Der Deichverband hat zahlreiche Kirschbäume auf dem Lühedeich abholzen lassen. Bürger und Politiker sind entsetzt

Mittelnkirchen. Das Alte Land wird derzeit von seinen Bewohnern für den Start in die Tourismussaison fein herausgeputzt. Schmucke Häuser, gepflegte Vorgärten, einladende Obsthöfe gehören ebenso zum Landschaftsbild, wie die Bauten und blühenden Obstbäume auf den Deichen von Schwinge, Este und Lühe. Doch nun herrscht großes Entsetzen und Empörung bei den Bürgern in Mittelnkirchen: Der Deichverband der II. Meile des Alten Landes hat zahlreiche Kirschbäume auf dem Lühedeich abgeholzt. Begründet wird die Fällaktion mit dem Gesetz zur Deichsicherheit.

Als "völlig überzogen" und "weit übers Ziel hinaus geschossen" bezeichnet Stades Landrat Michael Roesberg die Rodung, die zudem gegen geltendes Naturschutzrecht verstößt. Demnach ist das Roden gesunder Bäume nach dem 1. März nicht gestattet. Zudem seien die Bäume abgeholzt worden, ohne zuvor mit allen Beteiligten zu reden, kritisiert Roesberg. "Die Bäume standen teilweise 50 Jahre dort, warum sollte es im 51. Jahr plötzlich schädlich sein", sagt Roesberg.

Der Landkreis Stade als Deichbehörde duldet Bäume auf dem Lühedeich, sofern sie gesund sind, hoch auf dem Deich oder im Schutz von Häusern stehen. Es handele sich bei den Anpflanzungen um ein Kulturgut, welches das Landschaftsbild im Alten Land präge und von Anwohnern und Touristen gleichermaßen geschätzt werde, so Roesberg. "Hier hat es dem Deichverband an Fingerspitzengefühl gefehlt. Das muss sich niemand gefallen lassen", sagt der Landrat.

Uwe Hampe, der verantwortliche Oberdeichrichter im Deichverband der II. Meile Alten Landes sagt: "Die Bäume, die entfernt wurden, waren nicht gesund." Zudem sei alles, was im Deich liege, schädlich, so Hampe. Er verweist auf das Niedersächsische Deichgesetz, in dem geregelt sei, dass Bäume nicht auf Deichen stehen dürfen. "Sie könnten die Sicherheit des Deiches gefährden, aber auch auf die Straße fallen und zu Unfällen führen", sagt Hampe.

Genau diese Gefahr haben zum Thema befragte Experten nicht bestätigt. Es sei kein Fall bekannt, dass ein Deich wegen Bäumen gebrochen ist, sagt Mittelnkirchens Gemeindedirektor Kai Schulz. Er beruft sich auf Ausführungen des Bodengutachters Peter Quast, der den Lühedeich begutachtet hat. Das wurde bereits vor 20 Jahren so gehandhabt. "So ein Experte wird nicht leichtfertig urteilen, zumal sich jeder der Gefahren von Hochwasser bewusst ist", sagt Schulz. Groß ist das Bedauern, weil die ortsbildprägenden Bäume nun fehlen und vom Deichverband kein Ermessensspielraum gelassen wurde.

"Wir finden das ganz schrecklich und sind sehr traurig", sagt Miriam Haupt-Bohnenberger, seit 1985 Eigentümerin der Gaststätte "Op'n Diek" in Mittelnkirchen. "Unsere 22 Jahre alten Kirschbäume gehörten zum klassischen Bild im Ort. Sie waren groß, aber nicht krank." Auch Hans Jarck, Bürgermeister der Samtgemeinde Lühe, sagt: "Ich bedaure jeden gesunden Baum, der gefällt wurde". Selbst wenn die Abholzung formal gesetzeskonform sei, müsse man unbedingt Gespräche führen, wie in Zukunft mehr Augenmaß gewahrt werden kann. Man wolle keine Gesetze brechen, aber die Entwicklung aus dem Ursprung heraus im Blick behalten. "Dazu müssen wir die Gesetzgeber mit ins Boot holen, damit sie sich die Situation im Alten Land genau ansehen", sagt Jarck. "Das Bild mit Bäumen und Häusern auf den Deichen der Elbe-Nebenflüsse prägt das Alte Land seit Jahrhunderten und ist weltweit einzigartig."

Die Häuser wurden früher für die armen Knechte und Mägde auf die ungenutzten Deichflächen gebaut, und wo Platz war wurden Bäume zur Selbstversorgung gepflanzt, so der Altländer Jarck. "Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass unsere Vorfahren so klug waren, sich keinen Gefahren auszusetzen.

Sein Amtskollege Gerd Hubert, Bürgermeister der Gemeinde Jork, bezeichnet das rigorose Abholzen als "katastrophale Schweinerei". "Damit wurden touristische Attraktionen entfernt, die den besonderen Reiz des Alten Landes ausmachen", sagt Hubert. Er hoffe nun, dass die geplanten Gespräche mit allen Beteiligten beim Landkreis neue Regelungen bringen und wir nicht um die Bäume auf dem Estedeich fürchten müssen.

"Man braucht kein solches Theater zu machen", sagt Arend Fischer, Oberdeichrichter der I. Meile Alten Landes. "Ich kann Uwe Hampe nur beipflichten und werde ihm nicht in den Rücken fallen. Auf den Deich gehören weder Häuser noch Bäume." Vor 20 Jahren hatte Fischer mit einem ähnlichen Kahlschlag am Lühedeich bei der "Hogendiekbrück" für eine Welle des Protestes gesorgt. "Man wollte mich köpfen, obwohl die Deiche nun mal Hoheitsgebiet des Deichverbandes sind."