Organisierte Betrüger-Banden nehmen vermehrt ältere Russlanddeutsche ins Visier. Polizei rät zu Misstrauen

Neugraben. Zivilfahnder der Wache 47 haben an der Cuxhavener Straße einen Litauer (28) festgenommen, der eine alte Frau um 6000 Euro bringen wollte. Bei ihr handelt es sich um eine 82 Jahre alte Russlanddeutsche. Sie war offenbar ganz gezielt als Opfer ausgesucht worden. Bereits seit Wochen sind Täter unterwegs, die mit immer der gleichen Masche ältere Menschen ausnehmen wollen, die früher in Russland gelebt haben. Als Täter hat die Polizei gut organisierte Banden ausgemacht.

Am Mittwoch hatte ein unbekannter Mann in der Wohnung 82-Jährigen angerufen und auf Russisch erzählt, dass ihr Sohn einen Verkehrsunfall verursacht hätte. 6000 Euro, so die Aussage des Anrufers, müsste sie schnell auftreiben, damit er die Inhaftierung ihres Sohnes abwenden könnte. „Die Täter nutzen dabei die Erfahrungen von älteren Menschen aus, die sich aus ihrer Zeit in Russland durchaus vorstellen können, dass auch hier so etwas funktioniert", sagt ein Beamter.

Doch diesmal hatte der Anrufer den Falschen am Apparat. Abgenommen hatte der Schwiegersohn der alten Dame, die der Anrufer vermutlich fälschlicherweise für den Ehemann der 82-Jährigen gehalten hatte. Doch der 57-Jährige merkte sofort, dass hier Trickbetrüger am Werk sind - und er reagierte richtig. Zum Schein ging er auf die Forderung ein. Gleich nach dem Anruf informierte er die Polizei. So lagen gegen 19.40 Uhr Zivilfahnder auf der Lauer, als an dem vereinbartem Treffpunkt, dem großen Parkplatz einer Tierhandlung, ein Mann erschien, um das Geld abzuholen. Ein Briefumschlag wechselte noch den Besitzer. Dann ging alles sehr schnell. In einer Blitzaktion überwältigten die Beamten den Täter.

Bei dem Mann handelt es sich Sigiritas B., einem Litauer ohne festen Wohnsitz in Deutschland. Er wurde den Spezialisten des Fachkommissariates für Trick- und Taschendiebstahl, kurz ZD 63, übergeben. Eine Aussage machte Sigiritas B. in seiner Vernehmung nicht. Bislang war er bei der Polizei lediglich wegen einer Trunkenheit im Straßenverkehr aufgefallen. Das war nicht einmal in Hamburg. auch das gehört zu System.

Sigiritas B. dürfte ein Handlanger sein, einer der nur für die mit dem höchsten Risiko für die Täter behaftete Geldübergabe eingesetzt wird. In diesem Fall kam der 28-Jährige vor den Haftrichter, weil er keinen festen Wohnsitz in Deutschland hat. Lange in Haft bleiben wird er vermutlich nicht, weil er ein Ersttäter ist. Jetzt ist er bei der Polizei bekannt. Vermutlich wird er ausgetauscht gegen einen neuen, polizeilich unbelasteten Handlanger.

Die Hintermänner der Masche sitzen, das weiß die Polizei, in Litauen. Sie haben sich diese auf Russlanddeutsche angepasste Variante des Enkeltricks ausgedacht. Sie lassen einfach Telefonbücher nach Anschlussinhabern mit passenden Namen durchforsten.

„Schockanruf“ nennt die Polizei solche Taten. „In diesen Fällen wenden sich die Täter telefonisch an ältere, Russisch sprechende Mitbürger und teilen diesen mit, dass sich ein Familienangehöriger in einer Notlage befände und diese nur durch die Zahlung mehrerer Tausend Euro abgewendet werden könne“, sagt Hauptkommissarin Karina Sadowski. „Wir können nur dazu raten im Falle eines solchen Anrufes misstrauisch zu sein und die Polizei zu alarmieren.“

Wie viele ältere Russlanddeutsche bereits Opfer dieser Masche geworden sind, kann die Polizei nicht genau sagen. Dutzende Fälle sind bekannt. „Wir gehen aber davon aus, dass es ein großes Dunkelfeld gibt“, so Sadowsky. Denn viele der Opfer gehen, wenn sie merken, dass sie Opfer von Betrügern geworden sind, aus Scham nicht zur Polizei. In anderen Fällen ist es, auch eine Erfahrung aus ihrer früheren Heimat, mangelndes Vertrauen in die Sicherheitskräfte.

Das Opfer aus Schamgefühl keine Anzeige stellen, ist keine Eigenart von Menschen die früher in Russland lebten. Auch Senioren, die Opfer des „klassischen“ Enkeltricks wurden, scheuen oft den Gang zur Polizei. „Es spielt dabei oft eine große Rolle“, so ein Beamter, „dass sie Angst davor haben, dass ihre Umgebung, also auch Verwandte und Bekannte, sie nicht mehr für geistig rüstig genug halten, um ihr Leben allein zu regeln.“