Die Schrebergarten-Kolonie als grüne Lunge und kleiner Kosmos mitten in der Großstadt. Mit Sylvia Dorsch haben die Schreber zum ersten Mal eine Frau zur ersten Vorsitzenden gewählt.

Harburg. Ein Drittel Obst, ein Drittel Gemüse und ein Drittel Wiese, so lautet die Faustregel, die besagt, wie ein Kleingarten auszusehen hat. Noch ist das Image deutscher Schrebergarten-Kolonien verstaubt. Recht bald denkt man da an pingelige Vereinsstatuten, die die exakte Höhe der Grasnabe und die Heckenbreite in Millimetern vorgeben, an neugierige Gartennachbarn und streng einzuhaltende Ruhezeiten im Laubenbereich. Aber im "Kleingärtnerverein 738 Phoenix Harburg" kommt seit geraumer Zeit Bewegung in das Miteinander der Laubenpieper. Mit Sylvia Dorsch haben die Schreber zum ersten Mal in ihrer 100-jährigen Geschichte eine Frau zur ersten Vorsitzenden gewählt, obwohl Dorsch schon bei ihrem Vereinseintritt vor etwa sechs Jahren eine kleine Revolution losgetreten hatte. "Ich habe damals, was absolut unüblich hier war, meine Laube weiß und hellgrau gestrichen. Es stimmt schon, dass Schreber es grundsätzlich sehr ordentlich lieben, und meine helle Laube setzte sich natürlich sehr ab von den anderen braunen Standard-Modellen hier", sagt die Harburgerin, die ihre außergewöhnliche Laube mit ihrem Kater Herr Pettersson teilt.

Sie wohne in einer Etagenwohnung, sagt sie. Irgendwann kam die Lust, in einem eigenen Garten herum zu buddeln. Sie habe sich nicht von dem spießigen Image, das Kleingarten-Kolonien haben, abschrecken lassen. Und als sich die Gelegenheit bot, übernahm sie den wenige Minuten von ihrer Wohnung entfernten Schrebergarten. Schon ihr Eintritt war eine kleine Sensation, "denn eigentlich mögen Kleingärtnervereine nicht unbedingt gern alleinstehende Frauen aufnehmen. Offensichtlich herrscht da vielfach die Befürchtung, eine Frau könne ihren Garten alleine nicht bewirtschaften", so Dorsch. Dieses Vorurteil jedenfalls hat Sylvia Dorsch schnell aus der Welt geschafft.

"Bereut habe ich es bisher nicht. Auch wenn Schreber sehr ordentlich sind, darf man nicht den Fehler begehen, zu glauben, sie seien borniert. Ich genieße diesen kleinen Kosmos mitten in der Stadt, das Miteinander, die gegenseitige Hilfsbereitschaft. Wenn ich morgens zur Toilette ins Vereinshaus gehe, dann treffe ich andere Schreber im Schlafanzug. Man unterhält sich und geht seiner Wege, und es gibt hier wirklich jeden Tag etwas Neues zu entdecken", so Dorsch. Laubenpieper ihrer Generation nennen sich auch lieber Stadtbauern und nicht mehr Laubenpieper oder Schreber. Stadtbauer, sagt Sylvia Dorsch, treffe die Sache viel besser. Aber, und darauf legt die Stadtbäuerin in ihren roten Gummistiefeln Wert, nicht alles Alte in Kleingärtnervereinen sei überholt oder per se schlecht. "Es macht Spaß, an so einem Tag wie heute, wo wir den 100. Geburtstag unseres Vereins gemeinsam feiern, alle Gärten zu schmücken und zusammen zu feiern", sagt Sylvia Dorsch, die in den vergangenen Tagen einiges an Arbeit in die Organisation des Festes investiert hat. "Es machen alle mit, jeder hilft, wo er kann, backt Kuchen, sorgt für Essen und Getränke", so die Vereinsvorsitzende. Denn immerhin wird auch noch Harburgs Bezirksamtsleiter Thomas Völsch als Gratulant erwartet.

Serengül Özkan steht in ihrer Laube und knetet den Kuchenteig. Ihre kleine Tochter Simay habe sie und ihren Mann Can Özkan auf die Idee gebracht, einen Schrebergarten zu pachten. "Wir wohnen in einer Etagenwohnung und wollten, dass unsere Tochter sich in einem Garten austoben, mit anderen Kindern spielen kann", sagen die Eltern. Früher habe er sich das überhaupt nicht vorstellen können, in einen solchen Verein einzutreten, sagt der Harburger Kaufmann aus der Türkei. "Aber wir sind hier sehr gut aufgenommen worden und fühlen uns wohl in dieser Schrebergarten-Kolonie. Es sei schön, sagen die Özkans, dass inzwischen auch jüngere Leute hier her kämen und frischen Wind in die Kolonie brächten. Genau wie für Sylvia Dorsch ist es auch für die Familie Özkan ein großer Pluspunkt, dass der Kleingärtnerverein Phoenix inzwischen ein in der Tat internationaler Verein geworden ist.

"Unter unseren Mitgliedern sind Kroaten, Türken, Portugiesen, Russen, und ich fühle mich sehr wohl in dieser toleranten Stimmung", sagt Sylvia Dorsch. Und deswegen stört sich auch niemand daran, dass Can Özkan zur Feier des Tages seine Laube nicht nur mit der Hamburg-Flagge geschmückt hat. Daneben hängt seine Atatürk-Fahne. Und auch die Özkans versuchen, auch wenn sie sich nicht unbedingt als begnadete Gärtner bezeichnen würden, die Drittel-Regel für Obst Gemüse und Wiese einzuhalten. "Wir pflanzen Kartoffeln, die sind einfach und wachsen, auch wenn man mal nicht ans Gießen denkt", sagt Can Özkan lachend.

Seit 52 Jahren bewirtschaften Marion und Martin Weigel aus Harburg nun schon ihre Parzelle 141. "Martin arbeitete damals bei der Phoenix, sein Kollege war Vorsitzender dieses Kleingärtnervereins. So kamen wir an unsere Laube. Wir hatten damals wirklich Glück", sagt Marion Weigel. Auf ihrem Schoß sitzt Enkelsohn Mads, der wie sein Vater eine Kindheit im Schrebergarten verbringt. Martin Weigel musste damals allerdings eine Bedingung erfüllen, damit er und seine Frau Marion hier eine Laube bekamen. "Ich musste mich bereit erklären, das Dach vom Donnerbalken in Ordnung zu halten und es zwei Mal im Jahr streichen. Und ich musste gleich im Vorstand mitarbeiten. Aber das alles habe ich gerne getan, damit wir hier einen Garten bekommen", sagt Martin Weigel.

Dann marschiert Mads mit Oma und Opa zum Vereinshaus, wo um 12 Uhr die Geburtstagsfeier mit der Hamburg Hymne eröffnet werden wird.