Im Landkreis Harburg leben fast 9000 Menschen weniger als angenommen. Für die Städte und Gemeinden hat das finanzielle Folgen

Winsen/Buchholz/Neu Wulmstorf . Der Zensus 2011, die erste Volkszählung im wiedervereinigten Deutschland, hat überraschende Daten geliefert: In der Bundesrepublik Deutschland leben 1,5 Millionen weniger Einwohner als erwartet. Auch im Landkreis Harburg leben weniger Menschen, als bislang angenommen. Am 31. Dezember 2011 hatten 239.269 Menschen im Landkreis Harburg ihren Wohnsitz - 8720 weniger als die Statistiker bisher errechnet hatten (das Hamburger Abendblatt berichtete). Auf Basis der Volkszählung von 1987 waren sie von 247.989 Menschen ausgegangen. Was bedeutet das Minus von 3,5 Prozent für den Landkreis Harburg? Und was bedeutet das Minus für die Städte und Gemeinden?

Landkreis Harburg

Das Land Niedersachsen hat nach dem Zensus 139.249 Einwohner verloren. Es gibt 15,5 Prozent seiner Steuereinnahmen und der Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich an die Kommunen. "Unsere Kommunen und der Landkreis Harburg bekommen in diesem Jahr nach dem Haushaltsplan des Landes ihre Schlüsselzuweisungen", sagt Kreiskämmerer Peter Dederke. Der kommunale Finanzausgleich müsse nun völlig neu berechnet werden. Die Auswirkungen für die Kommunen und den Landkreis ergeben sich dann erst über die so genannte Steuerverbundabrechnung 2014.

Das bedeutet: Der Niedersächsische Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie muss eine Neuberechnung vornehmen. "Erst dann können wir sagen, was wir genau bekommen", sagt Peter Dederke. In diesem Jahr bekommt der Landkreis Harburg rund 38 Millionen Euro an Schlüsselzuweisungen vom Land Niedersachsen. Die Städte und Gemeinden erhalten rund 35 Millionen Euro.

Wenn aber die Schlüsselzuweisungen des Landes Niedersachsens sinken, müssen die Gemeinden weniger Kreisumlage an den Landkreis zahlen. Der Landkreis Harburg bekommt dann also weniger Geld durch die Schlüsselzuweisungen sowie durch die Kreisumlage. Trotzdem will der Landkreis Harburg daran festhalten, die Kreisumlage im kommenden Jahr von 49 Prozent auf 48,5 Prozent zu senken: "Das haben wir zugesagt, und Zusagen soll man halten", sagt Peter Dederke.

Eigentlich hatte der Landkreis Harburg für das Jahr 2014 mit einem Haushaltsüberschuss von rund acht Millionen Euro gerechnet. "Dieser Überschuss wird sicherlich zusammenschrumpfen", sagt Peter Dederke. "Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Aufgaben nicht erfüllen, sondern dass wir die Kredite erst später zurückzahlen werden." Konkret heißt das: Projekte wie Straßen- und Schulbauten werden durchgezogen. Dederkes Prognose: "Die acht Millionen Euro Überschuss dürften durch die neuen Berechnungen nicht voll aufgezehrt werden."

Buchholz

In Buchholz ist Bürgermeister Wilfried Geiger mit einem Schwund von 2213 Einwohnern konfrontiert - eine Tatsache, die er als "überraschend" und "schwer nachvollziehbar" einstuft. War dort bis vor Kurzem das Knacken der 40.000-Einwohner-Marke realistisch, ist dieses Ziel jetzt in weite Ferne gerückt. Die handfesten Folgen sind vielfältig: Wenn man von der Faustregel ausgeht, dass eine Stadt pro Einwohner jährlich bis zu 1000 Euro über den Finanzausgleich erhält, fehlen Buchholz ein bis zwei Millionen Euro. "Das ist ein massiver Eingriff in unseren Haushalt."

Die Einwohnerzahl einer Kommune hat aber nicht nur Auswirkungen auf Schlüsselzuweisungen oder Kreisumlage, sondern auch auf die Zahl der Ratsmitglieder und die Besoldungsgruppe der leitenden Beamten. Bei letzteren beiden Punkten sind 40.000 Einwohner die Grenze für die jeweils höhere Stufe. Auch in der Frage von Bürgerentscheiden, wie es sie in Buchholz kürzlich zum Ostring gab, spielt die Zahl der Einwohner eine wichtige Rolle. In Niedersachsen müssen mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten bei einem solchen Entscheid ihr Kreuz bei Ja machen.

Geigers vorrangiges Ziel ist es jetzt, nach den Ursachen der sehr hohen Differenz zwischen den Zahlen zu forschen. Die klassischerweise genannten Ursachen, nämlich der nicht gemeldete Wegzug von Ausländern in ihre Heimatländer oder das nicht korrekte An- und Abmelden von Studenten, kommen aus seiner Sicht zumindest für Buchholz nicht in Frage. "Wir haben einen Ausländeranteil von nur vier Prozent, und eine Studentenstadt sind wir ebenfalls nicht."

Winsen

In der Stadt Winsen leben laut Statistikbetrieb 32.638 Menschen - 1799 weniger als erwartet. "Wir hatten zwar mit einer Abweichung gerechnet, jedoch nicht in diesem Umfang", sagt Bürgermeister André Wiese. Er rechne damit, "dass uns wegen überdurchschnittlicher Verluste künftig weniger Mittel zugewiesen werden". Trotzdem ist Wiese optimistisch: "Winsen ist eine wachsende Stadt und wird es nach allen Prognosen auch bleiben."

Seevetal

"Wir müssen das erst mal sacken lassen", umschreibt Andreas Schmidt, Sprecher der Gemeinde Seevetal, die gelassene Haltung im Hittfelder Rathaus. Auch Seevetal hat an Einwohnern eingebüßt: Tatsächlich sollen dort zum Stichtag 31.12.2011 nur 39.921 statt 42.210 Menschen leben. Die Gemeinde ist damit unter die magische 40.000er-Grenze gefallen. Die Einwohnerzahl werde sicherlich schnell wieder wachsen, sagt Schmidt. Dennoch müsse man auf Kreisebene beraten, wie man angesichts der Differenz verfahren wolle.

Neu Wulmstorf

Auch in Neu Wulmstorf ist die Ratlosigkeit groß, wie der Verlust von 927 Einwohnern zustande kommt. Für Bürgermeister Wolf-Egbert Rosenzweig ergeben sich daraus zwei Fragen: "Ist unser Meldewesen in Deutschland nicht so, wie es sollte, oder ist das Verfahren des Zensus' nicht richtig?" Neu Wulmstorf sei nicht die einzige Gemeinde in Deutschland, bei der es Abweichungen gebe. Deswegen müsse man die Frage nach den Ursachen klären. "Meiner Meinung nach sind jetzt die kommunalen Spitzenverbände gefordert, um das zu überprüfen", sagt er.

Da Neu Wulmstorf eine wachsende Gemeinde ist, ist er optimistisch, dass die Einwohnerzahl auch in Zukunft weiterhin ansteigt. Schon bald läge die Zahl der Einwohner zum Stichtag 31. Dezember des vergangenen Jahres vor. Dann könne man sehen, wie sich die Gemeinde weiterentwickelt habe.

Hanstedt

Die Samtgemeinde Hanstedt ist der einzige deutliche Gewinner des Zensus' 2011. Zwischen Marxen und Egestorf leben 221 Einwohner mehr als erwartet. "Vielleicht melden sich die Bürger bei uns disziplinierter ab, wenn sie fortziehen", mutmaßt Samtgemeindebürgermeister Olaf Muus. "Was die Zahlen in Heller und Pfennig für uns bedeuten, kann ich noch nicht sagen."