Der Elbinselguide bietet neue Touren mit Alteingesessenen durch den Stadtteil Wilhelmsburg an. Das Abendblatt hat den Gästeführer Bülent Kaplan dabei begleitet.

Wilhelmsburg. Bülent Kaplan leitet die Gruppe zur Ganztagsschule Fährstraße. Der 38-Jährige Gästeführer mit türkischen Eltern zeigt auf das Haus, an dem er fünf Jahre seines Lebens verbrachte, und plaudert offen über seine Probleme, bei rund 30 Nationalitäten an der Schule so etwas wie ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Er spricht über seine Fünf im Englisch-Unterricht und die Schwierigkeit, mit einer Handvoll Deutschen in der Klasse einen Austausch hinzubekommen.

Wer an der Tour "Moin Moin Wilhelmsburg" vom Veranstalter Elbinselguide an diesem Sonntag teilnimmt, bekommt auch ein Stück Geschichte von Bülent Kaplan, dem Mann mit Cappy, Turnschuhen und Dreitagebart, präsentiert. Sich so zu offenbaren, ist der Preis, den der Tourbegleiter offenbar zahlen muss. Der Elbinselguide beansprucht für sich, waschecht und authentisch zu sein.

"Wir zeigen das echte Wilhelmsburg", sagt Sanja Buljan, 37, aus Wilhelmsburg. Die Inhaberin des Reisebüros Smarttravelling hat das Unternehmen zusammen mit ihrer Schwester Marija, 35, und Bülent Kaplan, die ebenso aus dem Stadtteil stammen, im vergangenen Jahr gegründet. "Wenn jemand Wilhelmsburg zeigen kann, dann wir", dachte sie, als die Idee aufkam. "Wir kennen jede Ecke, jeden Stein."

Im Mai hat das Unternehmen die erste Moin Moin Tour, die 15 Euro kostet, durch Wilhelmsburg veranstaltet. Drei weitere Touren hat das Unternehmen im Programm - einen Multi-Kulinarischen Rundgang, eine Kneipen- und eine Fahrradtour. Damit wollen die Veranstalter eine Alternative zu den Spaziergängen der IBA anbieten.

Die Guides sind allesamt auf der Insel aufgewachsen und leben auch heute noch dort. Insgesamt 24 Stationen laufen sie ab, darunter sind Stübenplatz, Ernst-August-Schleuse, Fährstraße, Honigfabrik, Vering-Kanal, Mannesallee, Emmaus-Kirche, Muradiye-Camii-Moschee sowie IBA-Projekte wie der Energie-Bunker und das Hotel Wilhelmsburg von der Universität der Nachbarschaften.

Die Tourteilnehmer erfahren etwas über die Flut in den 60er-Jahren, über die Brüder Vering und der Namensherkunft Wilhelmsburgs. Bülent Kaplan kommt aber auch auf den schlechten Ruf zu sprechen, auf die Kampfhunde und Kriminellen, worauf Wilhelmsburg in der Vergangenheit oft reduziert wurde. Der Gästeführer gibt bewusst so viel von sich Preis, weil er nicht nur den Ruf Wilhelmsburgs aufpolieren will, sondern ein hehres Ziel verfolgt: für mehr Miteinander zwischen den Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zu sorgen. "Gerade weil ich türkische Eltern habe, habe ich die Chance, einen Bogen zu schlagen. Ich weiß, dass ich die Welt nicht verändere, aber ich kann kleine Impulse setzen", sagt er.

Zu diesen Impulsen zählt auch, den Besuchern einen Blick in das Rialto Kino zu gewähren, das jetzt, 100 Jahre nachdem es als Theaterhaus erbaut wurde, eine Renaissance auf Zeit erlebt. Da hat die zehnköpfige Gruppe, die zum Teil noch nie in Wilhelmsburg war, sich gerade vom Charme alter Kinotage mit Stuck und 70er-Jahre-Lampen verzaubern lassen, erklärt ihnen die Projektkoordinatorin Marai Schlatermund, 37, dass das Lichtspielhaus im Oktober zu macht.

Die Ansage verfehlt nicht ihre Wirkung. "Das hat mich berührt, dass es solche Idealisten gibt, die sich engagieren, um einem Relikt wieder Leben einzuhauchen, auch wenn Ende Oktober wieder die Lichter ausgehen", sagt Heide Larsson, 63, Rentnerin, aus Buxtehude. Zweites beherrschendes Thema während des Rundgangs sind die rasanten Mietpreissteigerungen, von denen Bülent Kaplan als Folge der igs und IBA berichtet, so dass in der Kaffeepause im Café der Honigfabrik eine kleine Gentrifizierungsdebatte aufflammt. Heide Larsson sagt: "Die Elbinsel verdient es, dass sie mit einbezogen und nicht ausgenutzt wird" und man merkt - sie spricht Bülent Kaplan aus der Seele. Für die einen, die bereits die igs oder die IBA besucht haben, ist die Tour eine gelungene Ergänzung zu diesen Großprojekten, für die anderen ein Kontrastprogramm - in jedem Fall aber sei es eine authentische Tour, sagt Christa Schliephake, 73, die mit ihrem Mann Eckhard, 73, an der Tour teilnimmt.

Im Wesentlichen ist es Kaplans Verdienst, der wie kaum ein anderer seine Zerrissenheit als Deutscher und Türke offen nach außen trägt, der etwa über seine Identitätskrise als Jugendlicher spricht. Bülent Kaplan sagt, er habe keine Nationalempfindungen und sehe nur die Insel als seine Heimat an, dennoch appelliert er an die Gäste, Getränke und Essen auf Türkisch zu bestellen, wenn es sich anbietet. Das wohl beste Lob gibt ihm Ulrich Clauß, 69, aus Nottensdorf zum Abschied: "Behalten Sie sich Ihren Optimismus."