Im Bezirk Harburg sollen nur 37,6 Prozent der Grundschüler an Schuleingangsuntersuchungen teilnehmen. CDU: “Hier steht die Schulbehörde in der Pflicht, dass kein Kind durch den Rost fällt.“

Harburg/Winsen . Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Christoph de Vries ist ein fleißiger Politiker. Allein 28 Kleine und Große Anfragen hat er in diesem Jahr an den Hamburger SPD-Senat gestellt. Jetzt bekam er Antwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage (Drucksache 20/7880) zum Thema "Durchführung schulärztlicher Untersuchungen - wird der gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen?"

Laut Paragraf 34, Absatz 5 des Hamburgischen Schulgesetzes sollen alle Kinder zeitnah mit der Anmeldung an der Grundschule an einer Schuleingangsuntersuchung teilnehmen. "Zweck der Untersuchung ist es, gesundheitliche Probleme bei Kindern, die eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht gefährden könnten, rechtzeitig zu erkennen und für die betroffenen Kinder auf geeignete Maßnahmen hinzuwirken", heißt es im Gesetz. Sprich: Die Ärzte sollen die künftigen Grundschüler auch auf Entwicklungsstörungen, Sprachprobleme und Anzeichen von Misshandlungen untersuchen.

Die Antwort, die de Vries jetzt vom Senat bekommen hat, ist höchst brisant. Von 15.058 gemeldeten Erstklässlern sind im vergangenen Schuljahr hamburgweit anscheinend nur 12.354 untersucht worden. Das entspräche einer Quote von 82 Prozent. Besonders prekär habe sich die Lage im Bezirk Harburg dargestellt. Hier sollen es laut Senatsantwort nur 528 von 1404 Grundschülern gewesen sein, also nur 37,6 Prozent! Zum Vergleich: Der Bezirk Nord meldete eine Quote von 100 Prozent, der Bezirk Bergedorf 94,8 Prozent, der Bezirk Mitte 91,5 Prozent, der Bezirk Eimsbüttel 82,9 Prozent, der Bezirk Altona 82,8 Prozent und der Bezirk Wandsbek 77,2 Prozent.

"Sollten diese Zahlen zutreffen, wäre das absolut inakzeptabel", sagt de Vries: "Hier steht die Schulbehörde in der Pflicht, dass kein Kind durch den Rost fällt." Doch warum werden in Hamburg nicht alle Kinder untersucht? "Als Gründe, warum Untersuchungen nicht durchgeführt wurden, nennen die Bezirke unter anderem unzureichende Besetzungen der Stellen im ärztlichen Bereich, Personalbindung an akute Geschehnisse (wie EHEC 2010) oder räumlich organisatorische Bedingungen", teilt der Senat mit. "Aber auch das Nichterscheinen von Sorgeberechtigten, Nichtmeldung von vorzeitigen Einschulungen oder anderen Untersuchungsanlässen und der Wegzug der Eltern aus dem Bezirk spielen eine Rolle, dass vorzunehmende Untersuchungen nicht stattfinden."

Doch können all diese Gründe tatsächlich dazu führen, dass die Harburger Quote so deutlich unter dem Hamburger Schnitt liegt? "An der Personalsituation im Gesundheitsamt kann es eigentlich nicht gelegen haben, denn laut Senat waren alle Planstellen beim schulmedizinischen Dienst besetzt", sagt de Vries. Dann kämen eigentlich nur gravierende organisatorische Probleme oder Nachlässigkeit in Betracht.

Der zuständige Sozialdezernent Holger Stuhlmann bestreitet das energisch. "Nach meinen Informationen sind die Zahlen für Harburg falsch erhoben worden." Unterstützung erhält er von Claudia Tusch, Schulleiterin der Heimfelder Grundschule am Kiefernberg: "Dass diese Quote zutrifft, kann ich mir nicht vorstellen. Bei uns liegt die Zahl beständig deutlich über 90 Prozent." Denkbar sei lediglich, dass die Schuleingangsuntersuchung, die regulär ein halbes Jahr vor Schuleintritt terminiert ist, nicht in jedem Fall bis zum ersten Schultag erfolgt ist. "Weil manche Eltern den Aufforderungen zur Untersuchung ihrer Kinder im Gesundheitsamt nicht sofort nachkommen, ziehen sie sich auch schon mal bis in den Herbst hinein. Doch das betrifft höchstens zehn bis 15 Prozent aller Kinder", sagt Claudia Tusch.

Ganz anders sieht die Lage im Landkreis Harburg aus. Dort untersuchen drei Schulärzte des Gesundheitsamtes und fünf niedergelassene Ärzte als Vertragsärzte die angehenden Schüler ein Jahr vor der Einschulung - so schreibt es das Niedersächsischen Landesschulgesetz vor. Die Untersuchungen laufen im Gesundheitsamt und an den Schulen.

Landkreissprecher Bernhard Frosdorfer: "Von 2322 zu untersuchenden Kindern haben 100 Prozent an der Schuleingangsuntersuchung teilgenommen", sagte er dem Abendblatt auf Anfrage. Sollten sich Eltern den Untersuchungen entziehen, sorgen die Schulen in Absprache mit dem Gesundheitsamt dafür, dass sie mit ihren Kindern bei den Ärzten erscheinen müssen.