Treffen “70 Jahre danach“. Harburger Schüler waren während des Zweiten Weltkriegs zur Kinderlandverschickung

Harburg. Es dürfte Kindern und Jugendlichen von heute schwer fallen, sich vorzustellen, wie die Großeltern ihre Kinder- und Jugendzeit vor 70 Jahren erlebten. In dem kürzlich vom ZDF gezeigten Fernseh-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" wurde anschaulich gemacht, wie die Kriegsjahre unsere Eltern und Großeltern veränderten und häufig sprachlos machten. Viele reden nicht gern über ihre meist schlimmen Erlebnisse.

Es gibt aber auch noch sieben etwas ältere Herren aus Harburg und Wilhelmsburg, die ganz gern über die Vergangenheit sprechen, weil sie trotz des Zweiten Weltkriegs auch noch schöne Erinnerungen an ihre Kinder- und Jugendjahre haben. Die sieben Männer gehörten vor 70 Jahren einer insgesamt 36 Schüler zählenden Gruppe an, die wegen zunehmender Bombardierung deutscher Städte per Kinderlandverschickung in Sicherheit gebracht worden war. Und nun trafen sich die sieben Ehemaligen im Restaurant La Granja in Harburg wieder, um gemeinsam "70 Jahre danach" zu feiern.

Die 36 Schüler waren damals 13 Jahre alt, kamen von den beiden Harburger Schulen Göhlbachtal und Maretstraße sowie von den Wilhelmsburger Schulen Rahmwerder Straße und Neuenfelder Straße. Ihre Eltern hatten ihnen die Erlaubnis zur Teilnahme an der Kinderlandverschickung gegeben. Und die Gruppe hatte in gewisser Weise Glück, denn es ging nicht nur ein paar Kilometer weiter hinaus aufs Land sondern ab dem Bahnhof Hamburg-Altona per Dampflok drei Tage und Nächte lang gen Süden nach Ungarn an die Donau ins Städtchen Palanka. In dem fruchtbaren ungarischen Landgebiet "Bazka", südlich von Budapest, waren schon zu Zeiten von Kaiserin Maria Theresia viele Menschen aus Schwaben angesiedelt worden, die dort zumeist Landwirtschaft betrieben. Die sogenannten Volksdeutschen wurden auch als Donauschwaben bezeichnet.

Vom Ankunftstag am 13. März 1943 in Palanka war die Schülergruppe insgesamt elf Monate von zu Hause weg. "Es war für uns wie Abenteuerurlaub", sagt Herbert Wenzel, 83, aus Wilhelmsburg, der früher als SPD-Abgeordneter in der Harburger Bezirksversammlung und im Wilhelmsburger Ortsausschuss gesessen hatte. Und Friseurmeister Karl-Heinz Walgenbach, 83, aus Harburg, der die Gruppe der ehemaligen Ungarnfahrer 1988 erstmals zu einem "45 Jahre danach"-Treffen wieder zusammengebracht hatte (damals zählte das Treffen noch 22 Teilnehmer) sagt: "Wir waren fern von Bomben und Krieg, konnten im Sommer am Donaustrand baden und im Winter übers Eis laufen. Unsere Pflegeeltern und ihre Kinder waren unbeschreiblich nett. Und es gab reichlich zu essen. An die ungewohnte Kost mit viel Knoblauch und Paprika hatten wir uns schnell gewöhnt."

Die Schülergruppe war damals unter Aufsicht von Hans Doepke, einem Lehrer der Schule Maretstraße (heute Bunatwiete). Walgenbach: "Er war für den täglichen Schulunterricht zuständig. Für den Sportunterricht hatten wir noch einen sogenannten Lagermannschaftsführer, einen Lamafü, dabei, der uns schon fast militärisch drillte. Wir waren damals wie fast alle Jungen in der Hitlerjugend. Die Mitgliedschaft war für Jungen ab zehn Jahre zwingend vorgeschrieben."

Die jetzt zum "70 Jahre danach"-Treffen zusammengekommenen Männer waren neben Friseurmeister Walgenbach und Herbert Wenzel, der Technischer Angestellter auf einer Werft war, der frühere Maschinenbautechniker Günther Scheer, 83, der Maschinenbauer Hans-Jürgen Lockhoff, 83, der Schulhausmeister Kurt Neiber, 84, der HEW-Handwerker Werner Detloff, 83 und der in Bergedorf lebende frühere Papierwarenhändler Kurt Arndt, 84. Der Freundeskreis, der sich "Harburger Donauschwaben" nennt, trifft sich etwa dreimal im Jahr. Und bis vergangenes Jahr fuhren die Harburger auch einmal im Jahr nach Ulm zum Treffen der ehemaligen Donauschwaben aus Palanka. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war Palanka von der russischen Armee eingenommen worden. Ein Großteil der deutschstämmigen Bevölkerung flüchtete. Walgenbach: "Einige Bewohner kamen auch in Arbeitslager oder wurden ermordet." Palanka liegt heute in Serbien.

Friseurmeister Walgenbach hatte sich vor 25 Jahren ein Wohnmobil gekauft und war zusammen mit seiner Frau nach Palanka gefahren. Dort erfuhr er, dass seine Pflegeeltern von damals nach Amerika geflüchtet waren. Auch die Pflegeeltern von Herbert Wenzel waren damals noch am Leben. Und es gab ein Wiedersehen.

Als die Landverschickung im Februar 1944 endete und die Gruppe nach Hamburg zurückkehrte, begann für viele im Alter von 14 Jahren die Berufsausbildung. Tag und Nacht gab es Bombenangriffe. Walgenbach: "Am 25. Oktober 1944 verloren wir durch Ausbombung unser gesamtes Hab' und Gut."