Das einzige Musikfachgeschäft in Harburg räumt nach 131 Jahren die Regale. Es wurde kein Nachfolger gefunden. Vier Jahre wurde nach geeigneten Nachfolgern für das Geschäft gesucht.

Harburg . Wir schreiben das Jahr 1882. Harburg/Elbe ist ein aufstrebendes Industriestädtchen mit knapp 20.000 Einwohnern. Die Deputation der Harburger Schützengilde beschließt, auf dem Schwarzenberg einen Schützenpark anzulegen und ein Lokal zu bauen, und Deutschland hat noch seinen Kaiser Wilhelm I. Da eröffnet am 28. März der Harburger Klavierbauer Johann Peter Friedrich Lebens das "Erste Harburger Musikwaaren-Fachgeschäft" an der Schloßstraße, damals Harburgs wichtigste Einkaufsstraße. Zehn Jahre später folgt der Umzug in die Wilstorfer Straße. Der erste Weltkrieg ist gerade vorbei, als sein Sohn Friedrich Lebens nach einer umfangreichen Ausbildung zum Musikinstrumentenbauer 1919 das Geschäft übernimmt. Die Bombenangriffe im 2. Weltkrieg zerstören die Verkaufsräume. Friedrich Lebens rettet einige Instrumente in seine Wohnung und betreibt das Geschäft weiter. Seine Reparaturaufträge lässt er sich oft mit Wurst und Käse bezahlen. 1947 zieht er mit seinen Instrumenten und seiner Werkstatt in die Harburger Rathausstraße 3, heute Nummer 7 um. Friedrich Lebens bleibt kinderlos. Im Jahr 1960 übernehmen der Musiker und Kaufmann Joseph Gratzer und seine Frau Waltraud das Geschäft. In den 70er-Jahren übernehmen die Töchter mit ihren Ehemännern das Musikhaus.

Wir schreiben das Jahr 2013: Hans-Georg Tressat duzt seine jungen Kunden. "Die wollen hier niemanden sehen mit Schlips und Kragen, der auch noch förmlich daherredet. Außerdem kenne ich die meisten schon seit vielen Jahren", sagt er. Vor ihm steht ein junger Mann, der bei Tressat ein Feingewinde für seine E-Gitarre bestellt hat. Normalerweise kostet das Teil um die 40 Euro. Heute geht es für einen Euro über den Tresen. Der Junge freut sich, weiß aber, dass er in Zukunft neue Saiten und Ersatzteile für sein Instrument entweder in Hamburg oder in Stade bei Tressats Konkurrenz kaufen muss. Das Harburger Musikhaus Lebens schließt für immer am 14. September. Der Ausverkauf läuft. Und er läuft gut.

Tressat, Mitinhaber des einzigen Harburger Musikfachgeschäfts, und seine Mitstreiter geben auf. "Aus Altersgründen", betont Hans-Georg Tressat, der sogar mal für die Sendung mit der Maus von einem Fernsehteam gefilmt wurde. Vier Jahre hätten er und seine Mitinhaber Birgitt und Wolfgang Wichert nach geeigneten Nachfolgern für das Geschäft direkt neben dem Harburger Wochenmarkt gesucht. "Niemand will das Risiko eingehen, obwohl wir hier sehr gut von unserer Stammkundschaft leben. Aber es bedeutet viel Arbeit, und man braucht eben einiges an Wissen, um die Kunden vernünftig beraten zu können", sagt der gelernte Handwerker, der vor vielen Jahren ins Geschäft einheiratete, selbst mehrere Instrumente spielt und sich bei verschiedenen Instrumentenbauern weitergebildet hat. Es reiche nicht aus, musikalisch zu sein, um das Musikgeschäft Lebens zu übernehmen, sagt der Geschäftsmann und legt einer jungen Cellistin einen Stachel auf den Tresen. Genau danach hat sie lange suchen müssen, bevor sie den runden Stopper, in dessen Mitte die Spitze des Cellos auf den Boden gestellt wird, im Musikhaus Lebens bekommt. Mit Tressat muss sie nicht lange feilschen, sie bekommt den Stachel für zehn Euro. Ein Musikalienfachverkäufer müsse, so Tressat, der über dem Geschäft in seiner Werkstatt nicht nur Musikinstrumente verkauft, sondern auch Tambourstäbe baut, Ahnung von Komponisten, von Hölzern aber auch von Noten haben.

Zu Hause bewahrt Hans-Georg Tressat die CD mit der Sendung mit der Maus auf. "Die haben mich dabei gefilmt, wie ich die Troddeln für die Tambourstäbe gemacht habe", sagt er stolz. Es gibt kaum einen Spielmannszug in Harburg und im Landkreis, der seinen Tambourstab nicht aus Tressats Werkstatt bezogen hat, rote Troddeln für Feuerwehr-Blaskapellen, grüne für die Schützen. 150 Tambourstäbe habe er vor Jahren sogar mal nach Russland verkauft, eine Großbestellung. Natürlich tue es weh, jetzt aufzugeben, es wäre schöner gewesen, sagt Tressat, wenn "ein solches Traditionsgeschäft weitergeführt würde", aber jetzt sei es für ihn und die anderen Inhaber einfach an der Zeit, den Ruhestand zu genießen.