Vereinbarung mit Kehdinger Landwirten kann zum Herbst unter Dach und Fach sein

Stade. Einem zwischen Kreisbauernverband Stade und Kreisverwaltung erarbeiteten Vertrag zum Naturschutz im international bedeutenden Vogelschutzgebiet am Kehdinger Elbe-Ufer hat der Umweltausschuss des Kreistages zugestimmt. Wenn die rund 80 Landwirte, um deren Flächen es geht, diesen Vertrag bis zum Herbst unterzeichnen, werde der Landkreis Stade auf eine hoheitliche Sicherung der Flächen in Form von Landschafts- oder Naturschutzgebieten verzichten, so der Landkreissprecher Christian Schmidt.

Kreisbaurat Hans-Hermann Bode sagte im Ausschuss, das Bundesnaturschutzgesetz erlaube eine vertragliche Regelung mit den Landnutzern zum Schutz der ökologisch wertvollen "Natura 2000"-Gebiete. Voraussetzung sei jedoch, dass damit dauerhaft ein "gleichwertiger Schutz" wie nach der förmlichen Ausweisung eines Natur- oder Landschaftsschutzgebietes erreicht werde. Dies soll in Kehdingen eine Vereinbarung sicherstellen. Über deren Details hatten Kreisbauernverband, Landwirte und die Naturschutzbehörde jahrelang verhandelt.

Im Vertrag verpflichten sich die Landwirte unter anderem, das für die typische Vogelwelt des Elbufers lebenswichtige Grünland in Form von Wiesen und Weiden zu erhalten und das Gebiet nicht zusätzlich zu entwässern. Auch der bislang praktizierte Einsatz von Knallapparaten, mit denen Wildgänse und -enten von Ackerflächen vertrieben werden, wird in der Vereinbarung ausgeschlossen.

Allein rund 80.000 Weißwangengänse, auch Nonnengänse genannt, fressen sich während ihrer Winterrast auf den Grünflächen Reserven für den Flug in die Brutgebiete in der Arktis und am russischen Eismeer an, schätzt Kreislandwirt Johann Knabbe. Dazu kommen Grau-, Nil- und Kanadagänse. "Im vergangenen Jahr hatten wir auf den bestellten Ackerflächen auf rund 300 bis 400 Hektar in Kehdingen Totalverluste", sagt Knabbe. Mit etwa 600 Euro pro Hektar werden die Schäden der Landwirte für verlorenes Saatgut und Winterbestellung beziffert. Allerdings seien die Fraßschäden nie als konstante Größe zu sehen. Es gebe Jahre, in denen aufgrund der Witterung, etwa auf lange zugeschneiten Ackerflächen und Vegetationszustand kaum Schäden registriert werden. "So kann man die Spanne von überhaupt keinem Verlust bis auf etliche 100.000 Euro nie vorhersehen", sagt der Kreislandwirt.

Auf den Kehdinger Grünlandflächen bevorzugen die Gänseschwärme frisch gekeimte Weizenpflanzen und andere Keimlinge wegen ihres hohen Eiweiß- und Energiegehaltes. Langes Gras hingegen verschmähen die Zugvögel.

Trotz einiger Juckepunkte, wie Knabbe es nennt, stehen die Landwirte zu dem rund 10.000 Hektar umfassenden EU-Vogelschutzareal zwischen Kehdinger Außendeich bis Balje und Asseler Sand bei Drochtersen. Für ihre gefressenen Pflanzen sind finanzielle Entschädigungen nur ein Aspekt, denn im Vorfeld wurde gepflügt, geeggt und gesät.

Noch bis einschließlich 15. Mai können die Bauern ihre EU-Förderanträge einreichen. Im Gegenzug dafür sichern sie die Einhaltung der EU-Regelungen für die Vogelschutzgebiete zu, so Knabbe.

Der Vertrag zwischen Kreisbauernverband Stade und Kreisverwaltung soll in der zweiten Jahreshälfte 2013 unterschriftsreif sein und dann mindestens zehn Jahre gelten. Sollte sich der Zustand des Gebietes trotz der Vereinbarungen wider Erwarten ökologisch verschlechtern, ist der Landkreis Stade laut Vertragsentwurf zu einer früheren Kündigung berechtigt.

Hintergrund ist, dass etwa 10.000 Hektar des EU-Vogelschutzgebietes und des FFH-Gebietes Unterelbe nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien der EU im Raum Kehdingen bisher nicht als Schutzgebiet ausgewiesen oder durch gleichwertige Vereinbarungen geschützt sind. Das aber verlangt die Europäische Union für die Flächen nördlich des historischen Winterdeiches zwischen Oste und Asselersand. Sie sind Teil des europäischen Schutzgebiet-Netzes "Natura 2000". Sowohl als Brutgebiet für inzwischen selten gewordene Arten wie Kampfläufer, Rotschenkel und Uferschnepfe, als auch für Rastvögel hat das Gebiet nationale, ja sogar internationale Bedeutung.

Mit der für das "Natura-2000"-Gebiet flächendeckend geltenden Vereinbarung zwischen Landwirtschaft und Naturschutzbehörde beschritten beide Verhandlungspartner einen für Niedersachsen neuen Weg, sagte Kreisbaurat Bode. Der für Umweltangelegenheiten zuständige Dezernent der Kreisverwaltung fügt hinzu: "Naturschutz hat nur Sinn, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen."