Jedes dritte Kind im Bezirk Harburg wächst mit nur einem Elternteil auf. Hilfe ist nötig - und vorhanden. Das Harburger Alleinerziehenden Netzwerk erarbeitet neue Möglichkeiten der Vernetzung.

Harburg. Mit der Mutter in einem Zimmer zu schlafen, ist für die 15-jährige Elif und ihren 10 Jahre alten Bruder Berkant, 10, so normal wie der tägliche Gang zur Schule. Das Geschwisterpaar kennt es gar nicht anders. Zu dritt teilen sie sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Neuwiedenthal. Seit sich Zarife Akat, 37, vor acht Jahren von ihrem Mann trennte, muss sie das Leben mit ihren Kindern allein schultern. Es ist ein alltäglicher Kampf, um minimalste Bedürfnisse befriedigen zu können. Dafür stellt Zarife Akat die eigenen oft zurück. Vor allem den Kindern soll es gut gehen.

Im Bezirk Harburg wächst laut Statistischem Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein jedes dritte Kind mit nur einem Elternteil auf, Tendenz steigend. Obwohl die Zahl der Alleinerziehenden bundesweit ständig zunimmt, sind effektive Netzwerke rar, um die betroffenen Mütter und Väter bestmöglich zu unterstützen. Einen entscheidenden Vorstoß wagte vor zwei Jahren der katholische Verein IN VIA. Er rief im April 2011 das Projekt HAnNe, das Harburger Alleinerziehenden Netzwerk, ins Leben. "Unser Ziel waren neue Möglichkeiten der Vernetzung zu erarbeiten, um so die Lebens- und Arbeitsperspektiven von Alleinerziehenden nachhaltig zu verbessern", sagt die Projektkoordinatorin Imme Stoffers.

Wie notwendig solch ein koordinierter Verbund aus Fachkräften von staatlichen Einrichtungen, Behörden, Ämtern und freien Trägern ist, zeigt auch der steinige Weg von Jessica Heims, 35. Als die Beziehung zu ihrem Partner mit der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Jannolouis vor neun Jahren in die Brüche geht, steht die damals 26-Jährige buchstäblich vor dem Nichts. "Das Geld, das ich als ungelernte Mitarbeiterin in einem Croque-Laden verdiente, reichte hinten und vorn nicht", so Jessica Heims.

So zieht sie zurück zu ihren Eltern. Doch ihr wird schnell klar, dass dies keine Option auf Dauer sein kann. Es gibt Tage, an denen tiefe Verzweiflung das vorherrschende Gefühl ist. Und viele Nächte, in denen sie sich in den Schlaf weint. "Doch dann wurde mir bewusst, dass ich ja nicht allein bin, sondern auch eine Verantwortung für Jannolouis habe", erinnert sich Jessica. Also bemüht sie sich als erstes um eine Wohnung. Sie schaut sich selbst um und meldet der Saga schließlich ein Wunschdomizil.

"Passender Wohnraum ist eines der drängendsten Probleme für Alleinerziehende", weiß Imme Stoffers. Problemfamilien seien bei vielen Vermietern nicht gern gesehen: "Ohne festes Einkommen wird es sowieso schwer. Es gibt eine versteckte Obdachlosigkeit, weil Alleinerziehende oft nur irgendwo unterschlüpfen. Von den Ämtern vorgehaltene Notfallwohnungen sind äußerst rar und ständig belegt."

Doch Jessica Heims hat Glück. Nach einem halben Jahr bekommt sie eine 69 Quadratmeter große Wohnung mit drei Zimmern zugewiesen. Die muss zwar renoviert werden, aber Familie und Freunde helfen. Der Einzug ist schnell erledigt: Ein paar Stühle, ein alter Tisch, ein Bett, ein Schrank, zwei Regale und eine geschenkte Couch sind das karge Mobiliar. Jessica: "Es war alles sehr improvisiert. Aber es war ein Zuhause." Zum viel größeren Problem wird derweil, den täglichen Lebensunterhalt zu sichern. Staatliche Unterstützungsleistungen gibt es viele. Doch wo welche Mittel zu bekommen sind, bedarf aufwendiger Recherche, vieler Wege und noch mehr Zeit. Jugendamt, Sozialamt, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter und die Arge verwalten Wohngeld, Kindergeld, Unterhaltsvorschuss, Alleinerziehendenzuschlag, weitere Hilfen zum Lebensunterhalt, die halbjährlich erneuert werden müssen, Kita- und Bildungsgutscheine und so weiter und so fort. "Da sind viele Formulare nötig, die einen schon mal an den Rand des Wahnsinns treiben können", sagt Jessica Heims.

Von all diesen Transferleistungen will sie aber nicht dauerhaft abhängig sein. Deshalb studiert sie im Jobcenter und in Zeitungen Stellenanzeigen, besucht Infobörsen, hört sich bei Freunden und Bekannten um. Schließlich wird sie fündig und entscheidet sich für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Pflegeassistentin. 16 Monate dauert diese und fordert ihr alles ab. "Weil auch Spät- und Wochenenddienste im Schichtbetrieb in Krankenhäusern, Altenheimen und bei Pflegediensten dazu gehörten, musste ich natürlich eine Betreuung für meinen Sohn organisieren", berichtet Jessica Heims. Eine Tagesmutter finanziert schließlich das Jugendamt. Die Arge überbrückt zudem mit einer Finanzhilfe eine einjährige Auszeit, als Jannolouis beim Schuleintritt droht, frühzeitig den Anschluss zu verlieren. In dieser Zeit macht Jessica Heims aber ihren Führerschein, weil der für ihren Job unabdingbar ist.

Seit Dezember vergangenen Jahres arbeitet sie jetzt bei einem Pflegedienst. Den Alltag zu meistern ist weiterhin schwierig. Aber dass sie es bis hierhin geschafft hat, erfüllt sie dennoch mit Stolz und Selbstbewusstsein. Das strahlt auch Zarife Akat aus. Die gebürtige Türkin, die an der Uni Ankara ehemals Archäologie und Kunstgeschichte studiert hat, absolviert nach diversen Deutschkursen und Praktika jetzt eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin an der Grone-Schule. Nebenbei hat sie auch Fahrradfahren und Schwimmen gelernt und ihren Autoführerschein gemacht. "Nur Hausfrau und Mutter zu sein, wie mein Mann das unbedingt wollte, hat mir nie genügt", sagt die attraktive Frau. "Ich wusste, dass es allein mit den Kindern schwierig werden würde. Doch das ist eben mein Schicksal. Ich habe es angenommen, um für mich und meine Kinder das Beste aus diesem Leben zu machen."

Beratung und Hilfe erhalten Alleinerziehende beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter, dem Unterstützungsnetzwerk Süderelbe, dem Margaretenhort und der Kiss-Kontaktstelle Harburg. In Kürze soll zudem eine internetgestützte Beratungsplattform online gehen, die im Rahmen des Projektes HAnNe erarbeitet wurde.