Wegen zugeschütteter Gräben erstattet der NABU Strafanzeige gegen Obstbauern. Haben sie Lebensräume zerstört?

Francop. Umweltfrevel oder unternehmerische Notwehr? Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) wirft den Altländer Obstbauern Grabenpiraterie vor: Ohne Genehmigung haben die Landwirte Gräben zugeschüttet und damit wertvolle Lebensräume zerstört, lautet der Vorwurf. Die Lobby-Organisation hat Strafanzeige erstattet und unterstellt dem Senat Mittäterschaft. Die Umweltbehörde streitet das ab und der Bauernverband relativiert: Die betreffenden Gräben hätten schon lange kein Wasser mehr geführt.

Der Schlammpeitzger ist eine Art Unterwasserwachtelkönig: Der zur Darmatmung fähige Fisch aus der Familie der Steinbeißer steht auf der roten Liste der bedrohten Arten. Er steht auch in einem Umweltgutachten über die Gewässer des Alten Landes: Theoretisch gibt es ihn hier. Deshalb dürfte mit seinen Lebensräumen auch nicht nach Gutdünken verfahren werden. Nur gesehen hat den Schlammpeitzger in den Gräben und Wetterungen der Gegend noch niemand.

„Aber es gibt ihn dort“, sagt Frederik Schawaller von der NABU-Stadtteilgruppe Hamburg-Süd, „das belegt das Gutachten, das wir für das Planfeststellungsverfahren für die neuen Obstbauflächen in Auftrag gegeben haben.“ Außerdem seien dort Kiebitze, Kammmolche und Moorfrösche bedroht.

Für die Finkenwerder Ortsumgehung und die geplante Trasse der A26 hatten vor allem Francoper aber auch einige Neuenfelder Obstbauern Anbauflächen aufgeben müssen. Als Ausgleich dafür sollten sie neue Flächen erhalten. Die entsprechenden Flächen waren schon einmal landwirtschaftlich genutzt, wurden stillgelegt und gehören mittlerweile der Stadt. Jetzt sollen sie zurückgewidmet und reprivatisiert werden. Das Planfeststellungsverfahren dafür läuft noch. Der NABU wirft den Obstbauern vor, vollendete Tatsachen zu schaffen – auf Kosten der Umwelt.

„Seit der Obstbau immer intensiver betrieben wird, sind die Plantagen ökologisch kaum noch wertvoll“, sagt Schawaller. „Eigentlich sind nur noch die Gräben vielfältige Biotope, in denen sich die Natur noch entwickeln kann.“

Dass diese Gräben auch mal gegraben wurden, und deshalb gar nicht natürlich sind, räumt der Naturschützer ein, „aber sie sind seit Jahrhunderten dort und deshalb hat sich dort auch ein eigenes Lebensumfeld entwickelt.“

33 zugeschüttete Gräben mit einer Gesamtlänge von neun Kilometern wollen Schawaller und seine Mitstreiter ausgemacht haben. „Insgesamt hat die Wirtschaftsbehörde 63 Grabenkilometer zur Verfüllung beantragt. Hier soll großflächig industrieller Obstbau betrieben werden. Oberflächengewässer stören da. In deren Nähe darf man nämlich nicht mit Pflanzenschutzmitteln spritzen.“

Der NABU hegt und äußert den Verdacht, dass die Behörden der Grabenverfüllung durch Stillschweigen zugestimmt hätten. „Das stimmt nicht“, entgegnet Kerstin Graupner, Pressesprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, „Wir haben erst in diesen Tagen davon erfahren. Gespräche mit den ensprechenden Landwirten laufen.“

Reinhard Quast ist einer der stellvertretenden Vorsitzenden des Hamburger Bauernverbandes und selbst Altländer Obstbauer. „Es ist natürlich nicht richtig, was dort geschehen ist, aber man muss die Kollegen auch verstehen“, sagt er. „Dass wir hier die Flächen abgegeben haben, ist über drei Jahre her, im Fall der Finkenwerder Ortsumgehung sogar schon länger. Das Planverfahren für die Ausgleichsflächen sollte 2012 schon abgeschlossen sein.“

Weil jedoch der NABU und andere Umweltverbände darauf drängten, sei aus einem einfachen Planverfahren ein verwaltungsrechtlich viel komplizierteres Planfeststellungsverfahren gemacht worden, sagt Quast. „Auch dies könnte demnächst abgeschlossen sein, doch die Umweltverbände bremsen es aus.“

Ohne neue Flächen müssten Landwirte die vorhandenen vergrößern. „Wir müssen ja auch nach einigen Jahren wieder neu pflanzen“, sagt Quast. „Einige Höfe sind ohnehin schon klein, eventuell hat da jemand die Geduld verloren.“ Den Vorwurf des Umweltfrevels will Quast nicht auf den Bauern sitzen lassen: „Soweit ich weiß, haben diese Gräben schon lange kein Wasser mehr geführt“, sagt er. „Deshalb kann dort auch kein Schlammpeitzger betroffen sein. Diese alten Gräben stellen im landwirtschaftlichen Betrieb auch eine ernsthafte Unfallgefahr dar. Hier kommt es immer wieder zu Zwischenfällen.“

Die Pläne für die Ausgleichsflächen sehen als Ausgleich für die Gräben Bewässerungsteiche vor. „Die wollen wir auch mit Flachwasserzonen gestalten, so dass gerade der Kammmolch und der Moorfrosch hier Lebensräume finden“, sagt Quast. „Wir würden gern mit den Umweltverbänden zusammenarbeiten und strecken unsere Hand aus.“

Nur an einem gebe es kein Rütteln: „Egal ob konventionell oder ökologisch: Wir müssen hier wirtschaftlich arbeiten können. Und das bedeutet intensiven Anbau.“