Interview: Der Landrat des Kreises Harburg, Joachim Bordt, über Asylbewerber, Fracking, eine Umgehung für Buchholz und ein Signal vom Lieben Gott

Harburg/Winsen. Die Landkreis-Spitze zu Gast beim Abendblatt: Joachim Bordt, seit 2006 Landrat, muss in einem Jahr sein Amt an einen Nachfolger übergeben. Welchen Kurs er bis dahin steuern will, erklärt er im Interview. Mit Bordt sprachen Frank Ilse, Christiane Tauer und Rolf Zamponi.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bordt, in Bayern hat die FDP nur drei Prozent der Stimmen erhalten. Hand aufs Herz: Überspringt Ihre Partei am Sonntag bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde?

Joachim Bordt:

Bayern ist mit dem Bund nicht vergleichbar. Ich bin mir sicher, dass die FDP wieder in den Bundestag gewählt wird. Viel wichtiger ist aus meiner Sicht die Wahlbeteiligung: Jeder Bürger sollte am Sonntag die Chance nutzen und zur Wahl gehen.

Die weltweiten Krisen spülen immer mehr Asylbewerber nach Deutschland und in den Landkreis. Welche Folgen hat das für die Finanzen?

Bordt:

Wir rechnen in diesem Jahr mit Gesamtkosten von über fünf Millionen Euro und liegen damit mehr als doppelt so hoch wie die Zuweisungen des Landes von etwa zwei Millionen Euro. Das heißt: Wir zahlen deutlich zu. Auch im nächsten Jahr wird die Zahl der Flüchtlinge weiter zunehmen, die hier politisches Asyl suchen. Die damit verbundenen Kostensteigerungen dürfen nicht einfach auf die kommunale Ebene abgeladen werden. Darum werden sich die Gemeinden und der Landkreistag für eine Entlastung durch das Land oder den Bund einsetzen. Leider hat unser Landkreis derzeit keine starke Lobby in Hannover. Denn keiner unserer Landtagsabgeordneten gehört den Regierungsparteien SPD und Grüne an.

Wie gut werden die Asylbewerber derzeit aufgenommen?

Bordt:

Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg, auch wenn die neuen Nachbarn nicht überall im Landkreis mit offenen Armen empfangen werden. Wir brauchen eine bürgerschaftliche Willkommenskultur, und ich bin froh, dass immer mehr Menschen ihre Hilfe und Unterstützung anbieten.

Wie wird sich die Zahl der Asylbewerber 2014 entwickeln?

Bordt:

Die Quote für den Landkreis liegt derzeit bei 490 Plätzen, davon haben wir bereits 270 neu eingerichtet. Demnächst wird allerdings eine neue Quote für die bundesweite Verteilung der Asylbewerber festgelegt, die sicher höher ausfallen wird. Deswegen suchen wir händeringend weitere Wohnunterkünfte. Bislang mussten wir zum Glück noch keine Turnhallen oder Zelte als Notunterkünfte einrichten. Stattdessen werden wir die Gebäude der ehemaligen Zivildienstschule in Buchholz übergangsweise nutzen. Dort können bis Ende Januar 2014 bis zu 120 Asylbewerber untergebracht werden. Parallel dazu werden wir weitere Unterkünfte bauen und bereitstellen müssen.

In der Diskussion über Lebensqualität im Landkreis sind die Emotionen beim Thema Fracking hochgekocht. Hätte man nicht diese Art der Förderung, bei der chemische Substanzen in den Boden gepumpt werden, von vornherein ausschließen müssen?

Bordt:

Viele Menschen sind in dieser Frage sehr sensibel, lehnen Fracking kategorisch ab. Ich bin aber dafür, zunächst die Lage zu erkunden und zu prüfen, ob und mit welchen Konsequenzen eine Förderung überhaupt möglich ist. Erst danach geht es um Entscheidungen und Genehmigungen. Ich finde es nicht okay, wenn wir Deutschen uns zurücklegen und sagen, Öl und Gas wird in anderen Regionen gefördert. Was dort mit der Umwelt geschieht, ist uns egal. Wer Öl und Gas importiert, darf auch eine Förderung vor Ort nicht sofort ablehnen.

Sie sind also für Fracking?

Bordt:

Wir können nicht gleich zu allem Nein sagen. Aber wir haben im Kreistag klar beschlossen, dass mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt dabei eindeutig ausgeschlossen sein müssen.

Auch in Salzhausen haben die Menschen momentan große Sorgen. Dort steht das Krankenhaus mit 200 Mitarbeitern vor dem Aus. Greift der Landkreis noch ein?

Bordt:

In Salzhausen haben wir schon einmal einen Zuschuss für den Bau eines modernen Operationssaals bereit gestellt. Verbunden damit war ein Kooperationsvertrag mit unseren Häusern in Winsen und Buchholz, der aber leider von Seiten der Ärzte nicht mit Leben gefüllt wurde. Hätte sich das Krankenhaus Salzhausen damals den angebotenen Gesprächen stärker geöffnet, stünde es heute nicht da, wo es steht. Ohne klares Konzept ist es jetzt zu spät für eine Lösung. Unsere Priorität liegt bei den Kliniken in Buchholz und Winsen, auf die ich sehr stolz bin. Mit ihnen stellen wir die Versorgung im Landkreis sicher.

Priorität für die Stadt Buchholz hat seit Jahrzehnten die östliche Umgehungsstraße. Können Sie den Bürgern Hoffnung machen?

Bordt:

Ja, denn die Ortsumgehung ist dringend erforderlich. Unsere Planfeststellung ist zwar erst einmal vor Gericht gescheitert. Doch einen Hoffnungsschimmer gibt es noch. Wir werden alle Rechtsmittel einsetzen, um gegen das Urteil Revision einlegen zu können. Dafür haben wir den Münchener Fachjuristen Dr. Andreas Geiger engagiert. Sollte das gelingen, werden wir den Ostring bauen können. Sollten wir unterliegen, werden wir gemeinsam mit der Stadt Buchholz ein neues Planfeststellungsverfahren einleiten. Denn wir stehen zu unserem Wort: Buchholz braucht eine Umgehungsstraße.

Mit welchen Kosten wird gerechnet?

Bordt:

Mit 22 Millionen Euro. Bei Bund und Land können wir bis zu 60 Prozent Fördermittel beantragen. Den Rest der Kosten würden Stadt und Kreis jeweils zur Hälfte übernehmen.

Allerdings drohen die Einnahmen der Gemeinden weiter zu sinken, weil die Zahl der Einwohner im Kreis nach der neuesten Ermittlungen um 9000 geringer ausfällt als angenommen. Damit würden die Zuweisungen aus Berlin und Hannover sinken. Die Gemeinden gehen von einer Fehleinschätzung aus und wollen sich beschweren. Schließt sich der Landkreis dem an?

Bordt:

Wir sind auf der Seite unserer Gemeinden. Schon weil wir seriöse Zahlen brauchen. Die Arbeitsgruppe der Gemeinden wird vom Kreis koordiniert. Für den Kreis und die Gemeinden steht eine Summe von drei Millionen Euro im Feuer.

Das ist aber nicht der einzige Haushaltskonflikt, der mit dem Land ausgetragen wird.

Bordt:

Stimmt. Um die Kommunen zu entlasten, beteiligt sich der Bund seit 2012 mit einer Gesamtsumme von 400 Millionen Euro an den Kosten der Grundsicherung im Alter. Doch jetzt will das Land Niedersachsen die restlichen 107 Millionen Euro für 2014 nicht weiterreichen. Verheerend daran ist, dass dies schon die alte CDU-Landesregierung angekündigt hatte und dafür von der SPD scharf kritisiert wurde. Jetzt handelt die SPD-Landesregierung genauso. Das Land Niedersachsen kann die Gelder vom Bund doch nicht einfach für sich behalten, die Landkreise brauchen dringend eine Entlastung.

In Hittfeld wurde jetzt die dritte Integrierte Gesamtschule (IGS) eröffnet. Ist das jetzt die letzte IGS oder reicht das Angebot noch nicht aus?

Bordt:

Mit drei Integrierten Gesamtschulen, neun Gymnasien und einer Reihe von Oberschulen, in denen Haupt- und Realschulen zusammengelegt wurden, ist der Landkreis sehr gut aufgestellt. Es gibt viele Befürworter für das Konzept der IGS, aber die Schülerzahlen werden künftig auch im Landkreis rückläufig sein. Daher prüfen wir genau, ob durch die Einrichtung einer neuen Schule die Existenz einer anderen bedroht würde. Ich glaube, wir haben ein vielfältiges Angebot, das den Bedarf deckt. Wir sind gut ausgestattet. Neue Schulen sind nicht mehr nötig.

Sie vergessen den Neubau in Jesteburg?

Bordt

(schmunzelt): Nein, das ist ein Sonderfall. Der Ort hat jahrelang darunter gelitten, dass es dort keine weiterführende Schule gab. Jetzt nehmen wir zehn Millionen Euro in die Hand und bauen dort eine Oberschule.

Das Land will mit Wirkung ab 1. November 2014 die Amtszeiten von Bürgermeistern und Landräten von acht auf fünf Jahre reduzieren. Wie wird sich das im Landkreis auswirken?

Bordt:

Die Kommunen und Landkreise heißen dies nicht gut. In acht Jahren kann man als Landrat etwas bewegen und gestalten, Projekte nicht nur anstoßen, sondern auch erfolgreich zu Ende führen. Die Koppelung an den Fünf-Jahres-Rhythmus von Kreistags- oder Gemeinderatswahlen halte ich nicht für sonderlich sinnvoll, da die Aufgaben eines Bürgermeisters oder Landrats überparteiliche Weitsicht erfordern. Für fünfjährige Perioden dürfte es zudem schwieriger sein, gute Bewerber zu bekommen. Im Übrigen sollte an den bewährten Grundstrukturen nicht bei jedem Regierungswechsel gerüttelt werden. Meine Amtszeit endet Mitte September 2014. Der neue Landrat wird so noch einmal für acht Jahre gewählt.

Wann wird gewählt?

Bordt:

Wir gehen vom 25. Mai 2014, dem Tag der Europawahl, aus. Die endgültige Entscheidung dazu trifft der Kreistag noch in diesem Jahr.

Würden Sie gern noch einmal antreten?

Bordt:

Ja, ich würde gern noch einmal antreten. Leider habe ich inzwischen das Höchstalter für eine weitere Kandidatur überschritten.

Wen würden Sie gern als ihren Nachfolger sehen?

Bordt:

Ich würde mich freuen, wenn der jetzige Erste Kreisrat Rainer Rempe seinen Hut in den Ring werfen würde.

Sie hatten 2012 einen Herzinfarkt. Was hat das in ihrem Leben verändert?

Bordt:

Der Liebe Gott hat mir ein Signal gegeben, das ich verstanden habe. Ich rauche nicht mehr, arbeite an meiner Fitness und genieße jeden Tag.