Johannesgemeinde Tostedt bietet Männern und Frauen Rat und Raum für Trauer

Tostedt. Der Tod ist keine todtraurige Angelegenheit. Wer in Tostedt an der Trauergruppe der evangelisch-lutherischen Johannesgemeinde und des Herbergsvereins teilnimmt, darf auch mal lachen, ohne sich dafür zu schämen. Oder weinen und wütend sein, wenn ihm danach zu Mute ist. Die Trauergruppe ist ein geschützter Ort für all diejenigen, die nach großem Verlust und tiefem Schmerz ins Leben zurückfinden wollen. Ursula Sendes, Martina Meier und Rolf Klasing tragen einen großen Teil dazu bei, dass das gelingen kann. Einfühlsam und aufrichtig begegnen sie den Männern und Frauen, die den Tod eines geliebten Menschen noch nicht ganz verarbeitet haben.

Eigentlich wollte sie die Zeit nutzen, um den Garten ein wenig auf Vordermann zu bringen. "Es war ja so schönes Wetter und ich hatte ja frei und es sah da draußen so unordentlich aus", sagt Anke. Stattdessen machte sie sich kurzentschlossen auf die Suche nach einem Findling, der irgendwann einmal auf dem Grab ihres Mannes stehen soll. "Das bin ich endlich angegangen, habe einen Tag in der Kiesgrube verbracht und war am Ende ganz zufrieden. Der Garten läuft ja schließlich nicht weg", sagt die blonde Frau, nickt und schaut gedankenverloren auf ihre ineinander verschränkten Hände.

Gerhard hingegen quälte sich eine Woche lang mit der Bandscheibe rum und besuchte ein Konzert in der Kirche. Ursula kämpfte mit den Folgen einer Zahnbehandlung und freute sich auf die aufmunternden Worte ihrer Gruppenkollegen. Karin bekam über Ostern ihre zweite Chemotherapie. Ellen buchte mutig einen Ausflug, will Fahrradfahren und entspannen, zum ersten Mal seit langer Zeit alleine Urlaub machen.

Und Martina? Sie verlor am Sonntag eine Freundin, die plötzlich und unerwartet verstarb. "Mir geht's gerade nicht gut. Ich habe daran ziemlich zu knapsen", sagt die Heidenauerin. Die Tränen hält sie nur mit Mühe zurück. Die Erinnerung an den Menschen, der mit 56 Jahren viel zu früh verstarb, ist frisch und tut weh. Besonders am Anfang.

Doch auch ältere Wunden reißen an manchen Gruppenabenden wieder auf. Für Monika ist die Erinnerung an ihren Mann an manchen Tagen nur schwer zu ertragen. Heute ist einer davon. "Sie schmerzt immer noch sehr", sagt die Tostedterin mit gebrochener Stimme. Auch Karin vermisst ihren Partner. Mal mehr, mal weniger. "Aber die Erinnerung an ihn hat mittlerweile einen Platz in meinem Herzen gefunden. Dort wird sie bleiben, so fühlt es sich richtig an. Ich wünsche Euch allen, dass ihr das auch irgendwann sagen könnt." Sie lächelt den anderen zu. In der "Befindlichkeitsrunde", wie der erste Austausch in der Trauergruppe genannt wird, hätte sie auch singen oder laut lachen können. Alles ist erlaubt. Nur eine feste Regel wahrt den Rahmen: Jede Trauer wird gewürdigt, keine gewertet, alles vertraulich behandelt.

Wer weinen möchte, weint. Tränen sind in dieser Runde nichts Ungewöhnliches. "Geweint wird eigentlich immer. Oder die Tränen werden trocken runtergeschluckt. Unsere Gäste kommen auch immer mal wieder an einen Punkt, wo sie sich in der Trauer verlieren. Aber bei allen sehen wir Fortschritte. Sie finden den Weg zurück ins Leben und können wieder lachen", sagt Ursula Sendes. Gemeinsam mit Martina Meyer und Rolf Klasing entwickelte sie die Idee für die "geschlossene Trauergruppe", die seit November besteht und sich im Mai zum vorerst letzten Mal trifft. "Wir haben das Rad natürlich nicht neu erfunden, sondern uns einmal umgeschaut, was es für Möglichkeiten gibt." Fündig wurde das Team schließlich in Zeven. Dort besteht seit Jahren ein vergleichbares Angebot.

"Wir wollten damit eine Ergänzung zum Trauercafé im Himmelsweg bieten, weil wir festgestellt haben, dass das unverbindliche Angebot für einige nicht genug ist", erklärt Klasing. Auch, weil Betroffene sich von ihren Mitmenschen in ihrer Trauer oftmals nicht verstanden fühlen. "Zu uns kommen vor allem Menschen, die schon länger trauern und denen vielleicht schon einmal gesagt wurde, sie sollten jetzt langsam mal wieder normal werden. Aber es gibt eben keine gesetzlich vorgeschrieben Trauerzeit, nach der alles wieder normal ist. Danach bleibt es immer anders", sagt Rolf Klasing.

Der ehemalige Hamburger Polizist engagiert sich wie seine beiden Kolleginnen seit mehr als zehn Jahren in der Hospizarbeit, macht Sterbebegleitung, setzt sich beinahe tagtäglich mit dem Thema Tod auseinander. Aber ist das nicht furchtbar traurig? "Nein. Für uns ist das eine absolute Bereicherung, eine wertvolle Aufgabe", betont Ursula Sendes. Sie habe dadurch gelernt, nach einer Krebserkrankung ihre Angst vor dem eigenen Tod Stück für Stück zu verringern. Martina Meier fand in der Arbeit einen Zufluchtsort, sogar Trost, als ihr Mann im Alter von 45 Jahren an Demenz erkrankte und wenig später verstarb. "Ich weiß, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt. Und ich habe deshalb viel Verständnis für unsere Gäste."

Das kommt an. Niemand bereut die Teilnahme an der Trauergruppe. Jeden Abend gibt es eine positive Rückmeldung. Karin fühlt sich in der Gruppe sehr wohl. "Ich war erst skeptisch, weil ich mit der Kirche nichts am Hut habe. Aber die Angst, dass mir das hier zu christlich wird, war unbegründet", sagt sie. Und auch Ellen betont, wie wichtig ihr die Gruppe ist: "Uns alle verbindet ein ähnliches Schicksal. Darüber miteinander zu reden hilft und tut gut. Wir werden uns sicher nach dem letzten Gruppenabend auch mal privat treffen. Der Kontakt bleibt bestimmt bestehen."

Im November will das Team um Ursula Sendes mit einer neuen Trauergruppe starten. Wer Interesse an einer Teilnahme hat, kann sich schon jetzt unter der Telefonnummer 04182/239 96 36 anmelden.