Polizeiverkehrslehrer aus Harburg und Wilhelmsburg bieten in den Sommerferien Fahrradseminare für Kinder an.

Harburg. Überall sieht man sie: Radfahrer auf der Straße, auf dem Radweg und auf dem Fußweg. Und in zahlreichen Einbahnstraßen sind sie sogar höchst offiziell mit behördlicher Genehmigung als "Geisterfahrer" entgegen der Fahrtrichtung geduldet. Weil Radfahren auf Straßen, Wegen und Plätzen aber auch seine Tücken hat und die Unfallbilanz für das Jahr 2011 rund 15.000 schwer verletzte Radfahrer in Deutschland ausweist und davon sogar 400 tödlich Verletzte, haben die Polizeiverkehrslehrer der Kommissariate in Harburg und Wilhelmsburg im Sommerferienprogramm wieder zu einem Fahrradseminar für Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren eingeladen, um vorbeugend für mehr Sicherheit zu sorgen.

Zehn Kinder aus Harburg nahmen an der kostenlosen Schulung auf dem Schwarzenbergplatz teil, bei der sie nicht nur einen simulierten Verkehrsunfall mit einem Fahrrad-Dummy miterleben konnten sondern auch etwas über den toten Winkel erfuhren. Aber das Seminar hat den Teilnehmern noch sehr viel mehr gebracht.

"Das hätte ich nicht gedacht", sagt der 13 Jahre alte Ershad. Er saß am Steuer eines Lastwagens, den die Hamburger Stadtreinigung für das Fahrradseminar zur Verfügung gestellt hatte. Obwohl er oben vom Fahrersitz weit nach vorn und zu den Seiten schauen konnte, war es ihm nicht möglich zu sehen, dass alle anderen Kinder auf der Beifahrerseite neben dem Lkw und auch vor dem Lkw standen. Auch beim Blick in den rechten Außenspiegel waren die Kinder nicht zu erkennen.

Da spannten die Polizeiverkehrslehrer Axel Stadie, Kerstin Grabowski und Thorsten Pagel rot-weiße Plastikbänder, die deutlich machten, wie groß dieser Bereich ist, in dem der Autofahrer zur Seite hin nichts sieht. Es ist ein gewaltig großer Bereich, in dem die Schüler mit ihren Fahrrädern unsichtbar sind. Dieser Bereich wird der "tote Winkel" genannt.

Stefan Blinkmann, Lkw-Fahrer der Stadtreinigung und Profi hinterm Steuer, sagt, dass inzwischen viele Lastwagen mit zusätzlichen Spiegeln ausgestattet sind, die auch den toten Winkel des Hauptspiegels überschaubar machen. Aber als Autofahrer habe man zur Einschätzung der Verkehrssituationen oftmals nur Bruchteile von Sekunden zur Verfügung, um richtig reagieren zu können. Blinkmann: "Es passiert recht häufig, dass sich Radfahrer am Straßenrand vor roten Ampeln oder an Kreuzungen an Lastwagen vorbeizwängen. Sie sollten dann Blickkontakt zum Fahrer aufnehmen, um sicher zu sein, dass er sie auch sieht."

Wenn ein Lastwagen an der Straßenecke abbiegt, dann fahren die Hinterräder einen engeren Bogen als die Vorderräder. So kommt es ganz besonders bei Lastwagen mit Anhänger relativ häufig vor, dass die Hinterräder bereits den Kantstein berühren oder darüber hinweg rollen. Deshalb sollten Fußgänger und Radfahrer immer genügend Abstand zum Kantstein haben, erklärt Verkehrslehrer Axel Stadie, der zusammen mit Kerstin Grabowski beim Harburger Polizeikommissariat 46 arbeitet. Verkehrslehrer Thorsten Pagel kommt vom Wilhelmsburger Kommissariat. Für einen Versuch hatten die Verkehrslehrer Plastikbecher mit Wasser gefüllt und im Bogen an einer Straßenecke auf dem Schwarzenberg abgestellt. Während das Vorderrad mit einem Meter Abstand vorbei rollte, walzte das Hinterrad mehrere Becher platt. Diese eindrucksvolle Vorstellung hätten die Kinder gern öfter gesehen.

Eine Woche lang, täglich drei Stunden, erfuhren die Kinder im Seminar, was zu einem sicheren Fahrrad dazu gehört. Die eigenen Fahrräder wurden durchgecheckt: Bremsen, Beleuchtung. Alles war in Ordnung. Nur an einem Fahrrad funktionierte die Klingel nicht. Die Kinder lernten ein Loch im Fahrradschlauch zu flicken. Thorsten Pagel: "Ich war überrascht, wie viele Kinder das bereits konnten." Welchen Schutz ein Fahrradhelm für den Kopf bietet erfuhren die Kinder im Film, und bei einem Versuch der Prüforganisation Dekra sahen sie eine Dummy-Puppe beim Zusammenstoß vom Fahrrad übers Auto fliegen. Erkenntnis: Schwere Kopfverletzungen sind die Folge. Verkehrslehrerin Kerstin Grabowski: "Ein Helm schützt und kann Leben retten. Wir fahren beim Seminar alle mit Helm." Ein Geschicklichkeitsparcours war aufgebaut. Da mussten enge Kreise gefahren werden, Slalom, bergauf und bergab. Stadie: "Beim Fahrradfahren ist es wichtig, das Gleichgewicht in unterschiedlichsten Positionen halten zu können. Einfach nur schnell zu fahren, ist überhaupt keine Kunst."

Straßen sind nicht nur für Autos da. Die Verkehrslehrer der Polizei verwenden für Straßen den Begriff Fahrbahnen. Und Fahrräder sind Fahrzeuge, die auch auf der Straße fahren dürfen. Nur wenn ein Radweg mit dem blauweißen Fahrradschild gekennzeichnet ist, muss der Radweg benutzt werden. Kinder bis acht Jahre müssen auf dem Gehweg fahren, Kinder bis zehn Jahre dürfen auf dem Gehweg fahren, ab elf Jahre ist der Radweg zu benutzen oder auch die Fahrbahn. Axel Stadie: "Die Verkehrsregeln sind auch vielen Erwachsenen nicht bekannt, wenn sie mit dem Fahrrad unterwegs sind und beispielsweise in falscher Fahrtrichtung über Geh- und Radwege fahren. Auf die Weise ereignen sich viele Unfälle. Vermutlich würde es Sinn machen, auch ein Fahrradseminar für Erwachsene anzubieten."