Manuela S. bestreitet die Vorwürfe. Laut Anklage soll sie in einem Seniorenpark Bewohner schwer misshandelt haben

Winsen. Während der Staatsanwalt im Sitzungssaal 214 des Winsener Amtsgerichts die Anklageschrift verliest, blickt Manuela S. zu Boden. Die junge Frau wirkt bedrückt und sorgenvoll. Im Jahr 2011 arbeitete sie als Pflegehelferin im Seniorenpark Borchers-Bosak in Garstedt. Dort soll sie in dieser Zeit zwei Bewohnerinnen mehrmals körperlich misshandelt haben. Das jedenfalls wirft ihr die Staatsanwaltschaft Lüneburg vor.

Am 7. Mai soll sie einer Bewohnerin laut ins Ohr geschrien haben, einen Tag später, so der Staatsanwalt, soll Manuela S. einer anderen Bewohnerin den Waschlappen ins Gesicht gedrückt haben. Wenig später, so der Vorwurf an die ehemalige Pflegehelferin, soll sie eine Bewohnerin stehend und nackt unter der Dusche festgebunden haben, um sie dann mit eiskaltem Wasser abzuduschen. Außerdem soll Manuela S. eine demente Bewohnerin brutal an ihr Bett gefesselt sie mit dem Knie aufs Bett gedrückt haben. Als Grund für ihre „Aussetzer“ gegen die ihr anvertrauten alten Menschen in dem Seniorenheim soll Manuela S. „persönliche Probleme in dieser Zeit“ angegeben haben, heißt es in der Anklage.

Es sind schwere Vorwürfe, die der Staatsanwalt da gegen die junge Frau, die nach eigenen Angaben „gerne mit Menschen arbeitet“ und jetzt eine Ausbildung zur Krankenschwester in Ostdeutschland macht, erhebt. Richter Michael Hermann fragt Manuela S., ob sie sich zu den Vorwürfen äußern wolle. Manuela S. beginnt, ihren Arbeitsalltag in dem Pflegeheim zu schildern. Was die Zuhörer im Saal 214 dann zu hören bekommen, ist beklemmend. Es ist eine Geschichte, wie sie sich in diesem Land wohl in vielen Pflegeheimen jeden Tag abspielt. Der Pflegenotstand ist längst in der Realität angekommen.

„Als ich dort eingestellt wurde, bin ich an meinem ersten Tag mit anderen Kollegen mitgegangen. Und schon am zweiten Tag habe ich die Bewohner auf der gelben Station selbstständig versorgt. Das heißt die Grundpflege gemacht“, sagt die junge Frau mit den langen dunkelblonden Haaren. Sie habe vorher in einer Tierarztpraxis gearbeitet und von Pflege nicht viel Ahnung gehabt. Im „gelben Bereich“ liegen die „schweren Fälle, Bettlägerige, Demenz-Patienten“. Viele von diesen Bewohnern seien kaum noch ansprechbar, einige müssten sogar am Bett fixiert werden. Als Pflegehelferin habe sie unter anderem Medikamente verabreicht, auch Medikamente in Sonden gespritzt oder Zucker-Patienten Insulin gespritzt. In ihrer Schicht sei sie für 49 Bewohner zuständig gewesen.

Der Vorwurf, sie habe persönliche Probleme gehabt, so Manuela S., stimme nicht. Als sie in dem Pflegeheim angefangen habe, hatte sie sich vorher von ihrem Freund getrennt, aber kurze Zeit später in einen Kollegen verliebt. Bei ihrer Arbeit habe sie unter enormem Zeitdruck gestanden, aber das sei auf dieser arbeitsintensiven Station üblich gewesen. „Aber angeschrieen, geschlagen oder zur Strafe fixiert habe ich niemanden. Oft haben wir die Bewohner morgens aus ihren Betten geholt, sie gewaschen und sie dann in den Aufenthaltsraum in ihre Therapiesessel gesetzt. Oft kam es vor, dass die alten Menschen bis abends um 21 Uhr dort sitzen bleiben mussten, unter sich gemacht haben und in ihrem Exkrementen sitzen blieben, weil niemand für sie Zeit hatte“, sagt Manuela S. aus.

Am 8. Mai 2011 soll Manuela S., so die Anklage, einer bettlägerigen, desorientierten und nicht ansprechbaren alte Frau den Waschlappen ins Gesicht gedrückt haben. „Als Frau M. zu uns kam, war sie in einem völlig verwahrlosten Pflegezustand. Die Haare waren verfilzt, um den Mund herum waren dicke Schorfstellen. Ich hatte bei Kollegen gesehen, dass sie ihr den Waschlappen aufs Gesicht legten, um die Borken aufzuweichen. Und das habe ich auch getan. Frau M. war sehr unruhig. Sie war an Armen, Beinen und mit einem Bauchgurt fixiert. An einem anderen Morgen habe ich ihr aus dem Bett geholfen und sie auf der Toilette fixiert, weil ich ihr Bett, dass voll mit Kot und Urin war, sauber machen wollte. Das wäre anders nicht gegangen“, schildert die frühere Pflegehelferin ihren Arbeitsalltag. Auch den Vorwurf, eine andere Bewohnerin angeschrien zu haben, bestreitet Manuela S., „weil es sowieso überhaupt keinen Sinn gehabt hätte, sie anzuschreien. Damit erreicht man doch gar nichts bei den Leuten“.

Im September 2011wurde Manuela von der Pflegedienstleitung mit den Vorwürfen konfrontiert. Es folgte die fristlose Kündigung. Gegen die wehrte sich die junge Frau. Das Lüneburger Arbeitsgericht gab ihr Recht, weil es die Vorwürfe für wenig konkret hielt. Keiner der Zeugen – ehemalige Kollegen von Manuela S. aus dem Pflegeheim – konnte laut Arbeitsgericht die Vorwürfe genau datieren oder konkreter darstellen. Richter Michael Hermann wird nun an einem zweiten Verhandlungstag die Zeugen für die angeblichen Übergriffe von Manuela S. vorladen.