbarn wieder Mut zu geben. Lange stand er gestern mit mir am Nachbarzaun. Einige Momente schwieg er, dann entrang sich seiner Brust ein gequälter Seufzer. „Soll ich wirklich“, fragte er mich, „meine Fahne vom Garagendach holen?“ Er tat es nicht. Deshalb flattert weiterhin die HSV-Raute im Herbstwind.