1997 kaufte Uwe Hintze sein Grundstück in Stelle. 16 Jahre später muss er plötzlich 2200 Euro Kanalbaubeitrag zahlen, obwohl er dachte, die Kosten wären schon längst beglichen.

Stelle. Ratlos blickt Uwe Hintze auf die große Lärmschutzwand hinter seinem Grundstück. Die Wand sollte eigentlich ein Segen sein, denn sie schützt sein Haus vor dem Rattern der Züge, die am nahe gelegenen Steller Bahnhof Halt machen. Tatsächlich hat sie seiner Familie aber indirekt jede Menge Ärger gebracht. Denn als die Lärmschutzwand im Jahre 2010 kam, änderte sich auch der Status seines Grundstücks an der Lüneburger Straße. Die Flächen direkt daneben erhielten Baulandqualität - und Uwe Hintze, der bereits seit 1997 Eigentümer des Grundstücks war, musste plötzlich einen Kanalbaubeitrag bezahlen, von dem er dachte, er wäre schon längst beglichen.

"Voll erschlossen". Diese zwei Worte hätten in dem Kaufvertrag für das 1000 Quadratmeter große Grundstück gestanden, erzählt der 48-Jährige, der in Hamburg als Speditionskaufmann arbeitet. Deshalb dachte er auch zunächst, es müsse sich um einen Irrtum handeln, als seiner Frau Stefanie und ihm kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres ein Brief vom Landkreis Harburg ins Haus flatterte. In dem Schreiben forderte der Landkreis die Hintzes und ihre direkten Nachbarn auf, für eine Grundstücksfläche von insgesamt 730 Quadratmetern exakt 4591,70 Euro als Kanalbaubeitrag zu leisten. Für jeden ergab das somit einen Anteil von 2295,85 Euro. Familie Hintze mit ihren zwei 13 und 14 Jahre alten Töchtern fiel aus allen Wolken. "Ich hab' mich gefragt, wie das sein kann", sagt Vater Uwe. Er erkundigte sich bei der Gemeinde Stelle und dem Landkreis Harburg und nahm sich außerdem einen Anwalt.

Der konnte ihm jedoch auch nur mitteilen, dass sich das alles zwar unglaublich anhöre, aber rechtens sei.

Die Erklärung: Es handelt sich nicht etwa um einen Irrtum oder um eine Nachzahlung, wie man vermuten könnte, sondern um eine Erstveranlagung. "Die Familie hat das Grundstück gekauft, als noch kein Bebauungsplan über den Bereich gelegt war", sagt Birgit Behrens, Sprecherin der Pressestelle des Landkreises. Es galt damals die Regelung für Außenbereiche, nach der lediglich eine Teilfläche des gesamten Grundstücks für den Kanalbaubeitrag veranlagt wurde.

Als dann vor drei Jahren der Lärmschutz und im Anschluss der Bebauungsplan kamen, änderte sich die Situation. Da jetzt auch die restliche Fläche vor der Wand offiziell als Bauland zählte, wurde für sie ebenfalls ein Kanalbaubeitrag fällig. "Der Beitrag richtet sich nach der Grundstücksgröße", erklärt Birgit Behrens und fügt hinzu: "Die Aussage, dass das Grundstück beim Kauf ,voll erschlossen' war, stimmte somit nicht."

Aber warum musste die Teilfläche an der Lärmschutzwand überhaupt zum Bauland werden? Aus Uwe Hintzes Sicht könnte dort aufgrund des geringen Platzes sowieso niemand bauen, weshalb er die Zahlung eines Kanalbaubeitrags als rein theoretische Angelegenheit ansieht, von der er gar keinen praktischen Nutzen hat. Die Antwort hat Jörg Ruschmeyer, Leiter der Stabstelle Gemeindeentwicklung und Wirtschaftsförderung, parat: "Zum Bauland hat das niemand erklärt, es ist mit dem Bau der Schallschutzwände einfach geschehen", sagt er. Erst kurze Zeit später stellte die Gemeinde einen Bebauungsplan auf, der jedoch nicht so stark reglementiert wie beispielsweise in Wohngebieten, wo sogar die Farbe der Dachziegel festgelegt werden kann. Der Bebauungsplan sieht lediglich vor, dass dort kein weiterer Einzelhandel erlaubt werden soll. Die Gemeinde Stelle will ihn auf den Bereich rund um Aldi und Shell-Tankstelle an der Harburger Straße beschränken.

Für Uwe Hintze ist das alles schön und gut, die Kosten mussten am Ende er und einige weitere Anlieger des Bahndamms tragen. Er hat die geforderte Summe mittlerweile überwiesen, von einer anderen Anliegerin weiß er, dass sie sie sogar in Raten abbezahlt, weil sie so viel Geld nicht auf einen Schlag zur Hand hatte. Ihn ärgert zudem, dass der Landkreis oder die Gemeinde ihn nicht vorab über die Änderungen durch den Bebauungsplan informiert haben. Sicherlich wisse er, dass man auch selbst die politischen Verfahren mitverfolgen könne. "Aber welcher Bürger tut das schon?"

Zumindest das Mitgefühl von Gemeinde und Landkreis haben die Hintzes. "Man kann die Familie absolut verstehen, das ist sehr frustrierend", sagt Birgit Behrens. Gleichwohl hätten die Hintzes beim Kauf bemerken können, dass nicht die gesamte Quadratmeterzahl ihres Grundstücks für den Kanalbaubeitrag veranlagt war, fügt sie hinzu. Jörg Ruschmeyer spricht von einem "sehr ärgerlichen" Vorgang, zu dem es baurechtlich aber keine Alternative gebe. Als Tipp für zukünftige Grundstückskäufe können die beiden jedem Bürger deshalb nur raten, sich bei der Gemeinde genau zu informieren, welche Beiträge möglicherweise noch anfallen könnten. "Das Angebot bieten wir täglich an", sagt Ruschmeyer.

Die Hintzes wollen genau das mit ihrem Schritt an die Öffentlichkeit erreichen. "Wir möchten andere Eigentümer warnen und sensibilisieren", sagt Uwe Hintze. Für ihn selbst ist es leider schon zu spät - den Sommerurlaub hat die Familie in diesem Jahr geknickt.