Jedes Jahr ermittelt der Pfeifenclub “Blauer Dampf“ seinen Meister im Zigarillo-Rauchen. Der Langsamste gewinnt

Otter. Henner Casemir, 43, ist klar im Vorteil. Er hat seine Fingernägel länger nicht mehr gestutzt. Das macht es einfacher, das Zigarillo, das schon auf weniger als einen Zentimeter heruntergebrannt ist, noch locker in der Hand zu halten. "Wenn erst mal das Fleisch kokelt, wird es schwierig", sagt Uwe Heins, 54, der ihm gegenüber sitzt.

Acht Männer haben sich im Gasthof Gerlach in Otter um einen langen Tisch mit bestickten Osterdecken gesetzt und wollen alle nur eins: ihren Stumpen am längsten am Glimmen halten. Im Hinterzimmer des Gasthauses mit Rüschengardinen und Hirschgeweih wird von der Außenwelt weitestgehend unbemerkt der Sieger der Zigarillo-Meisterschaft 2013 ermittelt. Seit 2004 richtet der 60 Mitglieder starke Pfeifenclub "Blauer Dampf" das vereinsinterne Turnier aus. Noch länger gibt es das Pfeife-Langsam-Rauchen im Club, das im Herbst stattfindet.

"Wettrauchen" sagen die Männer vom Verein "Blauer Dampf" zu ihrem internen Turnier, wobei die sonst üblichen Gesetze des Wettbewerbs hier nicht gelten. Nicht der schnellste, sondern der langsamste Raucher gewinnt. Ein kurioser Contest, aber die Männer nehmen ihn ernst. Es gelten strenge Regeln. Anfeuchten oder ins Bier tunken ist nicht erlaubt. Hilfsmittel wie Pinzette oder ähnliches erst recht nicht. Frauen sucht man in der Raucherrunde vergeblich. Nur Männer dürfen in den Raum, in dem eine Ritterrüstung steht und Gewehre die Wände zieren. Nach wie vor hält der Club an seinem Statut fest, nur männliche Mitglieder aufzunehmen. Der jüngste Mann in der heutigen Wettkampfrunde ist 24 Jahre alt, der älteste 75.

Es geht los. Gerd Bahlmann, der Tabaksmeister, verteilt zunächst zwei Streichhölzer in kleinen Schachteln an die Teilnehmer. Mehr gibt es nicht. Wer es nach zwei Versuchen nicht geschafft hat, sein Zigarillo anzuzünden, hat Pech gehabt. Nachdem Bahlmann sich versichert hat, dass jeder eine Schachtel mit zwei Streichhölzern vor sich liegen hat, schreitet der 69-Jährige wieder die Runde ab und überreicht jedem einzelnen feierlich ein Zigarillo, Marke Greyhound, Fine Aroma. Zwei Minuten haben die Männer Zeit, sich die Zigarillos anzuzünden.

"Auf los geht's los", sagt Gerd Bahlmann und setzt sich an die Spitze des Tisches. "Seid ihr bereit?", fragt er und schaut auf seine Uhr. Alle nicken. "Und los." Die Streichhölzer ratschen, die Flammen flackern auf und Sekunden später steigen Rauchwölkchen vor den Gesichtern auf. Die ganz Schlauen warten lieber noch, bis die letzten 30 Sekunden der zwei Minuten anbrechen, und bringen erst dann ihren Stängel zum Glimmen, um keine Zeit zu verlieren. Die zwei Minuten sind um. "Alle an!", verkündet Bahlmann. Ab jetzt zählt jede Sekunde.

Als hätte jemand einen Knopf gedrückt, entspannen sich die Männer, lehnen sich zurück, betrachten ihre Zigarillos. Sie drehen und wenden sie und schauen dem aufsteigenden blauen Dampf nach, während sie fachsimpeln und sich an vergangene Wettkämpfe erinnern. Der süßlich-scharfe Geruch der Zigarillos erfüllt den Raum. Nun kommt es darauf an, gerade nur so oft am Zigarillo zu ziehen, dass es noch glüht, aber ja nicht zu oft, wenn man am Ende als Sieger aus der Meisterschaft hervorgehen will. Henner Casemir, der Mann im grünen Shirt, nimmt zum ersten Mal am Zigarillo-Langsamrauchen teil. Er ist Nichtraucher und ihm graute schon zu Beginn vor dem scharfen Geschmack der Zigarillos. "Muss man das Ding eigentlich auf Lunge rauchen?", fragt der Feuerwehrmann.

Gerade weil er Nichtraucher ist, wähnt er sich schon vorn in der Meisterschaft. Er glaubt, die Raucher zögen aus reiner Gewohnheit viel zu oft an den Zigarillos. Die anderen Männer schütteln ob dieser These nur missbilligend den Kopf. Hier sind alte Hasen am Werk, die nach jahrelangen Erfahrungen im Langsam-Rauchen genau wissen, was sie tun.

Hugo Fiebich, 73, beispielsweise schwört auf die Technik des richtigen Winkels. "Guck", sagt er und hält Daumen und Zeigefinger hoch, in der die dünne Zigarre gerade so auf halb vier klemmt, dass sie weiter glimmt.

Acht Minuten sind vergangen.

Inzwischen ist Henner Casemir dazu übergegangen, ins Zigarillo zu pusten und nicht zu ziehen. "Ist viel besser", meint er.

Nach weiteren fünf Minuten ist Paul Stawinoga, 61, als erstes raus. "Weg", "aus" rufen alle. "Macht nichts. Dabei sein ist alles", sagt der Fernmeldetechniker. Gerd Bahlmann notiert in sein Heft: Paul Stawinoga, 13 Minuten, 45 Sekunden.

So langsam wird es heiß. Gar nicht so einfach, am Glimmstängel zu ziehen, ohne dass die Glut des Millimeter kurzen Stängels die Lippen verbrennt. Reihenweise heißt es: "Ich bin aus", "bin weg". Am Ende bleiben zwei Kontrahenten übrig: der Tischler Oliver Gerhardt, 24, und der kaufmännische Angestellte Uwe Heins, 54. Oliver Gerhardt versucht es mit Pusten, um nicht ziehen zu müssen. "So lange sie brennt, ist alles im Lot", sagt er. Doch das ruft den strengen Tabaksmeister auf den Plan. "Es zählt nicht nur, dass es vorne qualmt", sagt er. "Der Rauch muss aus dem Mund kommen."

Jetzt wird es laut. "Guck, wie sie noch brennt", rufen die einen. "Halt sie fest, halt sie fest." "Neee, is aus", die anderen. Oliver Gerhardt wagt es ein letztes Mal, an dem heißen Stück zu ziehen. Es klappt. Bei Uwe Heins glüht nichts mehr. Er muss sich geschlagen geben. Die Männer johlen. Oliver Gerhardt siegt mit 22 Minuten und fünf Sekunden.