Weit mehr als 500 Teilnehmer waren dem Aufruf des DGB zur Mai-Kundgebung durch die Innenstadt gefolgt. Das Motto in diesem Jahr: “Gute Arbeit, sichere Rente, soziales Europa“.

Harburg. Heiner Geißler zeigt seinen Vorgängern, wo der Bartel den Most holt. Im Gegensatz zu Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und vielen anderen Gastrednern bei den Mai-Kundgebungen in Harburg, lässt sich der ehemaligen Bundeswirtschaftsminister, CDU-Politiker und jetziger Attac Aktivist nicht zum Rieckhof mit dem Auto fahren, sondern marschiert die ganze Strecke zum Veranstaltungszentrum mit. Um 11 Uhr soll Geißler dort die Rede zur Kundgebung halten. Kurz vor 10 Uhr erscheint der 83 Jahre alte Geißler am Sand und mischt sich unter die Menge. Bis zum Abmarsch um 10 Uhr füllt sich der Platz. In diesem Jahr folgen weit mehr als 500 Menschen der Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Mai-Kundgebung in Harburg.

Das Motto in diesem Jahr: "Gute Arbeit, sichere Rente, soziales Europa". "In Harburg hängt es sehr davon ab, wen wir als Gastredner gewinnen können, wie viele Menschen zur Kundgebung kommen", sagt Manfred Meyer, DGB-Vorsitzender des Ortsverbandes Harburg. Eine Persönlichkeit wie Heiner Geißler sei da natürlich ein echter Frequenzbringer. Allerdings, so räumt Meyer ein, sei das Interesse an Mai-Kundgebungen in den vergangenen Jahrzehnten sehr zurückgegangen. "Ich gehe davon aus, dass die Menschen weniger Interesse auch an den Gewerkschaften haben. Heute ist es doch so, dass Unternehmer den gesetzlichen Lohn zahlen, ob ein Arbeitnehmer nun in der Gewerkschaft ist oder nicht", sagt Meyer. Es gebe also für die Menschen weniger Grund, sich in Gewerkschaften zu organisieren, als es früher der Fall gewesen sei. Allerdings, sagt der Harburger DGB-Chef, gelte das nur, so lange alles gut laufe.

Aber an diesem sonnigen 1. Mai kann Meyer sich über mangelndes Interesse an der Kundgebung in Harburg wirklich nicht beschweren. Und das liegt mit Sicherheit an dem prominenten Gastredner Heiner Geißler. Der passionierte Bergsteiger, der in seiner aktiven Zeit auch in Hochgebirgen unterwegs war, füllte nicht nur den Demonstrationszug, sondern auch den Rieckhof. Angeführt wird der Demonstrationszug durch Harburgs Innenstadt von der Samba Gruppe Baianada. Und die Musiker machen ihre Sache ausgezeichnet. Grüne und Linke marschieren mit eigenen Transparenten mit, ebenso wie die Kulturwerkstatt Harburg, der DGB und die Sozialdemokraten. Unter den Demonstranten sind auch Harburgs Bezirksamtsleiter Thomas Völsch, SPD-Kreischef Frank Richter, der Harburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Sören Schumacher und Jürgen Heimath, SPD-Fraktionschef in der Harburger Bezirksversammlung. Später im Rieckhof werden auch einige CDU-Politiker wie der Fraktionschef der CDU in der Bezirksversammlung, Ralf-Dieter Fischer, und sein Stellvertreter Rainer Bliefernicht dazu stoßen. Geißler zieht eben parteiübergreifend.

Geißler, der sich der Gruppe der Globalisierungskritiker Attac bereits vor mehreren Jahren angeschlossen hat, findet im Rieckhof klare Worte, beispielsweise zur Riesterrente, die er einen echten "Flop" nennt. "Die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind in der Tat nicht mehr so düster. Eine echte Vollbeschäftigung könnte in den nächsten Jahren tatsächlich in erreichbare Nähe rücken", so Geißler. Das hänge, sagt der ehemalige Bundespolitiker, auch damit zusammen, dass "die Babyboomer im Alter von 55 bis 65 Jahren jetzt und in den kommenden Jahren in Rente gehen, und es rücken längst nicht mehr so viele junge Leute nach". "Aber", kommt sofort die Einschränkung Geißlers, "Die Gewerkschaften und die Politik haben immer mehr Wind im Rücken". Es müsse endlich, und damit kommt Heiner Geißler zum eigentlichen Thema dieser Mai-Kundgebung, "mit Dumpinglöhnen und mit befristeten Arbeitsverträgen aufhören".

Eine Gefahr für den Arbeitsmarkt ist aus seiner Sicht auch der hohe Anteil an Leiharbeitern und die Lockerung des Kündigungsschutzes. "All das, was sich unter der Überschrift Agenda 21 verbirgt, muss überaus kritisch bewertet werden. Schluss muss in jedem Fall auch mit der Zunahme der Privatisierung sein", erzählt der konvertierte Globalisierungskritiker Heiner Geißler seinen Zuhörern im Kulturzentrum Rieckhof. Manfred Meyer jedenfalls kann mit dieser Mai-Kundgebung zufrieden sein, weitaus mehr Menschen als in den vergangenen Jahren, als es höchsten um die 500 Teilnehmer gab, waren dem Aufruf der Gewerkschaft gefolgt, an diesem Tag für die Rechte der Arbeitnehmer auf die Straße zu gehen.