Der Bauernhofkindergarten in Ochtmannsbruch ist einer von nur 15 bundesweit. Der tägliche Umgang mit Natur und Tieren ist für die Kinder Normalität.

Hollenstedt-Ochtmannsbruch. Greta entdeckt die erste Erdbeere. "Guck mal", ruft die Vierjährige und hält die Frucht stolz nach oben. Vögel zwitschern. Irgendwo blökt ein Schaf, als sich die Kinder Meter um Meter auf dem Feldgarten des Bauernhofkindergartens Wilkenshoff vorarbeiten. Sie sammeln Erdbeeren in ihre Schalen und wenn sie nicht die roten Früchte finden, dann Schnecken oder Spinnen und geben es stolz kund. Die Kleinen sind erprobt in der Natur. Selbst der Kontakt mit Brennnesseln lässt sie kalt. "Die haben gar nicht gewirkt. Es war gleich wieder weg", sagt Jasper, 5, und zeigt, wo die Pflanze seinen Arm gestreift hat.

Der tägliche Umgang mit Natur und Tieren sind die Grundlage der pädagogischen Arbeit des Bauernhofkindergartens Wilkenshoff in Ochtmannsbruch, einem kleinen Dorf in der Gemeinde Hollenstedt. Es ist der einzige Bauernhofkindergarten im Landkreis Harburg. Der Wilkenshoff mit seinem speziellen Betreuungskonzept zählt inzwischen zu den etablierten Einrichtungen in der Samtgemeinde Hollenstedt und feiert in diesem Jahr seinen fünften Geburtstag. In ganz Deutschland sind solche Kindergärten eine Rarität. Bundesweit gibt es rund 15 Bauernhofkindergärten, die langfristig auf einem landwirtschaftlichen Betrieb angesiedelt sind.

Und dieser landwirtschaftliche Betrieb ist Dreh- und Angelpunkt des Konzepts. "Die Kinder sollen mitbekommen, dass Tiere auch geschlachtet werden. Sie sollen wissen, wo das Essen herkommt", sagt Ulrike Cohrs, 38, die den Betrieb in der 13. Generation bewirtschaftet. Deshalb ist das Pflücken der Erdbeeren auch erst der Anfang. Am Ende kochen die Kinder gemeinsam mit Köchin Renate Heins daraus Marmelade, die bei ihnen auf dem Frühstückstisch landet.

Erst vor ein paar Wochen haben die Kinder Kartoffeln gepflanzt, Unkraut gejätet, Kartoffelkäfer eingesammelt und im Herbst folgt dann die Ernte. "Die Kinder lernen so komplexe ökologische Zusammenhänge kennen und bekommen ein Gefühl für den Rhythmus der Jahreszeiten", sagt Diplom-Pädagoge Nils Neumann, 31, der den Bauernhofkindergarten leitet.

Ähnlich wie mit dem Obst und dem Gemüse verhält es sich mit dem Fleisch. Dass die Schweine auf dem Hof den Kindern Schnitzel zum Mittagstisch bescheren, ist für die Kleinen völlig normal. Der Bauernhofkindergarten ist also nicht mit einem Spiel- und Streichelhof zu verwechseln. "Die Tiere sind nicht zum Kuscheln da, es sind Nutztiere, die als solche auch gehalten werden", sagt Neumann.

So ganz nebenbei übernehmen die Kinder auch die Verantwortung für die Tiere und ihre Produkte. Als Nils Neumann kurz vor dem Mittagessen fragt, wer die Eier im Hühnerstall einsammeln möchte, schnellen zahlreiche Finger nach oben. Ulrike Cohrs öffnet kurz darauf die Tür zum Hühnerstall. Der Geruch von Hühnerkot schlägt den Kindern entgegen. Völlig normal. Sie treten trotzdem ein. Eifrig sammeln Greta und Hanna, 5, die Eier ein und zählen sie dann gemeinsam mit Ulrike Cohrs. Zehn Eier. Die Mädchen lächeln stolz.

Eben diese Verantwortung für die Tiere zu übernehmen, war für Barbara, 39, Trainerin und Ralf Kleymann, 43, Pilot, einer der wesentlichen Gründe dafür, dass sie ihre Tochter Mia, 4, beim Bauernhofkindergarten angemeldet haben. "Für mich ist es wichtig, dass sie das Leben kennen lernen wie es ist, dass sie wissen, die Hühner, die ich heute füttere, legen morgen das Ei", sagt Barbara Kleymann. Die Eltern sind so überzeugt vom Konzept, dass sie Mia noch ein Jahr zuhause betreut haben, als noch kein Platz in dem Kindergarten frei war. "Es ist ein bisschen Bullerbü", sagt Ralf Kleymann.

Dieses Bullerbü war auch ausschlaggebend dafür, dass Anna Eiper, 37, Sozialpädagogin, mit ihrem Mann und Sohn Lenni von Hamburg-Altona nach Hollenstedt umgezogen ist. "Ich habe gesagt, nur, wenn wir einen Platz in diesem Kindergarten bekommen, ziehen wir hierher", erklärt sie.

Wer aber glaubt, dass bei all der Natur und den Tieren Spielzeug tabu ist, irrt. Im Garten gehören Laster, Puppe und Bobby-Car genauso dazu wie Stock und Stein. Grundsätzlich aber gilt für die Kinder: Anpacken. Montags quetschen sie ihr Müsli selbst. Dienstags backen sie Brötchen. Freitags schneiden sie das Gemüse für das Mittagessen. Auch heute beim Ernten des Salats lernen die Kinder, selbst Hand anzulegen. Nils Neumann zeigt Greta, wie sie das Messer an der richtigen Stelle setzen muss. Die Gemüsekörbe mit den Salatköpfen, mit dem Fenchel und den Erdbeeren tragen die Kinder nach der Ernte gemeinsam, und zur Belohnung schiebt Ulrike Cohrs die Sprösslinge ein Stück mit der Schubkarre vom Feldgarten zurück zum Hof. "Ich will auch mal", ruft Mila. Also hält die Dreijährige einen Henkel und Ulrike Cohrs den anderen.

Es gibt Hühner, Schweine, Rinder und Schafe auf dem Wilkenshoff, um deren Direktvermarktung sich der neue Pächter Dirk Brockmann kümmert. Als Ulrike Cohrs den Hof von ihren Eltern übernahm, war die Bullenmast noch das Kerngeschäft. 2000 stellte sie den Betrieb auf ökologische Wirtschaftsweise um. Seit 2001 ist der Wilkenshoff ein zertifizierter Biobetrieb.

Das heißt: Die Tiere, darunter alte Rassen wie das Bentheimer Schwein, leben in einem artgerechten Umfeld. Die Charolais-Rinder kommen im Sommer auf die Weide. Die Schweine suhlen sich im Schlamm, wie es sich gehört. Insofern brauchte sich Anna Eiper, die sich für ihren sechsjährigen Sohn Lenni "ganz, ganz viel Dreck" im Kindergarten wünschte, keine Sorgen machen.