Kirsten Voß ist Ikonenmalerin. Ihr Atelier befindet sich in einer Mansarde am Südrand Hamburgs

Sinstorf. In einer Dachkammer in Sinstorf entstehen Heiligenbilder nach jahrtausendealter Tradition. Kirsten Voß brachte das Handwerk von Kreta nach Harburg. Ein Werkstattbesuch.

Das Blattgold ist bereits aufgebracht, die ersten Farbschichten auch. Langsam werden die Details feiner, als Kirsten Voß mit der nächsten Schicht beginnt: Ein Erzengel erscheint einem Betenden „Eine Ikone hat bis zu acht Farbschichten, immer von Dunkel nach hell aufgebaut“, sagt die Künstlerin. Wer wissen will, wie die Ikone später aussehen wird, kann neben dem entstehenden Bild auf die Vorlage gucken.

„Jede Ikone ist ein Original, aber keine ist frei erfunden“, sagt Kirsten Voß. Die Motive der Heiligenbilder sind teilweise über tausend Jahre alt und werden immer wieder „abgeschrieben“. Das Wort Kopie ist unter Ikonenmalern nicht gerne gehört, denn eine Ikone ist mehr, als einfach nur ein Bild – sie transportiert den Glauben. Ikonen rangieren im orthodoxen Religionskontext beinahe gleich mit der Heiligen Schrift. Dass jeder Gläubige lesen kann, ist seit höchstens einem Jahrhundert selbstverständlich. Zuvor bedurfte es stets bildlicher Darstellungen, um den christlichen Glauben zu vermitteln. Die westliche Kirche bediente sich dazu ihrer Fenster, die Orthodoxie der Ikonen. Der klare Vorteil der Ikone dabei: Sie ist nicht an das Haus Gottes gebunden, sondern findet sich auch in fast jedem orthodoxen Haushalt.

Die Ikonenmalerei ist dabei keinen künstlerischen Moden unterworfen. Änderungen treten höchstens behutsam, von Abschrift zu Abschrift, auf. Typisch für Ikonen ist die umgekehrte Perspektive: Der Fluchtpunkt liegt auf dem Hauptmotiv und bringt dieses so dem Betrachter näher. Gemalt wird auf Holztafeln, mit Farben, die aus nur vier verschiedenen Pigmenten in Eigelb angerührt werden.

Kirsten Voß, Jahrgang 1960, erlernte ihr Handwerk auf Kreta. Dort hatte sich seit dem 16. Jahrhundert, als viele Ikonenmaler nach der osmanischen Eroberung aus dem bis dahin geistigen Zentrum der Orthodoxie, Konstantinopel, fliehen mussten die so genannte kretische Schule entwickelt. Kirsten Voß war 1996 nach Kreta gekommen, als westeuropäische Aussteigerin. Zuvor hatte sie in Hamburg eine Tischlerlehre absolviert und 16 Semester Psychologie hinter sich gebracht. Mit dem christlichen Glauben, geschweige denn Ikonen, hatte sie damals aber nichts am Hut.

Das änderte sich auf Kreta. „Religion ist dort so sehr Teil des täglichen Lebens, dass ich mich dem gar nicht entziehen konnte“, sagt Kirsten Voß. Nachbarn nahmen sie mit in die Kirche. „Dort wurde ich mit offenen Armen empfangen und begann, mich für die Riten und Mythen zu interessieren.“

Damit begann auch das Interesse an Ikonen. Kirsten Voß fing an, herumzureisen und sich berühmte Heiligenbilder anzusehen. „Dann wollte ich selber malen und suchte einen Kurs,“ sagt sie. Den fand die Frau dann auch. Alerdings musste sie dafür 60 Kilometer über die halbe Insel zurücklegen - einmal pro Woche. „Das habe ich aber gerne in Kauf genommen“, erinnert sich Kirsten Voß.

Der Kurs für Laien war Kirsten Voß nicht genug. 2003 begann sie eine staatlich geförderte Fortbildung zur professionellen Ikonenmalerin. Ihr Hauptlehrer war Georgos Makrakis, ein ausgewiesener Spezialist für die uralte Vergoldungstechnik, derer sich die kretische Schule bedient, sowie für die traditionelle Vierfarbtechnik. . Schon 2006 hatte Kirsten Voß eigene Ausstellungen und erste eigene Aufträge. So hätte es weiter laufen können, doch dann kam die griechische Finanzkrise, die sich sofort in der Kunstförderung bemerkbar machte. „Ich merkte schnell, dass ich auf Kreta von der Kunst nicht mehr leben kann“, sagt Kirsten Voß.

Also kehrte sie zurück in ihre Heimatstadt Hamburg, zunächst nach Neugraben, dann fand sie ihr Wohnatelier in Sinstorf. „Die Miete ist niedrig, das Licht durch das Dachfenster sehr schön und ich habe einen Kellerraum, in dem ich die Holztafeln vorbereiten kann“, sagt die Künstlerin.

Zu tun hat Kirsten Voß genug: Sie stellt aus, fertigt Auftragsarbeiten an und gibt Kurse. Von ihrem Handwerk leben kann sie auch, „allerdings nicht gerade im Luxus“, sagt sie. Zwischen dem Aufwand, eine Ikone zu fertigen und dem, was sie ihren Kunden an Preis zumuten möchte, besteht ein Unterschied zu Lasten der Künstlerin.

Wer einmal Ikonen von Kirsten Voß sehen möchte, kann momentan ihre Ausstellung in Stade besuchen. Bis zum 30. September zeigt sie ihre Arbeiten dort in der St.-Cosmae-Kirche. Jeden Donnerstag um 15.00 Uhr gibt es eine Führung. Außerdem hat die Künstlerin eine Internetpräsenz: www.kirstenvoss.my-kaliviani.com