Das Medizintechnikunternehmen Spiegelberg baut in Hausbruch Instrumente zur Hirndruckmessung und entwickelte einen Katheter, der zwei Prozent Silber enthält. Der Clou: Die Silberpartikel killen erfolgreich jeden gängigen Krankenhauskeim. Teil 4 der Serie „Aus Harburg in die Welt“ Von Hanna KastendieckVon Hanna Kastendieck

Dies ist kein Aprilscherz, sondern der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Ihren Ursprung hat sie – wie sollte es anders sein – am 1. April im Jahr 1952 mit der Geburt von Andreas Spiegelberg. Dessen Name wird viele Jahre später zum Inbegriff medizintechnischer Leistungen in der Neurochirurgie. Spiegelberg ist heute ein Weltunternehmen und wäre es niemals geworden, wenn nicht – an einem 1. April natürlich – das Schreiben im Briefkasten lag, auf das der damals 34 Jahre alte Ingenieur sehnsüchtig gewartet hatte: Es war der 1. April 1986, als er zwischen Geburtstagsgrußkarten und Briefen ein Schreiben vom Forschungsministerium aus Bonn fand. Spiegelberg öffnete mit zitternden Händen. Dann jubelte er. Die beantragte Förderung zur Entwicklung eines Hirndruckgerätes war bewilligt. Endlich konnte er seinen wissenschaftlichen Arbeiten Taten folgen lassen. Er mietete einen Schreibtisch, ein Telefon der Bundespost und brachte aus Berlin einen richtig guten Schreibtischstuhl in sein neues Harburger Büro. Dann begann er, seine Idee umzusetzen.

27 Jahre liegen zwischen der Unternehmensgründung und heute. 27 Jahre, in denen sich die Marke Spiegelberg in der Neurochirurgie zu einer der Bedeutendsten weltweit entwickelt hat. In Handarbeit unter sterilsten Bedingungen entstehen im Reinraum der Spiegelberg GmbH Katheter zur intrazerebralen Druckmessung, die den Hirndruck unter der Schädeldecke messen. Eingesetzt werden sie zum Beispiel bei Menschen, deren Gehirn nach einem Autounfall mit Schädel-Hirn-Trauma angeschwollen ist. Die Kontrolle des Hirndrucks ist dann überlebenswichtig. Die Ärzte bohren dazu ein kleines Loch in den Schädel und führen den dünnen Schlauch aus Polyurethan, an dessen Spitze sich eine Luftkammer befindet, ins Hirngewebe. Der Schlauch wird anschließend mit einem ICP-Monitor verbunden. ICP ist die englische Abkürzung für intracranial pressure, also den Hirndruck. Schwillt das Gehirn an, steigt der Druck auf die Luftkammersonden, auf der Digitalanzeige des Monitors wird dann der systolische ICP und der diastolische ICP angezeigt. Inzwischen ist der Katheter soweit entwickelt, dass er den Druck nicht nur messen, sondern gleichzeitig mindern kann, indem Flüssigkeit abgesaugt wird. Allerdings führt der Eingriff bei zehn Prozent der Patienten zu Infektionen, die lebensbedrohlich sind. Spiegelberg sucht eine Lösung und findet sie: Der Katheter muss antiseptisch wirken.

Mit Hilfe der Nanotechnologie und der Uni Erlangen entwickelt der Ingenieur eine Kunststoffmischung mit einem etwa zweiprozentigem Silberanteil. Die unzähligen Silberpartikel in dem Katheter (je zur Hälfte reines Silber und eine Silberverbindung) sind nur einige Millionstel Millimeter groß doch sie killen jeden gängigen Krankenhauskeim. Sogar Pilze und antibiotikaresistente Keime werden zerstört. Das Instrument ist ein Riesenerfolg. 2010 wird Spiegelberg für den völlig neuen antiseptischen Ventrikelkatheter vom Senat der Hansestadt Hamburg mit dem 7. Innovationspreis ausgezeichnet.

Grundsätzlich besucht Spiegelberg die großen Kliniken in Deutschland persönlich, stellt seine Produkte selbst vor. Die Mediziner sind begeistert. Zum einen über die Technik, zum anderen über ihre einfache Handhabung. Denn sie müssen im Grunde gar nicht viel tun. Ist die Sonde gelegt, genügt ein Handgriff. Einfach einschalten. Fertig.

„Das war stets mein Grundgedanke“, sagt Andreas Spiegelberg. „Möglichst nur ein Knopf.“ Der Begriff „plug and play“ hätte von ihm stammen können. Spiegelberg aber ist kein Marketingmensch, kein Vertriebsfachmann, kein Produktmanager. Er ist Ingenieur. Zufrieden, wenn er seine Produkte verbessern kann, glücklich, wenn er ein neues Produkt entwickelt. Er hält alle Fäden in der Hand, ist sich nicht zu schade, auch mal das Klo im Büro zu putzen. Sein Unternehmen expandiert, inzwischen zählt es 30 Mitarbeiter, die Produkte gehen in über 40 Länder, nach ganz Europa, nach Asien und Südamerika. Sie sind gut. So gut, dass große Investoren in die kleine Unternehmenszentrale am Tempowerkring schielen. Und Spiegelberg selbst ist bereit, abzugeben. Er sucht einen Investor.

2011 bekommt er ein Angebot, das er nicht abschlagen kann. Spiegelberg ist da Ende 50, er spürt, dass sein „Kind“ flügge geworden ist. Jetzt ist er bereit, es loszulassen. Als neue Gesellschafter treten die SHS und zwei Privatpersonen ins Unternehmen, Investmentfachleute, die wissen, dass hinter der Marke Spiegelberg ein ungeheures Potential schlummert. Nun gilt es, das Management zu optimieren, den Vertrieb zu professionalisieren, den Marktauftritt zu modernisieren und die Produktpalette zu erweitern. Ideen gibt es zuhauf. Interessenten ebenso.

Spiegelberg gibt seine Geschäfte ab, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Im August 2013 übergibt er die Geschäftsführung an einen der Privatinvestoren, Frank Sodha. Er ist ein anderer Schlag Mensch. Einer, der Unternehmen berät und sie erfolgreich auf dem Markt platziert, der weiß, wo Investitionen notwendig sind, um große Gewinne zu machen. Angefangen hat er 1987 als Manager bei der Price Waterhouse Unternehmensberatung. Derzeit ist er bei zwei Unternehmen als Gesellschafter und Partner involviert. „Spiegelberg war eine typische Gründerfirma“, sagt Sodha. „Er hat alles selbst gemacht. Jetzt gibt es für Vertrieb, Produktmanagement und Marketing Experten, so der neue Geschäftsführer. „Wir wollen das Produktportfolio ergänzen, zum Beispiel Ventile für Wasserkopfpatienten entwickeln.“

Gerade erst ist ein neues Gerät von Spiegelberg auf den Markt gekommen. Die Idee dafür kam von Dr. Lennart H. Stieglitz von der Universitätsklinik Bern. Ihm schwebte ein Instrument vor, das zwei Funktionen gleichzeitig ausführen kann. Es sollte bei Eingriffen am Gehirn zeitgleich saugen und spülen, zum Beispiel Tumorgewebe oder Blut absaugen und Kochsalzlösung reinspülen. Mit seiner Idee wandte er sich an Spiegelberg. Im Mai 2013 kam der „Stieglitz-Spülsauger“ auf den Markt. Die Branche ist begeistert. Also muss ausgebaut werden. Inzwischen sind neue Räume angemietet, die Produktionsräume sind modernisiert, es entstehen viele neue Büros für Vertrieb, Marketing und Entwicklung.

Andreas Spiegelberg selbst hat sein Lebenswerk vollbracht. Er wird dem Unternehmen treu bleiben und im wissenschaftlichen Beirat mit seinen Erfahrungen und Ideen seinen Teil beitragen. Und er wird die Kontakte zu den Klinikchefs pflegen, von denen viele über die Jahre Freunde geworden sind. Er lächelt, wenn er sagt, dass er sich freue, den Vogel fliegen zu sehen. Doch gäbe es ein Gerät, das Gedanken messen kann, es würde verraten, was dieser Abschied wirklich für ihn bedeutet.

Vor ein paar Tagen hat der 61-Jährige sein Büro geräumt. Den Schreibtischstuhl hat er mit nach Hause genommen. Es ist der Stuhl, auf dem er seine gesamte Ingenieurslaufbahn verbracht hat. Ein solides Stück.