Lüneburger Schauspielkollektiv führt im Gymnasium Tostedt „Der Kick“ vor Neuntklässlern auf

Tostedt. Potzlow in der Uckermark, sechzig Kilometer nordöstlich von Berlin. Im Juli 2002 wird der 16-jährige Marinus Schöberl stundenlang von seinen Peinigern Marko Schönfeldt, Marcel Schönfeld und Sebastian Fink gedemütigt und gefoltert. Die Täter schleppen ihn noch etwa einen Kilometer weit durch den Ort, bevor sie ihm mit einem „Bordsteinkick“ den Schädel brechen und in der Jauchegrube neben einem Schweinestall verscharren. Wie konnte es soweit kommen? Mit diesen Fragen konfrontierten die Schauspieler des Lüneburger Theaterkollektivs kürzlich die Neuntklässler aller weiterführenden Schulen in Tostedt.

Die Täter, der Staatsanwalt, Eltern, Freunde, Erzieher, Pastor und Bürgermeister: Sie alle spielten eine entscheidende Rolle in der schicksalhaften Geschichte, die schließlich zu der Ermordung eines Jungen geführt hat, der eigentlich so gar nicht in das ideologisch geprägte Feindbild der Täter passen wollte. In kurzen Sequenzen, schnörkellos und ohne große technische Finesse, brachten Andreas Püst, Esther Barth und Achmed Ole Bielfeldt den Fall auf die Bühne. Eine besondere Dynamik bekam das Stück durch die Authentizität. Denn jedes gesprochene Wort wurde so von einer Person aus dem Umfeld des Opfers auch tatsächlich gesagt. Nach 45 Minuten Schauspiel übernahm dann Regisseurin Julia von Thoen die Moderation der anschließenden Diskussionsrunde. Für die Schüler war schnell klar: Schuld waren der Alkohol, die Perspektivlosigkeit, der Gruppenzwang.

Auch bei der Frage, ob so etwas nur in der Uckermark passieren konnte, waren sich die meisten schnell einig: „Nein, Potzlow ist überall.“ Die Gründe dafür zu benennen, fiel den Neuntklässlern dann schon schwerer. „Weil es überall Rechtsextreme gibt“, sagte einer. „Weil es keine vernünftige Polizei gibt“, ein anderer. Das fehlende Vertrauen in die Institutionen sei tatsächlich ein Problem in Potzlow gewesen, räumt Andreas Püst ein. „In erster Linie ist es aber die fehlende Zivilcourage“, sagt von Thoen. „Keiner hat hingeschaut."

Die Aufführung des dokumentarischen Stücks „Der Kick" nach der Vorlage von Andres Veiel war eine Gemeinschaftsaktion aller Schulen, die Mitglieder des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ sind. Ulrich Graß, Lehrer am Gymnasium und Sprecher des Tostedter Forums für Zivilcourage, wertete die Veranstaltung als gelungene Präventionsmaßnahme. Das Stück habe in eindrucksvoller Art und Weise soziale Ängste, Gewalt, Perspektivlosigkeit und Alkoholmissbrauch widergespiegelt. „Die Neuntklässler sind soweit, dass sie mit den Informationen und der Botschaft des Stücks gut umgehen können“, sagt Graß. Es sei wichtig, Jugendliche so früh wie möglich für das Thema „Rechtsextremismus“ zu sensibilisieren. Graß betont: „Tostedt hat nun einmal eine Vergangenheit, die nicht verdrängt werden darf.“