Zwischen Mindestlohn, Energiewende und IC-Anschluss in Buchholz: Wie Politiker für ihre Ziele im Bundestag werben

Holm-Seppensen. Die Konkurrenz war groß an diesem Freitagabend: Einer der letzen Spätsommerabend mit Chance zum Draußensitzen, das Fußball-Länderspiel gegen Österreich und das Stadtfest in Buchholz. Dennoch blieb bei Moderator Hartmut Ludwig im Kulturbahnhof Holm-Seppensen kaum einer der 59 Stühle leer. So saßen die vier Bundestagskandidaten von CDU, SPD; Grünen und Linken in der ehemaligen Gepäckabfertigung vor gefüllten Reihen. Vermisst wurde nur Nicole Bracht-Bendt (FDP), die obwohl ihre schriftliche Zusage vorlag, nicht erschien und sich den Abend über auch nicht meldete. Dafür konnten ihre Kontrahenten punkten, auch wenn Ludwig zu Beginn versuchte, den Abend mit Hilfe einer Stoppuhr zu moderieren.

Mit seiner Erfahrung allen voraus: Michael Grosse-Brömer (CDU), der schon vor vier Jahren bei dieser Diskussion war und den Wahlkreis 36 zuletzt mit 40,6 Prozent gewonnen hatte. Der inzwischen zum Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgestiegene Politiker brachte Bonmots unter und unterstellte Fragestellern schmunzelnd, dass sie ja auch davon ausgingen, dass die Regierung bestätigt werde. Der Jurist steht für das Betreuungsgeld und die Wahlmöglichkeit junger Eltern, ihre Kinder in eine Kita zu schicken oder zunächst zu Hause zu behalten. Dafür gab es Applaus. Als Mitglied einer Regierungspartei am häufigsten gefragt, musste Grosse-Brömer die meiste Schelte einstecken. „Wenn Sie immer alles anders sehen, brauchen Sie mich ja nicht mehr fragen“, so eine Entgegnung auf einen hartnäckigen Kritiker.

Wenige im Mittelpunkt stand an diesem Abend Svenja Stadler (SPD). Die Mitarbeiterin einer Hamburger PR-Agentur hielt sich zurück, wirkte angestrengt. Bei Spezialfragen wie zur elektronischen Überwachung, die sie „unter aller Sau“ findet, räumte sie aber auch ein, nicht jedes Detail zu kennen. Ihre Themen fand sie dennoch sicher. Sie heißen gesetzlicher Mindestlohn, gleiche Bezahlung für Zeitarbeiter von Beginn ihrer Tätigkeit an. Zudem ist sie gegen das für die Öl- und Gassuche mögliche Fracking, das im Kreis abgelehnt wird.

Überraschung des Abends war Michèl Pauly (Linke), der in Lüneburg Staatswissenschaften studiert und dort zudem für ein Bauunternehmen arbeitet. Er erntete gleich Beifall, weil er aus der Hansestadt mit dem Fahrrad gekommen war. Der 28-Jährige setzt sich für den IC Halt in Buchholz ein: „Das bringt mehr Menschen runter von der Straße“ und zeigt auch bei Energiefragen Selbstbewusstsein. „Warum“, fragt er, „hat die Regierung die Leipziger Straßenbahn von der Erneuerbare-Energie-Abgabe freigestellt?“ Die Bahn stehe ja dort nicht im internationalen Wettbewerb.

Die Grüne Martina Lammers forderte mehr Sicherheit für Investoren in der Erneuerbaren Energie, will wie die SPD kein Fracking und ist zudem dafür, auch den Braunkohletagebau zu stoppen. Noch immer werde zu wenig gegen aufkommende rechte Tendenzen in der Politik getan, kritisierte sie. „Die NPD zieht mit ihren Hetzparolen durch das gesamte Land. Die Kontrolle greift nicht“, sagte die Lehrerin, die aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg stammt und dort an einer Grundschule auch an diesem Vormittag noch unterrichtet hatte. Sie muss Wähler überzeugen, auch wenn sie nicht aus dem Kreis kommt. „Gab es keinen Kandidaten von hier?“, fragt sie eine ältere Dame in der Pause. „Kennen sie den Kreis?“ Lammers’ Replik: „Ich kann die Probleme nun rasch kennenlernen.“

Zwar wird erst in knapp zwei Wochen gewählt. Doch scheint klar: Gibt es keinen Erdrutsch beim Wahlverhalten werden Grosse-Brömer und Stadler in den neuen Bundestag einziehen. Beide sind voraussichtlich über die Landeslisten abgesichert. Der CDU-Politiker, der trotz seiner 52 Jahre jugendlich wirkt, tritt professionell auf und wirkte nur einmal, beim Erläutern der Strategie von Kanzlerin Merkel, als habe er die Argumente auswendig gelernt. Stadler dagegen bietet sich wohl die Chance in den kommenden vier Jahren aufzuschließen. Obwohl sie in Berlin „viel verändern“ will, wie sie sagte, drängte sie sich in Holm-Seppensen nicht nach vorn. Offensichtlich kann sie aber zuhören. Zum Schluss gab es, als erneut ein Heidebahn-Triebwagen einfuhr, artigen Applaus für die Politiker. Größte Sorge des Moderators Ludwig ist, dass die Wahlbeteiligung unter die Marke von 70 Prozent sinken könnte. Doch bei den Menschen in den Vereinsräumen bestehe da aber keine Gefahr, sagte er. „Sie gehen sicher alle zur Wahl.“