Heidesiedlung Neu Wulmstorf war nach dem Krieg Zuflucht für Vertriebene. Mit diesen Anfängen von Neu Wulmstorf beschäftigt sich jetzt das Freilichtmuseum Kiekeberg.

Neu Wulmstorf. Maulwurfshausen - kein einladender Name für einen Ort. Heute schmunzelt Heinz Dudek, 79, über die Bezeichnung. Anfang der 1950er-Jahre war das die treffende Beschreibung für die ersten Häuser in der Heidesiedlung von Neu Wulmstorf, in der Heinz Dudek und weitere Hunderte Vertriebene eine neue Heimat fanden.

Der damalige Landrat des Kreises Harburg, Philipp Helbach, hatte die Siedler ermuntert: "Fangt an! Macht eure Keller fertig und zieht ein. Wo ein Keller steht, kommt auch ein Haus drauf. Dafür sorge ich schon." Also fingen die Flüchtlinge voller Hoffnung an und zogen ihre Keller hoch. Doch dann fehlte es an Geldgebern, die das Siedlungsprojekt verwirklichen konnten. Wie die Maulwürfe blieben die Siedler in ihren Kellerbehausungen, aus denen die Schornsteine herausragten, sitzen.

Mit diesen Anfängen von Neu Wulmstorf beschäftigt sich jetzt das Freilichtmuseum Kiekeberg in einem neuen Forschungsprojekt mit dem Titel "Bauen und Wohnen nach 1945 im Landkreis Harburg". Neu Wulmstorf gilt als Keimzelle für die Nachkriegs-Entwicklung im Landkreis Harburg, und die Flüchtlinge waren der Motor. Von 1939 bis 1947 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner von 565 auf 1095, von denen 414 Vertriebene waren. In Flüchtlingskreisen sprach sich herum, dass Neu Wulmstorf noch freies Gelände hatte.

Mit der Nordwestdeutschen Siedlungsgesellschaft Hamburg fand sich dann endlich ein Kapitalgeber, so dass die 300 Menschen, die noch in ihren Maulwurfslöchern lebten, endlich Mitte der 1950er-Jahre ein Zuhause bekamen. Mit ihnen auch weitere Flüchtlinge, die später in Neu Wulmstorf eintrafen, darunter Heinz Dudek, der 1956 nach Neu Wulmstorf zog und noch heute mit seiner Frau in der Heidesiedlung lebt.

Er gehörte zwar zu den wenigen, die nicht monate- oder sogar jahrelang im feuchten Keller leben mussten, aber auch für ihn waren die Anfänge in der Heidesiedlung, in die er mit 22 Jahren zog, nicht einfach. "Es standen nur Häuser hier, alles andere war Wüste", erinnert sich Dudek. Der Mann mit den grauen Haaren scheint noch heute die Umstände damals nicht fassen zu können und schüttelt immer wieder den Kopf.

"Es war nichts gepflastert, nicht mal Strom oder Wasser hatten wir. Aber wir haben es gepackt." Als Toilette dienten einfache Gruben. "Eine für das Dünne, die andere für das Gold", sagt Dudek. Ganze Grundstücke mussten mit Sand aufgefüllt werden. Der gelernte Tischler hat noch heute das Bild seiner Mutter, die von morgens bis abends Schubkarren voll Sand geschoben hatte, vor Augen.

Neu Wulmstorf war seine zweite Station nach Heidenau, wo er zunächst zusammen mit seiner Mutter und Schwester nach einer zwei Monate langen Flucht aus Klein Liebenau bei Minus 21 Grad landete. "Schlimm war das damals. Wir waren froh, dass wir am Leben waren", sagt Dudek.

Günther Martin, 65, auch ein Heidesiedler erster Stunde, hingegen blieb die Flucht erspart. Er wurde in Tostedt geboren und bewohnte ab 1956 mit seinen Eltern und zwei Geschwistern eine Doppelhaushälfte in der neuen Heidesiedlung. Seine Eltern zahlten die Parzelle mit 24 Mark an und mussten sie später der Nordwestdeutschen Siedlungsgesellschaft abzahlen, zusammen mit den Anteilen für das Haus, das 24.000 Mark kostete.

So konnten die Eltern von Günther Martin das Haus hochziehen. Bedingung war, im ersten Stock wegen der Wohnungsnot eine Einliegerwohnung bereitzuhalten, in die eine zweite Familie einzog. Das galt für jeden Siedler. In einem Doppelhaus lebten also zwischen 15 und 20 Menschen in der Heidesiedlung. Nebenan im Stall der Familie Martin auf dem 600 Quadratmeter großen Grundstück gab es weitere Bewohner: Schweine, Hühner, Enten und Kaninchen. Die Kleinviehhaltung war ebenso Pflicht, um sicher zu gehen, dass sich die Siedler selbst versorgen konnten. Bei Familie Martin gab es Zeiten, in denen die Mutter drei- bis viermal pro Woche Kaninchen servierte. "Ich esse keine Karnickel mehr", sagt Günther Martin heute.

Ein Haus glich dem anderen: grau-beige Betonwände, vier Fenster unten, vier oben, vier auf der Giebelseite. Rund 50 Quadratmeter umfasste das Untergeschoss, das Obergeschoss 40. Die Flüchtlinge legten Leitungen für die Straßenbeleuchtung selbst und schachteten die Turnhalle der Grundschule Breslauer Straße selbst aus.

Jeder baute Gemüse und Obst im Garten an. Günther Martin, entsinnt sich, wie er als Kind den steinharten Boden mit dem Spaten bearbeiten musste. "In den ganzen Häusern hier steckt sehr, sehr viel Arbeit", sagt Dudek.

Wenn man so will, gab es am Ende eine Belohnung für die Strapazen. In dem Wettbewerb um die beste Kleinsiedlung, die der Landkreis Harburg 1955 ausgeschrieben hatte, wurde die Heidesiedlung auf den ersten Platz gewählt. Zu den Kriterien zählten Ordnung, Sauberkeit sowie die Vorbereitung der Gartengestaltung.

Das 2009 erschienene Buch "Wir fingen ganz von vorne an!", Siedlungsbau und Flüchtlingsintegration Großraum Hamburg 1945 - 1965" von Thomas Schürmann honoriert ebenso die Durchhaltekraft der damaligen Siedler, wenn auch etwas spät. "Das heutige moderne Neu Wulmstorf, das mittlerweile in Größe und Ausstattung (...) den Ansprüchen einer Stadt genügt, ist nicht zuletzt auch dem Beharrungsvermögen und diesem unbändigen Siedlungswillen der Flüchtlinge zu verdanken", schrieb Schürmann, volkskundlicher Leiter im Freilichtmuseum am Kiekeberg, in dem Buch. Von den Häusern im gleichen Stil ist heute nicht mehr viel übrig. Obergeschosse wurden inzwischen ausgebaut, die Außenwände verklinkert. Das einzige, was noch an die Flüchtlinge aus dem Osten erinnert, sind die Straßennamen: Königsberger Straße, Breslauer Straße, Danziger Straße und Pommernweg.