Interview mit Volker Reitstätter, seit Dezember 2012 katholischer Schuldezernent für Bau und Finanzen, über unvermeidliche Schritte und neue Wege.

Seit der Katholische Schulverband Hamburg die Abwicklung der Katholischen Schule Neugraben (KSN) verkündet hat, ist der Stadtteil in Aufruhr. In der emotional aufgeheizten Atmosphäre steht ein Mann besonders im Fokus: Volker Reitstätter, der Schuldezernent für Bau und Finanzen. Das Abendblatt sprach mit dem 43-Jährigen über verständliche Emotionen, unvermeidliche Schnitte und neue Wege.

Hamburger Abendblatt: Herr Reitstätter, haben Sie nach der Verkündung der schrittweisen Aufgabe des Standorts Neugraben mit so einem Aufschrei gerechnet? Die Phalanx der Gegner wird ja mit jedem Tag größer: Auch Vertreter von Parteien, des Stadtpastoralamts, der Gemeinde, anderer katholischer Schulen kritisieren den Plan vehement.

Volker Reitstätter: Der Widerstand überrascht mich nicht, die emotionale Reaktion ist absolut verständlich. Weil da etwas zur Disposition steht, an dem viele mit Herzblut hängen. Vor Ort werden da auch viele richtige Argumente vorgebracht. Mit Blick auf die Faktenlage stellt sich die Situation aber eben doch anders dar. Und so melden sich nun auch einige zu Wort, die es eigentlich besser wissen müssten.

Warum ist das Aus für die Katholische Schule Neugraben alternativlos?

Reitstätter: Vorab darf ich sagen, dass auch ich gern mehr Geld zur Verfügung hätte. Denn der Investitionsbedarf an unseren insgesamt 21 Schulen ist deutlich höher, als die jetzt vom Katholischen Schulverband beschlossenen 60 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren. Deshalb ist eine Konzentration unserer Mittel und Ressourcen unumgänglich, sonst können wir unser Schulsystem nicht sinnvoll weiterentwickeln und es droht, in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Das ist eine Tatsache, auch wenn sie im Einzelfall einschneidende Folgen hat, weil nicht jeder Standort erhalten werden kann. Wir werden mit weißen Flecken auf der Landkarte leben müssen.

Ende 2012 ist noch ein Investitionsvolumen von 80 Millionen Euro angekündigt worden. Jetzt sind es nur noch 60 Millionen. Wie kam es zu dieser Differenz?

Reitstätter: Weil die Höhe der Belastungen durch zukünftige Pensionszahlungen für verbeamtete Lehrer deutlich höher ist als gedacht.

Der Investitionsbedarf für die KSN ist auf 15 bis 20 Millionen Euro beziffert worden. Laut eines Gutachtens im Auftrag der Stadt Hamburg betrug der Sanierungsbedarf 2008 beim Verkauf der Liegenschaft an den Katholischen Schulverband nur drei bis vier Millionen Euro. Wie ist diese Differenz zu erklären?

Reitstätter: Ich kenne dieses Gutachten nicht. Ich bin aber davon überzeugt, dass es die Gesamtsituation nicht umfassend abgebildet hat. Im Falle der KSN reicht es bei weitem nicht aus, nur einzelne Gebäude zu sanieren. Zudem verfügt die Schule über keine eigene Sporthalle und keine Mensa. Auch deren Bau ist ein enormer Kostenfaktor, der seinerzeit wohl nicht berücksichtigt worden ist.

Gibt es für die neue Kostenschätzung auch ein Gutachten?

Reitstätter: Wir haben die externe Unternehmensgruppe Biregio mit der Expertise beauftragt. Sie hat auch den baulichen Zustand der Schulen genau untersucht. Im Falle der KSN wurden anschließend intern außerdem vier Szenarien mit Architekten durchdacht und durchgerechnet. Sie können mir glauben, da wurde alles erwogen, was realistisch und wirtschaftlich vertretbar ist.

Für jede private Schule gibt es einen 85-prozentige Refinanzierungsbeitrag seitens der Stadt Hamburg. Wo sind diese Gelder geblieben?

Reitstätter: Mit dem Refinanzierungsbeitrag der Stadt wird der laufende Schulbetrieb finanziert. Allein 80 Prozent davon sind Personalkosten. Der Rest wird für Sachmittel und Sanierungsmaßnahmen aufgewendet.

Seit 2011 kassiert der Verband zudem Schulgeld. Was passiert damit?

Reitstätter: Es fließt zu 100 Prozent in die Erhöhung des Stellenschlüssels.

Laut Papst Franziskus dürfe das Geld pastorale Aufgaben nicht dominieren. Wird diese Forderung hier ignoriert?

Reitstätter: Das sehe ich nicht so. Neugrabener Kinder können ja auch in Zukunft eine katholische Schule besuchen, nur dann eben in Harburg oder Wilhelmsburg. 20 Millionen Euro, das ist ein Drittel des gesamten Investitionsprogramms, fließt in den Süden. Ich denke, da darf man von einer stimmigen Verteilung sprechen.

Und wo bleibt das vernünftige Prinzip "Kurze Beine, kurze Wege"?

Reitstätter: Wir sind der Ansicht, dass es in der Diaspora durchaus zumutbar ist, drei Stationen mit der S-Bahn zu fahren. Anderenorts müssen Schüler viel größere Distanzen zurücklegen. Außerdem wollen wir die Grundschule ja am Standort Falkenbek fortführen. Und die Stadtteilschüler haben in der Regel schon etwas längere Beine.

Bleibt aber die Frage, ob die anderen katholischen Schulen den Zufluss aus Neugraben überhaupt auffangen können. Wir reden hier über aktuell mehr als 700 Schüler. Und seriösen Schätzungen zufolge soll diese Zahl in den nächsten Jahren annähernd konstant bleiben, auch wegen der beiden Neubaugebiete.

Reitstätter: Da brauchen wir nicht lange herum zu reden: Nein, wir werden nicht alle Kinder auffangen können. Aber jedes Kind katholischer Konfession soll weiter die Möglichkeit bekommen, eine katholische Schule zu besuchen.

Viele Kritiker empfinden die Abwicklung als zweifache Ohrfeige. Zuerst wird nicht investiert und die pädagogische Arbeit damit erschwert. Dann wird gesagt, weil nicht investiert wurde, ist jetzt alles viel zu teuer. Ist der Standort Neugraben schon viel früher abgeschrieben worden?

Reitstätter: Das möchte ich nicht beurteilen. Ich bin erst seit Dezember 2012 im Amt. Und seitdem sind alle Anstrengungen unternommen, alle Alternativen geprüft worden, um das Gesamtsystem der katholischen Schulen in Hamburg zukunftssicher zu machen. Die Entscheidung, den Grundschulzweig an der Falkenbek zu erhalten, ist auch ein Statement des Verbandes, sich in Neugraben weiter zu engagieren.

Wie sinnvoll ist aber eine einzügige Grundschule unterm Kirchturm?

Reitstätter: Ob ein- oder zweizügig ist noch offen, das muss mit der Gemeinde erst noch besprochen werden. Die Größe allein entscheidet aber nicht über die Qualität. Viele Eltern schätzen durchaus eine gewisse Überschaubarkeit schulischer Einheiten.

Befürchten Sie einen Imageverlust für die katholische Kirche, weil mit der Schließung der KSN auch ein Niedergang der katholischen Gemeinde droht?

Reitstätter: Beides sehe ich nicht. Im Zusammenhang mit der Verlagerung der Grundschule ins Gemeindezentrum Falkenbek werden dort 1,5 Millionen Euro investiert. Wir werden also Neues schaffen und damit sicher auch Menschen gewinnen, die unter den neuen Bedingungen mitziehen.