Präventionskampagne gegen Darmkrebs hat die gesteckten Ziele nicht erreicht, Diskussion über Ursachen. Nur 332 mutige Männer wurden gezählt.

Harburg. Gemessen am Finale hätte die Darmkrebspräventionskampagne "1000 mutige Männer für Harburg" eigentlich ein großer Erfolg sein müssen. Etwa 100 Gäste hatten sich am Mittwochabend im Großen Saal des Rathauses zur Abschlussveranstaltung des Gemeinschaftsprojekts der Hamburger Krebsgesellschaft (HKG) und der Barmer GEK eingefunden, kaum ein Platz war frei geblieben. Doch der rege Zuspruch konnte kaum darüber hinweg täuschen, dass die ehrgeizigen Ziele der Initiatoren deutlich verfehlt wurden.

Dass sich im Stadtbezirk Harburg kaum 1000 Herren ab 55 Jahren finden lassen würden, die sich einer präventiven Darmspiegelung unterziehen, war allen Beteiligten schnell klar. Deshalb war das Ziel mit 450 Freiwilligen frühzeitig neu definiert worden. Doch auch diese Marke sollte sich als zu ambitioniert erweisen. Unter dem Strich wurden letztlich nur 332 mutige Männer gezählt. Und das, obwohl die auf ein halbes Jahr konzipierte Aktion extra um zwei Monate bis Ende Mai verlängert worden war.

So blieb Harburg mit seinen 152.000 Einwohnern noch deutlich hinter dem westfälischen Lippstadt zurück: Das hat zwar nur 67.000 Einwohner, konnte aber bereits nach sechs Monaten 388 Vorsorgekoloskopien verzeichnen.

"Uns war klar, dass unsere Initiative in Harburg nicht einfach umzusetzen sein würde", sagte HKG-Geschäftsführerin Dagmar Kürschner. Immerhin sei es aber gelungen, die Kampagne zum Stadtgespräch zu machen. Das bestätigte auch Lucie Schauer. Die Studentin an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Bergedorf hatte im Rahmen ihrer Bachelorarbeit Straßenumfragen durchgeführt. In den Gesprächen habe es nicht nur kaum Hemmschwellen gegeben, 61 Prozent der rund 400 Befragten seien Sinn und Bedeutung der Präventionsaktion bekannt gewesen. "Doch 60 Prozent der Männer versicherten eben auch, sie hätten die Vorsorge schon vor Beginn der Kampagne wahrgenommen", berichtete Lucie Schauer.

Auf der Suche nach weiteren Gründen für das mäßige Harburger Ergebnis räumte Projektleiterin Kathrin Stannieder ein, gewisse Gruppen seien vielleicht "nicht optimal genug angesprochen worden". Etwa Migranten, bei denen die kulturell und religiös bedingte Abneigung gegen solcherart Untersuchungen offenbar sehr ausgeprägt ist. Zudem sei unterschätzt worden, dass möglicherweise viele Männer die Spiegelung nicht bei den sechs involvierten Harburger Gastroenterologen haben durchführen lassen, sondern bei ihnen bekannten Ärzten nördlich der Elbe oder im Landkreis. Einig waren sich die Initiatoren darin, dass man das Thema Darmkrebsvorsorge in Harburg auch nach dem Ende der Kampagne weiter im Gespräch halten will. So wurde spontan der "Club der mutigen Männer" ausgerufen. Tatsächlich haben sich etliche Gäste der Abschlussveranstaltungen in entsprechende Listen eingetragen.

Sie sollen künftig als Multiplikatoren Aufklärungsarbeit leisten und stehen der Krebsgesellschaft überdies für weitere Aktionen zur Verfügung. So wie Gerd Horstmann, der bei der Tombola der Kampagne den dritten Hauptpreis, einen 150-Euro-Gutschein für die Holstein-Therme in Bad Schwartau, gewann. Der 57 Jahre alte Kfz-Mechaniker aus Rönneburg hatte vor vier Jahren erst seine Ehefrau und 2012 auch seine Mutter verloren, die beide an Krebserkrankungen starben. "Beide sind nie zu Vorsorgeuntersuchungen gegangen, weil sie sich immer für kerngesund hielten. Hätten sie es wie ich gemacht, wären sie heute vielleicht noch am Leben", so Horstmann. Jetzt wolle er weiter aktiv für die Krebsprävention werben, "auch wenn ich wie von vielen meiner Kollegen dafür belächelt oder ignoriert werde".

Dr. Manfred Giensch, einer der namhaftesten Harburger Experten, bekräftigte, dass ein offensiver Umgang mit dem Thema wichtig bleibe. Im Kampagnen-Zeitraum seien bei jedem vierten von ihm koloskopierten Mann Polypen gefunden worden, die Vorstufen von Darmkrebs sein können: "Bei zwei Männern wurden sogar Tumore festgestellt, die weitergehende Maßnahmen erforderlich machten." Giensch erinnerte unterdessen auch an die primäre Prävention, sprich eine ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensweise mit viel Bewegung.

Vielleicht stand die Kampagne in Harburg auch deshalb unter keinem guten Stern, weil nicht mal die Galionsfiguren der Aktion, Bezirksamtsleiter Thomas Völsch und Hafenbarde Gunter Gabriel, die Zeit fanden, mit gutem Beispiel voranzugehen. Völsch, der gerade 55 geworden ist, habe sich die Vorsorgeuntersuchung fürs neue Lebensjahr aber fest vorgenommen, ließ er am Mittwochabend wissen. "Je eher, desto besser", gab ihm Harburgs erster mutiger Mann, Horst Prée, mit auf den Weg.