Eine Filmische Visitenkarte. Zwei junge Drehbuchautoren aus Harburg hoffen auf Scouts im Internet

Seit sieben Wochenenden immer die gleiche Tortur: Acht bis zehn junge Leute schleppen Kameras, Stative, Scheinwerfer, Filter und alles andere, was Filmemacher so brauchen, in eine Drei-Zimmer-Wohnung an der Georg-Wilhelm-Straße in Wilhelmsburg. Dann wird in dem Appartement, die Mutter des Produzenten lebt dort, gedreht. So lange die Kraft reicht. Meist 14 Stunden am Tag.

Die Hamburger Produktionsfirma Shoreless Pictures dreht in dem unscheinbaren Mehrfamilienhaus eine Webserie. Mit der irrwitzigen Religionskomödie "Kumbaya!" wollen zwei junge Drehbuchautoren aus Harburg, Nick Buckenauer, 24, und Sebastian Droschinski, 25, auf sich aufmerksam machen.

Beim Kioskbesitzer gegenüber, das Filmset stets im Blick, ist das bereits gelungen. "Lauft ihr bei RTL?" will er wissen. Das nicht. Aber Hauptdarstellerin Franciska Friede hat in der SAT1-Telenovela "Hand aufs Herz" und in der Folge "Frankfurt Superstar" der ZDF-Krimiserie "Ein Fall für zwei" mitgespielt. Damit ist die 24-Jährige der Star der Serie. Sie hat sich für das Script begeistert. Deshalb wirkt sie an der No-Budget-Produktion mit, wartet in der Küche sitzend auf ihre Szenen oder malträtiert ihr Smartphone. Franciska Friede haben die beiden Produzenten über das Internetportal "Crew United" rekrutiert. Hier finden sich Idealisten aus der Filmszene zu gemeinsamen Projekten.

Ein Film im Internet gilt als die schnellste Visitenkarte von jungen Filmemachern, die in das Geschäft einsteigen wollen. So geht Filmen heute: Jeder kann veröffentlichen. Unabhängig von Budget und Seilschaften in der Branche. "Gib' uns einen Euro in die Hand und wir machen Magie", beschreibt Sebastian Droschinski diesen unabhängigen Geist, der in der Filmszene der USA weiter verbreitet ist als in Deutschland.

Der 25-Jährige hofft, später einmal mit Filmen, Konzepten und Scripten Geld verdienen zu können. Zurzeit jobbt er als Aushilfe in der Kletterhalle in Wilhelmsburg Er ist Kulturwissenschaftler, sein Vater arbeitet beim NDR. Droschinski und Buckenauer haben ihre Ersparnisse in die Produktion der Webserie gesteckt.

Die beiden Freunde haben schon die 60 Minuten lange Komödie "Original Gangster" gedreht. Die Geschichte eines Jungen, der aus der Großstadt in das Alte Land zieht und sich dort ähnlich wie Odysseus in der griechischen Mythologie bei Prüfungen beweisen muss.

Schien die Transformation göttlicher Mythen in die Fernseh-Komödie der Neuzeit schon ambitioniert, treiben Nick Buckenauer und Sebastian Droschinski in ihrem neuen Film "Kumbaya!" die Religionssatire auf die Spitze. Sie fordern niemand geringeren als Gott heraus, als wollten sie all diejenigen rächen, die jemals dazu gezwungen worden waren, den bekannten religiösen Gassenhauer "Kumbaya" bei kirchlichen Jugendausfahrten am Lagerfeuer zu singen.

Buckenauer und Droschinski haben nicht nur das Drehbuch geschrieben. Sie spielen ihre beiden Filmprotagonisten auch noch gleich selbst. Die Taugenichtse David und Jacob (!), die auf einem Pizza-Karton kryptische Zeichen entdecken und daraufhin eine erfolgreiche Religionsgemeinschaft gründen.

Auf dem Sofa mit der Spielekonsole daddelnd und kiffend machen die Sektengründer einen so großen Haufen Geld, dass sie den arbeitslosen Handwerker Jesus (!) beauftragen, eine Kirche zu bauen. Gott reagiert zornig, dass die Konkurrenz ihm seinen Sohn abspenstig macht und schickt den Menschen Plagen. In diesem Chaos managt Franciska Friede als Sekretärin das Sektenbüro.

Die Webserie "Kumbaya!" wird die Geschichte in neun jeweils zwölf Minuten langen Folgen zeigen. Länger sollte eine Folge nicht sein, denn im Internet gelten andere Gesetze als im Fernsehen: "Die Hemmschwelle beim Publikum weiter zu klicken, ist niedrig", sagt Sebastian Droschinski. Das Script müsse straff geschrieben sein, Gag auf Gag folgen. Einen "Tapas-Teller der guten Laune" nennt er die Webserie.

Für die Internetwelt ist die Serie "Kumbaya!" mit insgesamt 108 Minuten Länge ein Monumentalfilm wie "Ben Hur". Normalerweise produzieren Filmemacher einen kurzen Plot als Testballon und warten die Reaktionen ab. "Leute mit klarem Verstand hätten das so gemacht", sagt Nick Buckenauer, "aber dann kam bei uns der Größenwahn und wir haben die komplette Serie gedreht." Gleich drei Regisseure arbeiten daran mit, Janco Christiansen sowie Lasse Buchhop und Dennis Riebenstahl.

Der Größenwahn zeigt Spuren. Fünf Kilo habe er in den vergangenen sieben Wochen abgenommen, klagt Sebastian Droschinski. Der Stress! Doch das ist nichts dagegen, was Karen Buckenauer durchmacht. Wenn die Pädagogin sich am Wochenende eigentlich von ihrem Job ausruhen müsste, hat sie eine Filmcrew im Haus.

Die Mutter des Produzenten, Drehbuchautors und Hauptdarstellers übernimmt das Catering. Wenn es lautstark in der Pfanne brutzelt, stöhnt der Tontechniker auf. Sohn Nick verwandelt die Wohnung seiner Mutter in eine Kifferbude, weil sein Drehbuch das verlangt. Er weiß zu würdigen, was seine Mutter für ihn tut: "Es ist stressig für sie. Die Wohnung ist wie im Kriegszustand, meine Mutter wird von allen Seiten belagert." Noch ein Wochenende, dass enden die Dreharbeiten. Die Webserie "Kumbaya!" soll voraussichtlich im Herbst erscheinen, im Massenvideoportal "Youtube" und bei "Vimeo", einem Portal für das Fachpublikum. Er klingt schon wie ein Religionsstifter, wenn Sebastian Droschinski sagt: "Wir haben den unbändigen Glauben, dass wir eine schöne Geschichte erzählen."