Helmuth Dallmer ist Weltmarktführer mit seinem Hufschuh für Pferde. Am 16. September wird er 90 Jahre alt

Jeden Morgen um 9.30 Uhr drückt Helmuth Dallmer die geschwungene Klinke an der schweren Doppel-Holztür seines Fachwerkhauses hinunter, wirft einen Blick in die Werkstatt, geht durch die Verwaltungsräume bis ganz nach hinten in sein Büro und setzt sich an seinen Schreibtisch mit Blick auf weites Grün. Von hier aus, der Alten Landstraße 3 in Salzhausen, verschickt Dallmer sein Produkt in die ganze Welt: Schuhe für Pferde. Jetzt wird der Seniorchef 90 Jahre alt.

Aufgewachsen im Sauerland, hat sich Helmuth Dallmer in den 70er-Jahren entschieden, ins Pferdeland Niedersachsen zu ziehen. Um möglichst nahe an seinen potenziellen Kunden zu sein. Seine hellen Augen leuchten wach, wenn er Besuchern die Vorteile seiner Erfindung erklärt: „Die acht Nägel im Huf sind ein dauernder Fremdkörper. Wenn sie nicht perfekt sitzen, mindern sie die Leistung des Pferdes.“

Sein eigenes Pferd hatte die Hufrehe, eine Entzündung, konnte kaum noch laufen, da zog Helmuth Dallmer dem Tier kurzerhand die Nägel raus. „Acht Nägel sind acht Entzündungsherde“, dachte er sich. „Das war eine große Entlastung für das Pferd.“

Anstelle von Nägeln, dachte Dallmer dann weiter, müsse es doch eine andere Art geben, das Hufeisen zu befestigen. Und baute ihm kurzerhand einen Pantoffel.

Mit Kunststoff kannte er sich aus, dazu später mehr, und bappte die selbst gebauten Slipper mit dem Fingernagelkleber seiner Frau so fest an die Hufe, dass das Tier wieder mit Schutz laufen konnte. Die Schuhe hielten, und Dallmer ritt mit „Durban“, für den der Tierarzt das Einschläfern empfahl, noch manche Jagd.

Was für den multitalentierten Erfinder, auch dazu später mehr, 1974 eine revolutionäre Idee mit diversen Vorteilen darstellte, war für die Branche ein Affront: Da warf jemand eine 2000 Jahre alte Tradition über den Haufen.

Gelernt hat Helmuth Dallmer den Beruf des Graveurs. Sein Vater war sein Lehrmeister, sein Vorbild und sein Trainer: Jeden Mittag musste der Lehrling vor dem Essen Klimmzüge machen – bis auf zwölf Stück hat er es gebracht. Noch mit 80 Jahren hat er drei geschafft, mittlerweile ist der 89-Jährige jedoch zum Radfahren und Golfspielen übergangen: auf einem Trimmrad im Spitzboden seines Hauses und dem einen eigenen kleinen Grün mit zwei Abschlägen im Garten. Hätte er einen Tennispartner, würde er auch noch den Schläger auf dem eigenen Platz schwingen (Interesse? 04172-5100). Und zehn Mal pro Tag steht der Senior von seinem Schreibtischstuhl auf, ohne sich mit den Händen abzustützen – für die Oberschenkelmuskeln.

Vor genau 100 Jahren hat Johannes Dallmer seine Firma gegründet, er war zur Arbeitssuche aus der Region um Leipzig ins Ruhrgebiet gegangen. Eine kleine Werkstatt machte der Graveur im Sauerland auf, und heute gibt es das Unternehmen Dallmer zweimal: den Hauptsitz im Ruhrgebiet mit dem Fachgebiet sanitäre Anlagen und die Niederlassung in Salzhausen-Putensen mit dem Schwerpunkt Hufschuhe.

Die erste Idee für ein Geschäft hatte Helmuth Dallmer aber schon viel früher: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der junge Graveur Ringe aus Reichsmark-Fünfern geprägt – denn die bestanden aus reinem Silber. Er hat Kerzenhalter für Weihnachtsbäume hergestellt, die sich per Feder immer wieder von selbst aufrichteten. Er hat den Belag für Tennisplätze produziert und die elektrische Heizplatte mit stufenloser Regelung für Bügeleisen erfunden – 18 Jahre lief sein Patent, dann durften es die Großen nachmachen.

Und wer Helmuth Dallmer in seinem Büro mit dem großen Hundefoto an der Wand und dem schweren Eichenschrank mit Pferdekopf besucht, der sieht dort auch ein Kunststoffrohr herumliegen. So eins, wie es unter allen Waschbecken im Badezimmer hängt. Von dem hat er zwar nicht die Form erfunden, aber das Material: Er hat das Blei durch Kunststoff ersetzt.

Der Graveur war zum Kunststoffverarbeiter geworden – und zum Erfinder des Hufschuhs. Von einer Pferdemesse wurde der Fabrikant vor vielen Jahren noch verwiesen, sein Angebot war nicht erwünscht. Doch der 1923 geborene Mann, mit 50 Jahren guter und böser Lebenserfahrung ausgestattet, hat sich nicht beirren lassen. Heute lernt jeder Hufschmied das Kleben in der Lehre, es gehört sogar zur Abschlussprüfung.

Der Dallmer-Hauptsitz in Arnsberg stellt die Kunststoff-Puschen her, mittlerweile gibt es auch eine Miniversion für Fohlen, und aus Salzhausen verschickt die Dallmer-Niederlassung zigtausende Schuhe als Weltmarktführer über den ganzen Globus. Gerade ist die neueste Bestellung für eine Ladung Hufschuhe aus Australien in Salzhausen eingetroffen.