Es klingt wie Science-Fiction: Die Firma EK Automation aus Nenndorf baut Roboter-Autos mit Autopilot. Ausgestattet mit Radar und Laser sind sie weltweit im Einsatz. Teil 2 der Serie „Aus Harburg in die Welt“

Eco ist sein ganz besonderer Liebling. Weil er zuverlässig ist, fleißig, unermüdlich. Weil er anpacken kann, sich anpasst, keinen Ärger macht. Einer, der immer in Bewegung ist und trotzdem nie schlapp macht. Der nicht klagt, obwohl es viel zu tun gibt. Eco ist in etwa so groß wie sein Vertriebsleiter Ronald Kretschmer, er ist genauso gepflegt und praktisch veranlagt. Einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen den beiden gibt es aber doch: Eco fährt in festen Bahnen. Kretschmer hingegen erschließt neue Wege. Kretschmer entwickelt, Eco führt aus. „Es gibt nichts, was wir zweimal tun“, sagt er. „Wir erfinden jedes Mal etwas Neues.“

In der Fertigungshalle am Rande der Ortschaft Nenndorf, kurz vor den Toren von Buchholz in der Nordheide, hätte Walt Disneys Supererfinder Daniel Düsentrieb seinen Spaß gehabt. Hier entstehen Typen wie Eco, Compact oder Multi: Fahrerlose Transportsysteme, sogenannte FTS’, die statt von Menschenhand computergesteuert ihre Aufgaben erledigen. Roboter-Fahrzeuge, die jeder noch so schwierigen Anforderung gewachsen und weltweit im Einsatz sind. Die Schlepper, Plattformfahrzeuge und Gabelhubwaren agieren im Warenein- und ausgang der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, in Produktion, Lager und Versand, sie stapeln Paletten von Bierdosen in Holland, händeln Papierrollen in Druckereien, erledigen Einkäufe bei Blumenauktionen und transportieren Toastbrot.

Bis zu 3000 Kilogramm können sie mit einer Höchstgeschwindigkeit von 7,2 Kilometern pro Stunde tragen. Zu haben ist ein Typ wie Eco, der bis zu 1000 Kilogramm schleppen oder heben kann, für etwa 60.000 Euro.

Der jüngste Großauftrag kommt aus England von der Firma Arla. Die weltgrößte Molkerei, die täglich 1,2 Milliarden Liter Milch für den englischen Markt liefert, hat 75 Fahrzeuge mit Lasernavigation bei Kretschmer bestellt. Die Fahrzeuge transportieren Paletten mit Milchflaschen durch die Produktionshallen. 500 Liter pro Fahrt. 500 Transporte pro Stunde. 24 Stunden täglich, an 365 Tagen im Jahr, 20 bis 30 Jahre lang. Angetrieben mit Lithium-Ion-Batterien, informiert per Funk, gesteuert per Radar arbeiten diese Fahrzeuge zuverlässiger als jeder Mensch auf dieser Erde. Acht Stunden am Stück sind sie im Einsatz, gönnen sich nur eine Stunde Pause zum Aufladen der Batterien. Sie mucken nicht auf ob der zwei Grad Kälte in den Lagerhallen. Sie brauchen keine Raucherpausen, keinen Betriebsrat. Die Roboter-Fahrzeuge funktionieren, in Italien und Frankreich, Belgien, Dänemark und Schweden. Sie arbeiten in Australien und Neuseeland, in der Türkei, Großbritannien und Nordirland. Entwickelt, hergestellt und getestet aber werden sie in einer großen Halle am Ohepark 2 im kleinen Örtchen Nenndorf im Landkreis Harburg. Dort hat die Firma EK Automation ihren Firmensitz.

Erstmals vorgestellt wurde ein Fahrerloses Transportsystem um 1953/54 von der amerikanischen Firma Barrett Vehicle Systems. Das Unternehmen hatte einen Schlepper vorgestellt, der selbsttätig einem weißen, auf den Boden aufgebrachten Farbstreifen folgte. Hierzu hatte man am Lenkrad zusätzlich einen Lenkmotor angebracht, der Steuersignale eines optischen Sensors erhielt, mit dem der Farbstreifen abgetastet wurde. Anwendung fanden diese Schleppzüge für wiederkehrende Sammeltransporte über große Strecken. Nach demselben Prinzip funktionierten Fahrzeuge der Firma EMI in England, die dort ab 1956 auf den Markt kamen.

In Deutschland begann die Entwicklung im Jahre 1963. Gegründet wurde das Unternehmen 1963 von Dieter Eilers und Jürgen Kirf. Zwei Techniker durch und durch, die ihr Knowhow nutzen wollten, um Serienfahrzeuge mit Navigations- und Steuerungssystemen auszurüsten.

Zunächst ging es den beiden Tüftlern ausschließlich darum, bereits vorhandene Fahrzeuge auf automatische Funktion umzubauen. Inzwischen werden ganze Systeme für den gezielten Einsatz entworfen und angefertigt - vom Transport über den Materialfluss bis hin zu komplett automatisierten Prozessen. Die Navigation erfolgt über Radar, Laser, Magnet oder Draht.

Mithilfe der computergesteuerten Navigationssoftware können die fahrerlosen Transportfahrzeuge zum Beispiel problemlos Schmalgänge befahren oder Lasten mit extremer Präzision in Regalen und auf dem Boden positionieren.

In der Automobilproduktion sind fahrerlose Transportsysteme längst gängige Praxis. Seit ein paar Jahren kommt verstärkt ein neuer Markt hinzu: die Lebensmittelindustrie. „Denn auch hier müssen die Produktionswege aus Sicherheitsgründen nahtlos zurück zu verfolgen sein“, sagt Kretschmer, der ursprünglich bei der Firma Jungheinrich angestellt und 1996 im Zuge der Übernahme zur Firma E&K übersiedelte, die damals ihren Sitz in Buchholz hatte. Im Jahr 2000 wurde die neue Unternehmenszentrale in Nenndorf gebaut. 2013 wurde aus E&K die Firma EK Automation

Vor zwei Jahren zogen sich die Gründer aus dem Geschäft zurück. Der neue Eigentümer agiert im Hintergrund eines Unternehmens, das in diesem Jahr nicht nur sein 50-jähriges Bestehen feiert, sondern mit über 700 realisierten Anlagen und 8500 Fahrzeugen europaweit Marktführer ist.

Kretschmer, gleiches Baujahr wie sein Arbeitgeber, gerät ins Schwärmen, wenn er von den Erfolgen spricht: „Wir haben einen Jahresumsatz von 30 Millionen Euro, bauen mit unseren 163 Mitarbeitern 40 Anlagen und 250 Fahrzeuge pro Jahr. Etwa 60 Prozent davon gehen in den Export.“ Unermüdlich surren sie in den Hallen von Aldi, Marktkauf und Edeka, Audi, Volkswagen, BMW und Ford, Radeberger, Gerolsteiner und Bavaria herum – um nur einige der Kunden zu nennen. Sogar in den großen Kliniken mit 600 Betten und mehr sind die Fahrzeuge im Einsatz. Sie sorgen dafür, dass die Mahlzeiten aus der Großküche zur stets gleichen Uhrzeit abgeholt und auf die Stationen gefahren werden. Sie transportieren die schmutzige Wäsche in die Wäscherei. Und die sauberen Laken zurück in die Lager. Sollten die Fahrzeuge künftig zudem mit Kamera ausgestattet werden und die Umgebung dreidimensional wahrnehmen können, wären noch ganz andere Einsätze denkbar.

Dann werden in Produktions- und Lagerhallen künftig überhaupt gar keine Herzen mehr schlagen, sondern nur noch die leisen Motoren der Fahrzeuge surren. „Dieser Weg ist nicht aufzuhalten“, sagt Kretschmer, der die Entwicklung ganz nüchtern betrachtet.

Natürlich gingen im Zuge der Automatisierung von Produktionsabläufen Arbeitsplätze im Lager verloren. Gleichzeitig aber würde der Bedarf an Ingenieuren steigen, die Maschinen entwickeln und programmieren können. „Hier suchen wir immer gute Leute“, so Kretschmer.

Menschen mit Knowhow, die den Fahrzeugen Leben einhauchen. Bislang stand der Fokus immer auf der Technik. Jetzt will das Unternehmen einen Imagewandel. Seit ein paar Monaten gibt es ein neues Leitbild. Gleichauf mit Produkten stehen die Menschen, denen sie ihre Existenz zu verdanken haben. Ihnen soll mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Hinter jeder perfekten Lösung steht ein perfektes Team“, zitiert Kretschmer stolz aus der neuen Imagebroschüre. Will heißen: „Ohne unsere Mitarbeiter sind wir nichts.“