Künstler und Lehrer Branimir Georgiev skizziert Jugendliche im Alltag. Das Kulturhaus Süderelbe zeigt seine Ausstellung „Bilder aus Hamburg-Süd“

Zu zweit sitzen Jugendliche nebeneinander und sind doch allein. Scheinbar liebevoll streichelt jeder für sich über ein Smartphone in der Hand. Die gekrümmte Haltung, das Gesicht in das fahle Licht des Handy-Displays getaucht, ist die Pose einer ganzen Generation. Derartige Zeitgeist-Posen junger Leute im Alltag fängt der bulgarische Künstler Branimir Georgiev blitzschnell mit dem Stift in seinem Skizzenblock ein, wenn er mit der S-Bahn von seiner Wohnung in Wilhelmsburg zu seinem Arbeitsplatz nach Neugraben fährt. Später entwickelt er aus den Skizzen farbintensive Acrylgemälde. Das Kulturhaus Süderelbe in Neugraben zeigt seine Bilder aus Hamburg-Süd in einer Einzelausstellung ab Donnerstag, 5. September.

Seine Ausdrucksmittel seien nicht revolutionär, sagt zwar der 38 Jahre alte Künstler. Aber indem er malt, was er im Alltag sieht, schafft Branimir Georgiev beinahe in Echtzeit ein radikal-zeitgemäßes Portrait der Jugend unserer Zeit. Jugendliche erkennen sich in den Szenen wieder. Oft versuchen junge Betrachter in den schemenhaften Antlitzen in Acryl bekannte Gesichter zu entdecken – wie in einer Fotografie.

Lassen sich Menschen in der S-Bahn einfach so zeichnen? Nicht selten ziehe sich jemand zurück, wenn er bemerkt, dass er skizziert werde, sagt Branimir Georgiev. Auf seine Arbeit angesprochen werde er aber so gut wie nie. Und wenn, könne er damit umgehen: „Ich war auch als Straßenkünstler tätig. Das ist nichts Besonderes für mich“, macht der Bulgare klar, dass er nicht schüchtern ist.

Branimir Georgiev hat in seiner Heimat Bulgarien in Veliko Tarnovo Kunstpädagogik studiert. In Bulgarien sei es üblich, dass Künstler als Pädagogen arbeiten. Im Jahr 2007 ist er nach Deutschland gekommen. Seine Schwester lebte bereits in Lübeck. Heute unterrichtet er Kunst und Deutsch für neu zugewanderte Ausländer an der Stadtteilschule Süderelbe. Mehrere seiner Schüler belegten bei der Hamburger Landesentscheidung in dem DRK-Plakatwettbewerb „Bunt statt blau“, einer Kampagne gegen Alkoholismus, Plätze unter den besten zehn.

Prämiert wurden auch T-Shirt-Motive seiner Schüler für die Umwelthauptstadt Hamburg. Branimir Georgiev macht das Verhalten junger Leute im Alltag zum Gegenstand seiner Kunst. „Es fasziniert mich, wie sie als Gemeinschaft wirken und miteinander kommunizieren“, sagt der 38-Jährige. In einem Triptychon thematisiert der Künstler die Beziehung Jugendlicher zu ihren Handys, die einem Fetisch gleich kommen. „Kommunikation“ lautet der ironische Titel des dreiteiligen Bildes, das jeweils einen verloren wirkenden Jugendlichen zeigt. Irgendwie einsam, sich von der Außenwelt abschirmend. Einer beinahe religiösen Zeremonie gleich wirkt der Adidas-Kapuzenpullover als Statussymbol wie ein Mönchsgewand, das Handy wie eine Reliquie. Geisterhalt wirkt das mädchenhafte Gesicht, das in das kalte Licht des Handy-Displays getaucht ist.Immer wieder wählt Branimir Georgiev in seinen farbintensiven Arylbildern Szenerien, die in Neonlicht oder anderem künstlich erzeugten Licht erscheinen. Ein Acrylbild aus dem Harburger Musikklub Stellwerk zeigt nicht den opulenten früheren Bahnhofswartesaal mit den hohen Wänden, sondern lediglich die Bar. Der Künstler interessiert sich geradezu brennend dafür, wie Licht sich im Dunkeln entwickelt. Das zu beobachten, sei eben an der Bar am besten.

Nicht in allen Fällen rekonstruiert Branimir Georgiev die Gemälde aus seinen skizzierten Alltagsbeobachtungen. Eine Gruppe Deutschrussen, die bei einem Boxkampf mitfiebern, hat er von Fotos aus russischen Zeitungen nachempfunden. Sie könnten aber auch in Neugraben leben, sagt der Künstler. In dem Stadtteil haben viele Menschen aus der früheren Sowjetunion ein Zuhause gefunden. Das Bild sei auch ein Versuch, die Jugendlichen an seiner Schule anzusprechen. Und da ist es wieder, das Spiel mit dem Licht: Einige in weißes Licht getauchte Gesichter sind der Hinweis an den Betrachter, dass das Boxpublikum nicht am Ring, sondern vor einer Großbildleinwand das Geschehen verfolgt.

Insgesamt 30 Exponate, jeweils 15 Gemälde und Zeichnungen, zeigt das Kulturhaus Süderelbe von Branimir Georgiev. Die Bilder stammen alle aus diesem Jahr. Trotzdem bezeichnet sich der Künstler als nicht übermäßig produktiv. Schließlich sei er ja Lehrer und könne nicht bis spät in die Nacht aufbleiben, sagt er. In ihm steckt offenbar viel Energie: Branimir Georgiev tanzt Zumba, macht Kraftsport und besitzt 100 unterschiedliche Fußballtrikots.

An der Donau in Nordbulgarien, in seiner Heimatstadt Russe, lagert Branimir Georgiev noch etwa 100 Bilder bei seinen Eltern. Gerne würde er sie nach Hamburg holen. Er plant, ein Atelier in der Künstler-Community in Wilhelmsburg, ein Projekt der Internationalen Bauausstellung, zu mieten. Der bulgarische Staat schütze die Kulturgüter des Landes stärker als andere EU-Staaten. Für jedes Bild brauche er eine Zollbescheinigung. „Selbst die eigenen Kunstwerke aus Bulgarien zu transportieren, ist sehr kompliziert“, sagt Branimir Georgiev. Ob der Honorargeneralkonsul der Republik Bulgarien helfen kann? Prof. Gerd-Winand Imeyer wird bei der Ausstellungseröffnung am 5. September in Neugraben sprechen.

Branimir Georgiev: „Bilder aus Hamburg-Süd“ (bis 2. Oktober), Vernissage: Donnerstag, 5. September, 18.30 Uhr, Kulturhaus Süderelbe, Am Johannisland 2, in Neugraben.