24 Lesungen helfen den Besuchern der Gartenschau igs , in der Vielfalt der Eindrücke eine Insel der Ruhe zu finden

Wilhelmsburg. Bei dem Motto der Internationalen Gartenschau (igs) in Wilhelmsburg, "In 80 Gärten um die Welt", haben sich die Vermarkter bei dem Schriftsteller Jules Verne und seinem Roman "In 80 Tagen um die Welt" bedient. Das Botanik-Großereignis hat noch weiter die offenbar imageträchtige Nähe zur Literatur gesucht und eine eigene Lesereihe geschaffen: "Welt der Wörter" heißt sie. Der Name ist eine Gedankenverknüpfung an ihren Schauplatz, die "Welt der Religionen" der Gartenschau, ein Konglomerat von fünf Gärten, die die Weltreligionen repräsentieren.

Mehr als 20 Autoren werden bei insgesamt 24 Lesungen, immer mittwochs von Mai bis Oktober von 14 bis 15 Uhr auf der Bühne West der Internationalen Gartenschau, die ungeheure Aufgabe angehen, die Vielfalt einer Welt der Wörter abzubilden. Mit Belletristik, Essays, Reiseberichten, Lyrik und dem jungen Genre Wettkampf-Dichtung bietet die Lesereihe deshalb bewusst möglichst viele der denkbaren Ausdrucksformen mit Buchstaben. Manchmal begleiten Musiker die Autoren, der Singer-Songwriter Eddy Winkelmann zum Beispiel oder auch der Jazzpoet Massoud Godemann. Zutritt in die "Welt der Wörter" hat nur, wer ein Ticket für die Internationale Gartenschau gekauft hat.

Organisatorin der Lesereihe ist die Journalistin, Kolumnistin und Künstlerin Johanna Renate Wöhlke, 63, aus Neugraben-Fischbek. Die Präsidentin der Journalisten-Interessenvertretung "Die Auswärtige Presse" hat dazu die Autoren eben aus diesem Presseclub und der "Hamburger Autorenvereinigung" gewonnen. Der Verein "Die Auswärtige Presse" sei die älteste nicht-gewerkschaftliche Pressevereinigung der Bundesrepublik Deutschland, sagt Johanna Renate Wöhlke. Heute haben der Deutsche Journalisten-Verband und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di deren einstige Aufgaben übernommen. Die Präsidentin sieht den kleinen Presseclub mit heute noch 90 Mitgliedern als Teil der Kulturgeschichte, der es wert sei, erhalten und erneuert zu werden. "Deshalb sind wir froh, mit der Gartenschau ein so großes Forum zu erhalten", sagt Johanna Renate Wöhlke.

Unter ihrem Pseudonym Cosia Immerscheen, den Namen führt sie mittlerweile sogar in ihrem Personalausweis, begibt sich Johanna Renate Wöhlke am Mittwoch, 31. Juli, in der "Welt der Religionen" auf die Suche nach Gott im Spiegelei. Cosia Immerscheen gilt als die Erfinderin der Kunstform EGGart. Dabei fotografiert sie Spiegeleier in der Bratpfanne und entfremdet die Fotos anschließend am Computer. Spiegeleier in bizarren Formen und explodierenden Farben entstehen auf Leinwand oder Acryl.

70 Spiegelei-Bilder sind zurzeit in der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften am Neuen Jungfernstieg in Hamburg zu sehen. In New York folgt Cosia Immerscheens EGGart sogar Andy Warhols Pop Art: Das Consulting-Unternehmen Augustin & Partners stellt dauerhaft die poppig-bunten kurz gegarten Eier aus Deutschland aus - prominent gelegen zwischen der legendären New Yorker Central Station und den Vereinten Nationen.

Das menschliche Auge erkennt in de EGGart einen Adler oder einen Fötus im Mutterleib. Derartige Schöpfungsakte ziehen die Frage nach Gott im Spiegelei nach sich. "Schmunzeln ist wichtig", warnt Cosia Immerscheen vor Blasphemie, "zu denken fängt beim Schmunzeln an."

Deutlich konventioneller als bei dem literarischen Diskurs über den Schöpfungsakt am Spiegelei ist die Lesung mit Uwe Friesel am 2. Oktober. "Er ist der Star unter uns", sagt Johanna Renate Wöhlke. Uwe Friesel wird aus seinem Kinderbuch "Die 3 Muskeltiere" lesen, die Fabel um Zirkustiere, die plötzlich nach dem Verschwinden des Zirkusdirektors auf sich allein gestellt sind. Nach George Orwells "Farm der Tiere" beschreibt eine Tiergeschichte erneut die Gefahren einer gesellschaftlichen Utopie, diesmal die globalisierte (Handels-)Welt.

Einer der prominentesten Autoren der Lesereihe ist zweifelsohne Hans Krech. Der Historiker und Nahost-Experte liest am 15. Mai aus seiner Erzählung "Romeo und Julia im Krieg". Sie beruht auf einer wahren Begebenheit während des Bürgerkrieges in Bosnien 1993. Als Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Forums für Internationale Sicherheit an der Führungsakademie der Bundeswehr ist seine Einschätzung zu militärischen Krisenherden gefragt. Der DDR-Bürgerrechtler ist 1989 kurz vor dem Mauerfall in die Bundesrepublik abgeschoben worden.

Wie die "Welt der Wörter" sich immer wieder neu erfindet, zeigt die junge Literaturform Poetry-Slam. Einer ihrer Vertreter, Karsten Lieberam-Schmidt, liest am 26. Juni Wettkampf-Dichtkunst und Geschichten. Es dürfte mörderisch gut werden, denn der Bergedorfer ist Crime-Time-Slam-Champion.

Ob ein ambitioniertes literarisches Programm bei den vom Wandern müden Gartenschau-Besuchern ankommt? "Bei uns kann man zuhören und entspannen", ist Johanna Renate Wöhlke zuversichtlich. Angst vor leeren Stühlen vor der Bühne habe keiner der Autoren, versichert sie. "Wir normalen Autoren kennen das, vor zehn oder 50 Menschen zu lesen", sagt sie. "Wir sind alle keine Stars. Aber wir schreiben ein Leben lang als Journalisten oder Buchautoren."

Lesereihe "Welt der Wörter", Internationale Gartenschau in Wilhelmsburg, Bühne West, immer mittwochs 14 bis 15 Uhr. Das komplette Programm im Internet: www.dap-hamburg.de