Süheyla Akdeniz lebte 20 Jahre in Ottensen. Ihre Zukunft sieht sie in Wilhelmsburg. Hier sei etwas im Wandel, sagt sie

Wilhelmsburg. Stylische Mode für Menschen mit grünem Gewissen - kaum jemand hätte sich vor zwei oder drei Jahren eine solche Boutique in Wilhelmsburg vorstellen können. Das Modegeschäft Wilhelmine im Reiherstiegviertel steht für den Wandel im Stadtteil. Im Gespräch mit dem Abendblatt erklärt die Betreiberin Süheyla Akdeniz, 39, warum sie das Szeneviertel Ottensen nach 20 Jahren verlassen hat und auf der Elbinsel ihre Zukunft sieht.

Hamburger Abendblatt:

Ihre Boutique würde man eher in Ottensen oder im Schanzenviertel erwarten. Warum haben Sie sich vor einem Jahr dafür entschieden, ihren Laden in Wilhelmsburg zu eröffnen?

Süheyla Akdeniz:

Der Markt für Boutiquen mit ökologisch und fair produzierter Mode ist in Ottensen oder im Schanzenviertel gesättigt. Und die Mieten dort sind mittlerweile unbezahlbar. Die Monatsmiete für einen kleinen, schmalen Laden kostet dort schon 2000 Euro. Ich habe 20 Jahre lang in Altona gelebt und die Entwicklung in Ottensen genau verfolgt. Das Flair in der Veringstraße erinnert mich an die Ottenser Hauptstraße. Wilhelmsburg ist im Kommen, hier tut sich etwas.

Hat das Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg tatsächlich das Zeug zu einem Ausgehviertel, wie einige Stadtplaner und Trendforscher behaupten? Wird Wilhelmsburg das neue Ottensen?

Süheyla Akdeniz:

Das kann ich mir vorstellen. Aber ich hoffe, dass die Entwicklung nicht so extrem ausfällt. Ottensen ist sehr teuer geworden. Jeder, der nach Wilhelmsburg zieht und einen Laden eröffnet, ist Teil dieser Entwicklung. Das lässt sich nicht mehr stoppen. Ich gehe davon aus, dass in absehbarer Zeit Ladenflächen nur noch unter der Hand weitergegeben werden und den Besitzer oder Mieter wechseln. Irgendwann werden in Wilhelmsburg in den Schaufenstern keine Zettel mehr mit der Aufschrift: "Zu vermieten!" zu lesen sein.

Auch die Leute, die sich alternativ nennen und sich gegen die Entwicklung wehren, sind Teil dieses Prozesses - auch wenn sie es selbst nicht wahrhaben wollen.

Wie hat sich die Einwohnerschaft in Wilhelmsburg verändert?

Süheyla Akdeniz:

Bis vor einem halben Jahr hatte ich noch das Gefühl, ich würde dieselben Menschen zwanzigmal am Tag auf der Straße sehen. Mittlerweile sind so viele neue Gesichter hinzugekommen. Heute bemerke ich viele junge Leute in Hotpants, das gab es früher nicht so. Die Studenten sind jetzt auch tagsüber hier. Sie haben sicher schon früher in Wilhelmsburg gewohnt, sich aber offenbar weniger hier aufgehalten. Heute existieren Läden wie "Plattenteller" oder die "Tonne", in die sie gehen können. Immer mehr Familien ziehen auf die Elbinsel. Ich hoffe, dass die Strukturen mit Kindergärten und Schulen auch nach Ende der Internationalen Bauausstellung weiter gefördert werden, dass sie hier bleiben möchten.

In Wilhelmsburg leben viele Hartz-IV-Empfänger und Menschen mit niedrigen Einkommen. Ein chemiefrei produziertes T-Shirt bei Ihnen kostet 29,90 Euro. Gibt es hier überhaupt Kundschaft für diese Ware?

Süheyla Akdeniz:

Es gibt mittlerweile genug Menschen, die Wert auf nachhaltige Mode legen. Kirchdorfer, Studenten, Lehrer kaufen bei mir. Auch Leute aus Ottensen oder Bergedorf, die in Wilhelmsburg arbeiten, kommen zu mir. Ich wollte erst einen Jeansladen eröffnen, aber ich musste schnell umdenken. Auch die Wilhelmsburger ziehen sich an - auch wenn Menschen mit Vorurteilen das nicht erwarten. Wilhelmsburg hat noch immer ein Imageproblem.

Sie denken an Hamburger, die meinen, im Süden Hamburgs würden hauptsächlich prügelnde Hafenarbeiter, mit Drogen dealende Ausländer und bissige Kampfhunde herumlaufen?

Süheyla Akdeniz:

Viele Leute in der Stadt denken so. Ein Modeproduzent aus Eppendorf hat nicht erwartet, dass ich seine Ware in Wilhelmsburg verkaufe. Als ich Freunden und Bekannten erzählte, wo ich meine Boutique eröffnen werde, reagierten die erstaunt: "Doch nicht in Wilhelmsburg!" Ich denke aber, die Internationale Gartenschau leidet noch mehr unter diesem Image als ich. Das Bild, das viele Menschen noch von Wilhelmsburg haben, ist falsch. Wir haben hier keine Waffen in der Schublade.

Sie haben eine Rockband in ihrem Schaufenster spielen lassen. Wie wichtig ist das Festival "48 h Wilhelmsburg" für den Stadtteil?

Süheyla Akdeniz:

Das Festival hat dem Viertel gut getan. Menschen aus Eimsbüttel oder Poppenbüttel haben gesehen, was hier los ist. Musik ist eine Weltsprache. Menschen verschiedener Herkunft sind zusammengekommen.

Was vermissen Sie persönlich noch in Wilhelmsburg?

Süheyla Akdeniz:

Ich hoffe, dass die Gastronomie noch vielfältiger wird. Ich wünsche mir noch asiatische und indische Lokale, dass ich hier auch mal eine Kokossuppe essen kann. Ein Geschäft für Geschenke fehlt noch. Aber das wird alles sicher kommen.